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Die Genetik des Sozialverhaltens Autismus: Wie ein Gen das Miteinander beeinflusst

Von Dr. Angelika Jacobs*

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Ein lockerer Smalltalk in der Supermarktschlange ist für autistische Menschen herausfordernd, da sie emotionale Signale nur schwer deuten oder selbst aussenden können. Sie zeigen sich wiederholende, stereotype Verhaltensweisen sowie Besonderheiten im sozialen Umgang mit Mitmenschen. Forscher der Universität Basel haben nun im Mausmodell ein genetisches Puzzleteil ausgemacht, was diese abweichenden Verhaltensweisen mit beeinflusst. Die Ergebnisse könnten auch für zukünftige Therapieansätze hilfreich sein.

Oxytocin-produzierende Neuronen (rot) im Gehirn der Maus.
Oxytocin-produzierende Neuronen (rot) im Gehirn der Maus.
(Bild: Universität Basel, Biozentrum)

Basel/Schweiz – Der Mensch ist ein soziales Wesen und sucht üblicherweise die Gesellschaft und Nähe anderer Menschen. Bei etwa einem Prozent der Bevölkerung sieht das jedoch anders aus: Sie haben eine Form von Autismus und meiden eher die soziale Interaktion mit anderen. Diese komplexe neurologische Entwicklungsstörung zeigt sich oft in der Art der Kommunikation und in wiederkehrenden, stereotypischen Verhaltensmustern.

Es gibt zahlreiche genetische Faktoren für die Entstehung von Autismus. Dazu zählen Hunderte verschiedene Gene. Die Mechanismen, wie diese Vielzahl genetischer Veränderungen mit den Symptomen von Autismus zusammenhängen, sind allerdings noch weitgehend unklar. Das macht es schwierig, Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Therapien zu identifizieren.

Ein Forscherteam um Prof. Dr. Peter Scheiffele am Biozentrum der Universität Basel hat nun in Versuchen mit Mäusen eine unerwartete Verbindung zwischen einem bestimmten Gen und dem Oxytocin-Signalweg aufgedeckt. Das Hormon Oxytocin steuert bei Säugetieren das Sozialverhalten, insbesondere soziale Interaktionen, und wird auch als „Kuschelhormon“ bezeichnet.

Ein Autismus-Gen und wie es wirkt

Um Autismus zu erforschen, nutzen Wissenschaftler Mäuse mit Mutationen in einzelnen Genen. Diese ausgewählten Gene sind dafür bekannt, dass sie bei Menschen zu typischen Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Autismus führen.

Das Team um Scheiffele hat nun durch Versuche mit einem solchen Mausmodell nachgewiesen, dass eine Autismus-assoziierte Veränderung in dem Gen „Neuroligin-3“ die Oxytocin-Signalwege in den Nervenzellen im Belohnungssystem des Gehirns der Mäuse stört. Als Folge davon interagierten die Tiere weniger miteinander – ihr Sozialverhalten war deutlich geändert. Wie sich herausstellte, stört der Verlust von Neuroligin-3 das Gleichgewicht der Proteinproduktion in den Nervenzellen. Dieses Ungleichgewicht wiederum verändert die Reaktion der Nervenzellen auf das Kuschelhormon Oxytocin.

Zwar wurde schon länger vermutet, dass über Oxytocin vermittelte Signale eine Rolle bei Autismus spielen. „Dass Mutationen im Neuroligin-3-Gen direkt die Oxytocin-Signalwege beeinflussen, hat uns dennoch sehr überrascht“, sagt Scheiffele. „Uns ist es gelungen, zwei Teile des Puzzles über den Mechanismus von Autismus zusammenzusetzen.“

Erkenntnisse könnten zu neuen Therapien führen

Oxytocin-produzierende Neuronen (rot) im Gehirn der Maus.
Oxytocin-produzierende Neuronen (rot) im Gehirn der Maus.
(Bild: Universität Basel, Biozentrum)

Darüber hinaus zeigte das Forscherteam, dass sich die Veränderung im Oxytocin-System bei den Mäusen mit Neuroligin-3-Mutation wieder beheben lässt, indem man sie mit einem pharmakologischen Hemmstoff der Proteinsynthese behandelt. Das Sozialverhalten der Mäuse normalisierte sich daraufhin: Sie reagierten wie ihre gesunden Artgenossen unterschiedlich auf ihnen bekannte und fremde Mäuse. Derselbe Hemmstoff wirkte sich auch in einem zweiten Autismus-Mausmodell positiv auf die Verhaltensweise aus und könnte daher eine breitere Anwendung bei der Behandlung von Autismus ermöglichen.

Diese nun neu entdeckte Verbindung zwischen drei wichtigen Elementen – einem genetischen Faktor, der Regulation des Sozialverhaltens durch das Oxytocin-System und Veränderungen in der neuronalen Proteinsynthese – bringt etwas mehr Klarheit in der Frage, wie die vielfältigen Ursachen für die Entstehung von Autismus zusammenhängen. Zudem zeigen die Ergebnisse neue Wege, wie sich bestimmte Aspekte des Sozialverhaltens bei Autismus möglicherweise – wenn gewünscht – behandeln lassen.

Originalpublikation: Hanna Hörnberg, Enrique Perez-Garci, Dietmar Schreiner, Laetitia Hatstatt-Burklé, Fulvio Magara, Stephane Baudouin, Alex Matter, Kassoum Nacro, Eline Pecho-Vrieseling, and Peter Scheiffele: Rescue of oxytocin response and social behavior in a rodent model of autism, Nature (2020), DOI: 10.1038/s41586-020-2563-7

* Dr. A. Jacobs, Universität Basel, 4001 Basel/Schweiz

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