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Raman-Spektroskopie zur Diagnostik Alzheimer per Augenscan erkennen?

Redakteur: Christian Lüttmann

Alzheimer frühzeitig zu erkennen ist eine Herausforderung für Mediziner. Vielleicht hilft ihnen bald ein einfacher Augenscanner dabei. Denn mit spektroskopischen Untersuchungen lassen sich in der Netzhaut Hinweise auf eine drohende Alzheimer-Erkrankung finden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forscherteam mit Beteiligung des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien.

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Mit spektroskopischen Mitteln entschlüsseln die Forschenden vom Leibniz-IPHT die biochemische Zusammensetzung der Netzhaut – ihren molekularen Fingerabdruck. So können sie minimale Veränderungen aufspüren, noch bevor sich diese auf der Netzhaut niederschlagen.
Mit spektroskopischen Mitteln entschlüsseln die Forschenden vom Leibniz-IPHT die biochemische Zusammensetzung der Netzhaut – ihren molekularen Fingerabdruck. So können sie minimale Veränderungen aufspüren, noch bevor sich diese auf der Netzhaut niederschlagen.
(Bild: Charlotte Siegesmund)

Jena – Alzheimer an den Augen erkennen, lange bevor die unheilbare Erkrankung ausbricht: Diesem Ziel ist ein europäisches Forscherteam unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT) einen Schritt näher gekommen. Mithilfe eines laserbasierten Verfahrens gelingt es den Wissenschaftlern, eine Alzheimer-erkrankte Netzhaut von einer gesunden anhand ihres spektralen Fingerabdrucks zu unterscheiden.

Dazu entschlüsseln sie mit spektroskopischen Mitteln die biochemische Zusammensetzung der Netzhaut. So können sie minimale Veränderungen aufspüren, noch bevor sich diese z.B. in Form von alzheimertypischen Eiweißablagerungen auf der Netzhaut niederschlagen. Damit ließen sich Anzeichen für eine entstehende Alzheimer-Erkrankung deutlich früher nachweisen als mit derzeitigen Methoden.

Die neue Methode setzt auf feinste biochemische Modifikationen im Auge. Während sich morphologische Veränderungen der Netzhautschichten mit der gängigen optischen Kohärenztomographie (OCT) in vivo diagnostizieren lassen, können Abweichungen in der biochemischen Zusammensetzung so nicht erkannt werden. „Hier liefert die Raman-spektroskopische Untersuchung einen entscheidenden Beitrag, um die Genauigkeit der Diagnose zu verbessern“, sagt Prof. Jürgen Popp, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-IPHT.

Vielversprechende Genauigkeit

Ob spezifische Biomarker für eine Alzheimer-Erkrankung tatsächlich nichtinvasiv in der Netzhaut nachgewiesen werden können, ist in der Forschung umstritten. In manchen Studien haben Forscher die für die Erkrankung charakteristischen Eiweißablagerungen – amyloide Plaques und Tau-Fibrillen – sowohl in menschlichen Netzhäuten wie an Mausmodellen identifiziert. In anderen Studien berichten Wissenschaftler vom Fehlen dieser Indizien und stellen den diagnostischen Wert des Ansatzes infrage.

Indem die Jenaer Forscher nun erstmals gesunde und kranke Proben mithilfe spektroskopischer Methoden unterschieden haben, zeigen sie einen neuen Weg auf, um eine Alzheimer-Erkrankung an der Netzhaut zu erkennen – unabhängig von Plaques im Auge. Die Forscher haben zwei definierte Mausmodelle biochemisch charakterisiert. Dabei gelang es, die einzelnen Schichten der Netzhaut anhand von Querschnitten über ihren unterschiedlichen Gehalt an Nukleinsäuren, Rhodopsin, Lipiden und Proteinen biochemisch zu identifizieren.

Anhand von Frontalaufnahmen der Netzhaut, die einer In-vivo-Anwendung recht nahe kommen, ließen sich gesunde und kranke Maus-Retinas mit einer Genauigkeit von 86 Prozent unterscheiden. Deutliche Anhäufungen amyloider Plaques, die üblicherweise zur Diagnostik genutzt werden, fanden die Wissenschaftler hingegen weder in den Querschnitten, noch in den Frontalaufnahmen.

Tests an Patienten sollen bald folgen

Dass ein Augenscan per Laserlicht in Form spektroskopischer Untersuchungen theoretisch möglich ist und wertvolle Hinweise auf Krankheiten liefern können, hatte das Jenaer Forscherteam bereits in einer früheren Studie gezeigt. Man müsse aber vorsichtig sein, Ergebnisse aus Messungen an Mäusen auf den Menschen zu verallgemeinern, präzisiert Prof. Rainer Leitgeb von der Medizinischen Universität Wien, der das europäische Forschungsprojekt koordiniert. „Die neuen Ergebnisse bestärken uns jedoch in unserem konkreten Ziel, auch neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer durch einen einfachen Augenscan erkennen zu können.“

Offenbar kann die Raman-Spektroskopie Veränderungen der Netzhaut auch ohne Ablagerungen von amyloiden Plaques detektieren und so eine beginnende Alzheimererkrankung frühzeitig erkennen. Damit hätte man ein objektives und vergleichbares diagnostisches Merkmal, welches auch für die Entwicklung von Medikamenten von großer Wichtigkeit wäre. „Wie spezifisch diese Veränderungen wirklich sind, müssen letztlich die angestrebten Studien am Menschen zeigen“, sagt Leitgeb.

Die Partner der Medizinischen Universität Wien bauen nun ein Gerät, das die Raman-Spektroskopie mit der optischen Kohärenztomografie (OCT) kombiniert. Die medizinische Zulassung solle im kommenden Monat abgeschlossen sein, berichtet Leitgeb. Sobald sie erfolgt ist, kann das Gerät an ersten Patienten getestet werden. Die würden sich davorsetzen, ihr Auge berührungsfrei abrastern lassen und wenige Minuten später eine Diagnose erhalten.

Originalpublikation: Clara Stiebing, Izabella J. Jahn, Michael Schmitt, Nanda Keijzer, Robert Kleemann, Amanda J. Kiliaan, Wolfgang Drexler, Rainer A. Leitgeb, and Jürgen Popp: Biochemical Characterization of Mouse Retina of an Alzheimer’s Disease Model by Raman Spectroscopy, ACS Chem. Neurosci. 2020, 11, 20, 3301–3308; DOI: 10.1021/acschemneuro.0c00420

(ID:47101177)