Mathematisches Modell Analyse von Organoiden im Kampf gegen Mukoviszidose
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Früher galt Mukoviszidose v. a. als Kinderkrankheit – weil kaum ein Patient das Erwachsenenalter erreichte. Durch Fortschritte in der Therapie hat sich die Lebenserwartung zwar stark verbessert, ist jedoch noch immer deutlich verkürzt. An der Freien Universität Bozen wurde nun ein mathematisches Modell entwickelt, um aus medizinischen Bildern die Reaktion auf neue pharmakologische Behandlungen gegen Mukoviszidose zu erkennen.

Mukoviszidose, auch Cystische Fibrose (CF) genannt, ist eine schwere angeborene Stoffwechselerkrankung. Ursache ist eine Mutation im so genannten CFTR-Gen (Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator) (s. LP-Info-Kasten auf Seite 2). Die daraus resultierende Fehlfunktion des CFTR-Proteins – einem Kanal, der den Chlortransport in den Zellen reguliert – verursacht eine Störung des Flüssigkeitstransports im Epithelgewebe der Lunge, der Bauchspeicheldrüse und anderer Organe, was zu den typischen Symptomen der Mukoviszidose führt. Dies sind z. B. Obstruktion des Magen-Darm-Trakts und der Atemwege – Lungensymptome sind besonders häufig und schwerwiegend.
Menschen mit Mukoviszidose haben weniger CFTR-Kanäle oder defekte CFTR-Kanäle. Dies kann zur Produktion von zähem Schleim führen, der in der Folge die freie Bewegung der Zilien des Lungenepithels und die Ausscheidung des Schleims aus der Lunge behindert. Schleim und Keime sammeln sich daher in der Lunge an, was zu verschiedenen Symptomen wie Keuchen, Kurzatmigkeit, anhaltendem Husten mit Auswurf und bakteriellen Lungeninfektionen führt. In Italien kommt etwa ein gesunder Träger auf 25 Menschen. Zwei gesunde Träger haben als Paar eine Chance von eins zu vier, in jeder Schwangerschaft ein krankes Kind zu bekommen.
Die Medikamentenforschung
Derzeit werden experimentelle Medikamente zur Behandlung von Mukoviszidose an Organoiden getestet, bevor sie an Patienten erprobt werden. Organoide sind Miniaturorgane, die im Labor aus Stammzellen hergestellt werden, d. h. aus undifferenzierten Zellen, die in der Lage sind, verschiedene Zelltypen hervorzubringen. Je nach Herkunft der Stammzellen, die sie erzeugen, stehen heute verschiedene Arten von Organoiden zur Verfügung: Im Bereich der Mukoviszidose ist das Interesse an Darmorganoiden groß, die als geschlossene sphäroidale Strukturen mit einem zentralen Hohlraum auftreten. Sie werden aus Stammzellen gewonnen, die in den Nischen der Darmschleimhaut vorhanden sind: winzige Schleimhautfragmente (mit einem Durchmesser von etwas mehr als 1 mm), die rektal entnommen oder aus Biopsien bei der Koloskopie gewonnen werden können. Diese Stammzellen sind in der Lage, im Labor Organoide zu entwickeln, die eingefroren lange gelagert werden können und dann für Experimente zur Verfügung stehen.
Intestinale Organoide könnte man im übertragenen Sinne als Ballons beschreiben, die durch viele Öffnungen – die CFTR-Kanäle – mit Wasser gefüllt werden können. Da der Eintritt von Wasser wesentlich von der Öffnung der CFTR-Kanäle abhängt, sind Organoide, die von Gesunden gewonnen werden, aufgrund der Aktivität gut funktionierender CFTR-Kanäle geschwollen und rundlich; Organoide, die von CF-Patienten gewonnen werden, erscheinen dagegen gefaltet, klein im Volumen und nicht kugelförmig.
Selbst bei Stimuli, die im Labor gegeben werden, um den CFTR-Kanal zu aktivieren, schwellen Organoide von CF-Patienten nicht an, weil der Kanal kein Chlor und damit kein Wasser absondert. Andererseits konnte gezeigt werden, dass verschiedene Medikamente, die den defekten CFTR-Kanal korrigieren, in der Lage sind, die Organoide von Patienten mit Mukoviszidose anschwellen zu lassen. Es hat sich auch gezeigt, dass bei einzelnen Patienten die durch Spirometrie beobachtete Verbesserung der Lungenfunktion während einer Neumutationstherapie mit der durch die Schwellung nachgewiesenen Korrektur von CFTR in ihren Organoiden übereinstimmt.
In jüngsten Experimenten haben eine Forschungsgruppe der Abteilung für Pathologie der Medizinischen Fakultät der Universität Verona unter der Leitung von Prof. Claudio Sorio und eine Gruppe des Integrierten Universitätskrankenhauses von Verona unter der Leitung von Prof. Paola Melotti Bilder und Videos von Darmorganoiden gesammelt, die verschiedenen pharmakologischen Behandlungen unterzogen wurden. Die Videos erlauben es, die Veränderungen der Form und des Volumens der Organoide zu beobachten und liefern somit wertvolle Hinweise auf die Reaktion auf die Medikamente.
