Die Medizin der Ameisen Ameisen in der Notaufnahme: wie die Insekten verletzte Artgenossen behandeln
Anbieter zum Thema
Eine afrikanische Ameisenart rettet ihre verletzten Artgenossen aus dem Kampfgetümmel, bringt sie ins Nest und versorgt sie wie in der Notaufnahme: Sie behandelt die Wunde mit antimikrobiellen Substanzen aus ihrem Speichel. Zu diesem erstaunlich effektiven Prozess der Wundversorgung im Tierreich forscht der Biologe Dr. Erik Frank von der Universität Würzburg.

Würzburg – Die afrikanische Matabele-Ameise (Megaponera analis) lebt bei der Jagd auf wehrhafte Termiten gefährlich. Ihre Verwundeten geben die Tiere aber nicht einfach auf. Je nach Grad der Verletzung retten und versorgen sie diese. Dabei entscheiden Verletzte selbst, ob ihnen geholfen wird: Fordert ein Exemplar Rettung, verhält es sich ruhig, gibt Pheromone ab und lässt sich zurück ins Nest tragen. Ist ein Tier hingegen zu schwer verletzt als das eine Behandlung noch große Erfolgschancen hätte, bewegt es sich hektisch und boykottiert dadurch einen Abtransport.
Damit aber nicht genug. Zurück im Nest werden die Sanitäter zu Ärzten und die Ameisen behandeln potenziell infektiöse Wunden auf eine Art, die man bisher nur vom Mensch kannte.
Ameisen lecken die Wunden ihrer Verletzten gesund
Der Biologe Dr. Erik Frank ist den Insekten bereits seit dem Masterstudium auf der Spur. In seiner Promotion an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg hatte er festgestellt, dass die Ameisen die Wunden ihrer Verletzten ableckten – z. B. abgetrennte Beine. Die Hypothese lautete, dass durch dieses Verhalten Infektionen verhindert werden sollten. Möglicherweise kämen sogar antimikrobielle Substanzen zum Einsatz. „Wir haben herausgefunden, dass verletzte Ameisen kommunizieren, wenn eine Wunde infiziert ist“, erklärt der Biologe. „In den aufgetragenen Substanzen fanden wir über hundert chemische Komponenten und 41 Proteine. Von etwa der Hälfte können wir bereits nachweisen, dass sie antimikrobielle Qualitäten besitzen.“
Diese antimikrobiellen Substanzen scheinen hocheffizient zu wirken: rund 90 Prozent der versorgten Tiere überlebten ihre Verletzungen. Diese Erkenntnisse entstammen größtenteils aus Untersuchungen, die Frank zuletzt während seiner dreijährigen Zeit als Post-doc an der Universität von Lausanne vorgenommen hatte.
:quality(80)/p7i.vogel.de/wcms/fb/c2/fbc26a3d28991cbe7028d7e807cd5745/0107113283.jpeg)
Forscher ermitteln weltweite Anzahl und Verteilung
Wie viele Ameisen gibt es eigentlich?
Professionelle Wundbehandlung fast auf Menschen-Niveau
Die Versorgung der verletzten Ameisen läuft dabei routiniert und gezielt ab, wie man es in einer Notaufnahme beim Menschen erwarten würde. Laut Frank produzieren die Ameisen die Stoffe in einer taschenartigen Drüse im hinteren Bereich des Thorax‘, der so genannten Metapleuraldrüse. Das helfende Tier greift diese Substanzen – entweder bei sich selbst oder direkt von der verletzten Mitstreiterin – mit den Füßen auf, nimmt sie in den Mund und trägt sie von dort auf die Verletzung auf.
„Wir haben es hier also mit einem komplexen System aus Diagnose und entsprechend angepasster Behandlung zu tun,“ sagt der Biologe. Nach aktuellem Stand der Forschung sei so etwas im Tierreich einzigartig. Bisher war man davon ausgegangen, dass nur der Mensch zur Diagnose von Infektionen und anschließender gezielter Wundbehandlung mit antimikrobiellen Stoffen in der Lage sei. Nun möchte Wissenschaftler seine Forschungen ausweiten und ist dafür an die JMU zurückgekehrt.
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1764300/1764365/original.jpg)
Schutz vor Krankheiten
Ameisen desinfizieren sich innerlich – mit eigener Säure
Lebensweise beeinflusst die Heilfähigkeit der Ameisen
In Würzburg baut Frank im Rahmen des Emmy-Noether-Programms eine Forschungsgruppe auf – das Budget über sechs Jahre: rund 1,3 Millionen Euro. Sein langfristiges Ziel ist es, die Wundbehandlung im Tierreich als Forschungsbereich in der Biologie zu etablieren. Zunächst gelte es aber, die Forschung sukzessive auszuweiten. Dazu har er aktuell zwei Promotionsstellen zu vergeben, die jeweils zu einem weiteren Thema aus der Welt der Ameisen erforschen sollen.
Während eines Aufenthaltes in Mosambik war dem Biologen aufgefallen, dass die dortige Population von Megaponera analis bei der Jagd kaum Verletzungen davontrugen. Der Grund: „Sie jagen kleinere Termiten, die offenbar nicht in der Lage sind, sich effektiv zu verteidigen.“ Wurden die Ameisen im Versuch dennoch mit verletzten Tieren konfrontiert, gab es keine Hilfe. „Obwohl sie derselben Art angehören, haben sie dieses Verhalten also offenbar komplett abgelegt. Eine Frage wäre nun etwa, ob die Ameisen überhaupt noch die zur Wundheilung genutzten Substanzen produzieren – oder vielleicht ganz andere.“
Gegenstand des zweiten Projekts soll die in Mittel- und Südamerika vorkommende Eciton-Treiberameise sein. „Bei ihr konnte ebenfalls eine Wundversorgung beobachtet werden. Aufgrund der Dauer ihrer Raubzüge von 12 bis 14 Stunden bringen die Eciton-Ameisen ihre Verletzten aber nicht zurück ins Nest, sondern behandeln sie direkt vor Ort.“ Bei der Untersuchung der produzierten und verwendeten antimikrobiellen Substanzen könnten auch Stoffe gefunden werden, die einen Nutzen für die Humanmedizin haben.
* L. Ziegler, Universität Würzburg,97070 Würzburg
(ID:48585433)