Kommunikation per Kalziumwelle Auxin: Gravitationssensor von Pflanzen?
Woher wissen die Wurzeln der Pflanze, in welche Richtung es tiefer ins Erdreich geht? Hierbei hilft ihnen das Hormon Auxin. Ohne diesen Botenstoff könnten Pflanzen nicht wachsen und sich entwickeln. Wie es diese Prozesse in Gang setzt, war bislang ungeklärt. Jetzt haben Wissenschaftler der Universität Würzburg zentrale Details entschlüsselt.
Anbieter zum Thema

Würzburg – Nach allem, was derzeit bekannt ist hat das Pflanzenhormon Auxin Einfluss auf sämtliche Aspekte des Wachstums und der Entwicklung von Pflanzen. Es lässt das Getreide von der Keimung der Samen bis hin zur Erntereife gedeihen, die Bäume in den Himmel wachsen und Datteln zu süßen Früchten reifen. Auxin ist damit maßgeblich für die Entstehung der pflanzlichen Biomasse auf der Erde verantwortlich. Das erklärt auch seinen Namen: Der leitet sich von dem Griechischen auxánō ab, was so viel bedeutet wie „ich wachse“.
Aus diesem Grund haben Agrar- und Forstwissenschaftler von je her versucht, den Wirkmechanismus des Wachstumshormons zu verstehen und ihre Erkenntnisse wirtschaftlich nutzbar zu machen. Doch obwohl die chemische Struktur von Auxin bereits in den 1930er-Jahren identifiziert wurde, ist die Frage, wie das Hormon zu den Zielzellen gelangt und wie es dort seine Wirkung entfaltet, bis heute noch nicht vollständig geklärt. Bei der Suche nach Antworten haben Würzburger Pflanzenforscher um den Biophysiker Professor Rainer Hedrich jetzt einen Durchbruch erzielt.
Mikroelektroden entschlüsseln den Transportmechanismus
Chemisch betrachtet, handelt es sich bei Auxin um eine vergleichsweise einfache Substanz, in der Fachsprache Indolyl-3-Essigsäure genannt, oder kurz IAA. Sie leitet sich aus der aromatischen Aminosäure Tryptophan her. Pflanzen produzieren das Hormon beispielsweise in der Spross-Spitze und leiten es dann zu den Zielzellen weiter, zum Beispiel in die Wurzeln.
„Wir haben für unsere neueste Studie die Wurzelhaarzellen unter die Lupe genommen, deren Entwicklung aus polar auswachsenden Zellen vom Auxin-Import anhängig ist“, schildert Rainer Hedrich den Ausgangspunkt der Würzburger Forschung. Julian Dindas, Doktorand an Hedrichs Lehrstuhl, hat dabei mit Hilfe von Mikroelektroden das sogenannte Membranpotential untersucht.
Das Potential entsteht, weil winzige molekulare Pumpen geladene Teilchen wie Protonen, also positiv geladene Ionen, aus dem Inneren der Zelle durch die Membran nach außen transportieren. So baut sich eine Ladungsdifferenz auf. Änderungen der Ionenkonzentrationen lassen sich messen, indem die Änderung der Membranspannung aufgezeichnet wird. Solche Potentialänderungen stellen die frühen Antworten der Zelle auf einen Hormonpuls dar. Diese Reaktionen maßen auch die Würzburger Pflanzenforscher, als sie den Wurzeln das Auxin applizierten.
Pflanzenmutante hilft bei Aufklärung
Das Ergebnis: Abhängig von der eingesetzten IAA-Konzentration und der Dauer der Anwendung, kam es zu einer deutlichen Änderung im Mebranpotential, einer so genannten Depolarisierung. Dabei setzte die negativ geladene Indolyl-Essigsäure einen Prozess in Gang, in dessen Folge Protonen, also positiv geladene Ionen, ins Zellinnere gelangten. Dieser Prozess war umso stärker, je mehr Protonen auf der Zellaußenseite vorlagen. „Das legte die Vermutung nahe, dass das negative geladene Hormonmolekül Indolyl-Essigsäure zusammen mit einem Überschuss an positiven Ionen in die Wurzelhaarzelle aufgenommen wird“, so Hedrich.