Problem & Lösungsvorschlag
Die Daten, die der Autorin des Beitrags zur Verfügung stehen und die von den Ärzten der Universität Verona gesammelt wurden, um die Wirkung eines Medikaments zu testen, sind zeitliche Abfolgen von dreidimensionalen Bildern von Organoiden, die die Veränderung der Form und des Volumens dieser Strukturen im Laufe der Zeit zeigen. Abbildung 2 zeigt den Screenshot eines 2D-Ausschnitts dieser Bildersammlung. Die Form der Organoide ist rund, etwa kugelförmig, und bleibt während des Wachstums so, wenn das Medikament, mit dem sie behandelt werden, bei der Korrektur defekter CFTR-Kanäle wirksam ist; andernfalls zeigt das Anschwellen oder Kollabieren des Organoids an, dass das Medikament nicht wirksam ist.
Im vergangenen Jahr startete die Autorin dieses Beitrags ein Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der Gruppe Vision Technology der Bruno-Kessler-Stiftung (FBK) in Trient, der Abteilung für Pathologie der Medizinischen Fakultät der Universität Verona und der Azienda Ospedaliera Universitaria Integrata in Verona. Ziel war es, eine Software für die Analyse von Bildern und Videos von Darmorganoiden zu entwickeln, die verschiedenen medikamentösen Behandlungen unterzogen wurden.
Im Rahmen des Projekts wurde die Software Corvo (Akronym für Computing Organoid's Volume) entwickelt. Sie erlaubt es, zeitliche Sequenzen dreidimensionaler Bilder von physiologischen Lösungen, in die Organoide eingetaucht sind, zu erkennen und zu analysieren. Durch einen Prozess, der Segmentierung genannt wird, identifiziert Corvo in jedem Bild die Regionen, die von den Organoiden besetzt sind, und berechnet deren Volumen. Dieses Verfahren, das von der FBK-Forscherin Michela Lecca realisiert wurde, kann völlig automatisch und ohne Benutzeraufsicht eingesetzt werden.
Die enge Zusammenarbeit der Projektpartner ermöglichte die Realisierung einer Benutzeroberfläche für Corvo, die speziell für die Nutzung durch medizinisches Personal ausgelegt ist. Die Schnittstelle erlaubt es, mit der Software zu interagieren, um Organoide auszuwählen, die von spezifischem klinischem Interesse sind. Abbildung 3 zeigt einen Screenshot der Benutzeroberfläche, der die von der Software identifizierten Organoide (in rot) und die vom Benutzer ausgewählten (in grün) zeigt. Einer der Vorteile von Corvo ist die einfache Handhabung; spezielle Kenntnisse der Bildverarbeitung sind seitens des Anwenders sind nicht erforderlich.
Neue Wirkstoffe im Fokus
Dank des Beitrags der Fakultät für Informatik der Freien Universität Bozen, erkennt die Software nicht nur biologische Strukturen in Bildern und berechnet deren Volumenänderungen, sondern analysiert auch die statistischen Eigenschaften dieser Änderungen. Die Autorin dieses Artikels hat eine mathematische Methode entwickelt und in Corvo integriert, die auf fortschrittlichen statistischen Techniken basiert und es ermöglicht, zu identifizieren, welche Organoide sich in einer sphärischen Form und welche sich in unregelmäßigen Formen entwickeln. Die Methode besteht aus zwei Modulen: einem Modul, das durch geeignete statistische Tests das Vorhandensein einer Korrelation zwischen der Fläche des maximalen Querschnitts und dem Volumen eines Organoids überprüft sowie einem Modul, um festzustellen, ob das Organoid nach einer Behandlung an- oder abschwillt und um die Wachstums- oder Abnahmegeschwindigkeit des Organoids zu berechnen.
Abbildung 4 zeigt das Ergebnis der Analyse von 16 Medikamentenbehandlungen, für die mit der Software Corvo die durchschnittliche Schwellungs- oder Deflationsrate der Organoide von Mukoviszidose-Patienten berechnet wurde. Als besonders interessant konnte die Behandlung mit 3 mM Lumacaftor (VX-809) 5 µM und Forskolin 0,03 µM identifiziert werden, da diese Wirkstoffkombination im Gegensatz zu den anderen Behandlungen eine Schwellung der Organoide bewirkte. Die statistische Analyse der zeitlichen Variationen des Organoidvolumens ermöglicht dabei eine schnelle Identifikation der optimalen medikamentösen Behandlung und reduziert das Risiko von vorzeitigen Patientenversuchen.
Das Ergebnis der hier vorgestellten Studie wurde auf der IEEE International Conference on Computational Intelligence in Bioinformatics and Computational Biology (CIBCB 2020, Via del Mar, Chile) vorgestellt und ist online verfügbar.
* P. Lecca, Freie Universität Bozen, Fakultät für Informatik, 39100 Bozen
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