Produktion von Riechnerven nimmt ab Auch das Riechvermögen lässt im Alter nach
Je älter wir werden, desto mehr verlassen uns unsere Sinne. Gerade Hörvermögen und die Sehkraft lassen nach. Forscher des Helmholtz Zentrums München haben nun entdeckt, dass auch der Geruchssinn nachlässt, je älter wir werden – zumindest lassen Mäuse-Experimente diesen Schluss zu. Ursache sind Stammzellen, die im Alter weniger Riechzellen bilden.
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Neuherberg – Die Bildung von Nervenzellen (Neurogenese) ist bei Säugetieren überwiegend auf die frühe Kindheit beschränkt und findet im Erwachsenenalter nur noch in wenigen Regionen des Vorderhirns statt. Eine solche Ausnahme sind Riechnerven, die über mehrere Zwischenstadien aus Stammzellen hervorgehen. „Die Produktion dieser Nervenzellen geht mit zunehmendem Alter zur Neige. Wir wollten in der aktuellen Arbeit klären, wie es dazu kommt und welchen Beitrag die Stammzellen dabei haben“, erklärt Dr. Carsten Marr den Ansatz. Er ist Arbeitsgruppenleiter am Institute of Computational Biology (ICB) des Helmholtz Zentrums München.
Um dieser Frage nachzugehen, bildete er mit der Mathematikern Lisa Bast und den Stammzellforschern Dr. Filippo Calzolari (heute am Institut für Physiologische Chemie der Universitätsmedizin Mainz) und Prof. Dr. Jovica Ninkovic ein interdisziplinäres Expertenteam. „Unser Ansatz für die aktuelle Arbeit funktioniert über so genannte Konfetti-Reporter in Mäusen: Dabei bringen wir einzelne Stammzellen und alle ihre Nachkommen – so genannte Klone – dazu, jeweils in einer bestimmten Farbe zu leuchten“, beschreibt Filippo Calzolari das Vorgehen. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler die Entwicklung einzelner Klone verfolgen und als verschiedenfarbige Punkte unterscheiden, was dem Verfahren seinen Namen verleiht. „Durch den Vergleich von jungen und älteren Mäusen wollten wir im nächsten Schritt herausfinden, welchen Beitrag einzelne Stammzellen und Zwischenstufen zur Neurogenese der fertigen Riechzellen leisten“, so Calzolari weiter.
Auswertung der komplexen Bilddaten über mathematische Modelle
Allerdings ist die systematische Auswertung der Bilder für den Menschen kaum zu schaffen: die vorliegenden Daten waren extrem heterogen und ein Vergleich von jungen und alten Gehirnen schwierig. Hier kam die Expertise von Carsten Marr und seinem Team zum Tragen. Sie sind Spezialisten für die Quantifizierung von Einzelzelldynamiken, also der Frage: Welche und wie viele Zellen eines großen Verbandes entwickeln sich wie weiter? Dafür bedienen sich die Forscher künstlicher Intelligenz, entwerfen mathematische Modelle und programmieren Algorithmen, die die Bilddaten für sie auswerten können.
„Wir haben die Konfetti-Messungen mit mehreren mathematischen Modellen der Neurogenese verglichen“, erklärt Lisa Bast. „Auf diese Weise konnten wir feststellen, dass vor allem in bestimmten Zwischenstadien – den so genannten transit amplifying progenitors – die Fähigkeit zur Selbsterneuerung im Alter abnimmt.“ Zudem zeigt die Analyse, dass in älteren Mäusen die so genannte asymmetrische Zellteilung in Stammzellen sowie deren Ruhephasen zunahm. „Das bedeutet, dass sich im Alter weniger Zellen zu Riechzellen weiterentwickeln und inaktiv im Stammzell-Pool verbleiben, wodurch die Produktion zum Erliegen kommt“, so Jovica Ninkovic. Die Arbeit ist die erste, bei der Wissenschaftler das Verhalten von Nervenstammzellen im lebenden Säugergehirn mit einem mathematischen Modell quantitativ untersuchen konnten.
Originalpublikation: Bast, L. & Calzolari, F. (2018): Increasing neural stem cell division asymmetry and quiescence are predicted to contribute to the age-related decline in neurogenesis. Cell Reports, DOI: 10.1016/j.celrep.2018.11.088
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