Dieses Messergebnis zog die nächste Frage automatisch nach sich: Welcher Transporter in der Zellmembran ist dafür verantwortlich? Die Frage war in Zusammenarbeit mit den Auxin-Genetikern Professor Klaus Palme aus Freiburg und Professor Malcolm Bennett aus Nottingham schnell beantwortet: „Aus einer Kollektion von Mutanten der Modellpflanze Arabidopsis mit untypischer Reaktion auf die Gabe von Auxin zeigte eine spezielle Mutante keine IAA-vermittelte Wurzelhaar-Depolarisation mehr“, so Hedrich. Die Pflanze hatte durch die Mutation also keine Möglichkeit mehr, das Auxin entsprechend zu verarbeiten.
Drei Voraussetzungen für die Zellantwort
Die untersuchte Mutante zeigte eine zusätzliche Auffälligkeit: Sie ließ keinen temporären Anstieg des zellulären Kalzium-Spiegels beobachten, wie es normalerweise nach einer IAA-induzierten Depolarisation der Fall ist. „Damit war klar, dass die Wurzelhaar-Antwort auf Auxin von komplexer Natur und möglicherweise das Resultat einer Signalkette ist“, so der Pflanzenforscher.
Tatsächlich legten Untersuchungen weiterer Auxin-Mutanten nahe, dass sowohl ein spezieller Rezeptor-Komplex als auch ein Kalzium-Kanal mit beteiligt sein müssten. Fehlte eine Komponente dieses Dreiklangs aus Auxin-Transporter, Rezeptor und Kalzium-Kanal, blieb die zellulare Antwort aus. „Dieses Verhalten konnten wir so interpretieren, dass IAA in der Zelle den Rezeptor dazu anregt, den Kalzium-Kanal zu öffnen, und damit der Zelle den Auftrag gibt, Zellteilung und Streckung dem Hormonsignal anzupassen“, erklärt Hedrich.
Pflanzen machen die Kalzium-Welle
Wie Julian Dindas weiterhin durch eine direkte Mikro-Injektion von IAA in das Wurzelhaar nachweisen konnte, sendet eine mit Auxin behandelte Zelle nicht nur ein Kalzium-Signal aus. Vielmehr setzt sie eine sich selbst verstärkende Kalzium-Welle in Gang. Fluoreszenzmikroskopische Untersuchungen zeigten ihm, dass diese Kalzium-Welle bereits innerhalb weniger Minuten die Wurzelspitze erreicht.
Dort befindet sich nicht nur die Stammzellnische der Wurzel; dort sitzen auch Sensoren für ein Auxin-abhängiges Wachstum der Pflanze, das sich an der Schwerkraft orientiert. Man kann dies beispielsweise an Bäumen beobachten, die von einem Sturm umgelegt wurden. „Mit der Zeit schaffen es diese Bäume, ihre Wurzel wieder im Boden zu verankern und den Spross wieder aufzurichten“, so Hedrich. Das mache die Angelegenheit für die Wissenschaftler besonders spannend, „denn an dieser Schaltstelle wird über das Schicksal sich differenzierender Zellen und somit über die Wurzelarchitektur bestimmt.“
Den Signalweg des Auxins entschlüsseln
Dass unterschiedliche Auxin-Konzentrationen zwischen Zellen und deren Umgebung eine Schlüsselrolle bei diesen Differenzierungsvorgängen einnehmen, ist der Wissenschaft bekannt. Bisher sei dieser Aspekt allerdings eher vor dem Hintergrund der Gen-regulatorischen Wirkung des Hormons untersucht worden, so die Würzburger Pflanzenforscher. Über die physiologische Rolle des Auxin-Signalwegs in der Zellmembran sei hingegen nahezu nichts bekannt gewesen.
„Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass lokale Auxin-Signale mit Hilfe von Kalzium-Wellen über lange Strecken kommuniziert werden können, um in weit entfernt lokalisierten Zielzellen ebenfalls ein Auxin-Signal zu generieren“, so Hedrich. Wie dies auf molekularer Ebene bewerkstelligt wird und wie die von den Würzburgern identifizierten Proteine des „Auxin-Signalosoms“ in dieses Szenario eingreifen, ist Gegenstand weiterer Experimente.
Orginalpublikation: Julian Dindas, Rainer Hedrich et al.: AUX1-mediated root hair auxin influx governs SCFTIR1/AFB -type Ca2+ signaling. Nature Communications volume 9, Article number: 1174 (2018), DOI: 10.1038/s41467-018-03582-5
* Gunnar Bartsch: Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 97070 Würzburg
(ID:45221864)