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Kunststofflabor Baylab plastics, „das Kunststofflabor für alle Sinne“, lockt Schüler ab 14 aus der Reserve

Autor / Redakteur: Karin Panknin / Gerd Kielburger

Zwar haben Schüler in Deutschland bei der Pisa-Studie 2006 erheblich besser abgeschnitten als 2000 und 2003, aber Wissenschaft und Technik haben weiterhin ein negatives Image oder ihnen wird bestenfalls mit Gleichgültigkeit begegnet. Um hier Abhilfe zu schaffen, haben sich bereits vor mehr als einem Jahrzehnt in Deutschland so genannte Schülerlabore entwickelt. Eines davon ist Baylab plastics von Bayer MaterialScience.

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Deutschland leidet unter einem eklatanten Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern. Die erste VDI-Ingenieurstudie 2007, die von einem Mangel von 100 000 Ingenieuren ausgeht, ist nur eine der Erhebungen, die auf diesen Notstand hinweist. Der Fachkräftemangel wird an Brisanz gewinnen – spätestens dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen.

Für die Fachkräfte von morgen haben naturwissenschaftliche und technische Berufe jedoch alles andere als magnetische Anziehungskraft. Die Weichen hierfür werden in der Schule gestellt, konkret: im Chemie-, Biologie- oder Physikunterricht. Der traditionelle naturwissenschaftliche Schulunterreicht hat jedoch das Ziel, Schüler mit möglichst viel Wissen über den Unterrichtsgegenstand zu entlassen, wohingegen die dem Wissen nachfolgenden Schritte, nämlich Können und eigene Aktivitäten, in den meisten Fällen auf der Strecke bleiben.

„Der Ansatz der Schülerlabore ist genau umgekehrt“, erklärt Prof. Dr. Manfred Euler vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) an der Universität Kiel. Er ist der geistige Vater der Schülerlaborbewegung in Deutschland und steht ihr beratend zur Seite. „Bei den Schülerlaboren liegt der Fokus auf Aktivitäten und Experimenten, die Schüler zwar mit weniger Wissenskompetenz ausstatten, dafür jedoch einen hohen Interessenzugewinn erzeugen – also genau das Vakuum füllen, das das traditionelle Bildungssystem hinterlässt und unter dem Technik und Naturwissenschaften leiden.“

Die Schülerlaborbewegung begann 1996. Heute gibt es mehr als 230 Schülerlabore, die von jährlich über 300 000 Kindern und Jugendlichen besucht werden. Damit ist Deutschland unter den europäischen Ländern Spitzenreiter bei den außerschulischen Lernstätten.

Die Mehrzahl der Schülerlabore ist an Universitäten und Forschungszentren angesiedelt und eine kleine Anzahl bei Unternehmen. In den meisten Schülerlaboren können die Schüler erleben, wie Forschung funktioniert. Das Schülerlabor von Bayer MaterialScience vermittelt hingegen während eines eintägigen Besuchs authentische Einblicke in den gesamten Produktionsprozess.

Von der Idee zum fertigen Produkt

Im Gegensatz zu anderen Schülerlaboren geht Baylab plastics über Grundlagenversuche hinaus. Im Rahmen eines eintägigen Live-Projektes von der Idee bis zum Fertigteil erfolgt eine Interaktion der Schüler auf verschiedenen Ebenen.

Die Schüler erarbeiten den vollständigen Produktentwicklungsprozess: von der Grundlagen- und Marktforschung über Produktdesign und Herstellung mit einer Spritzgießmaschine bis hin zu Marketing und Kommunikation. Dabei wird auch deutlich, welche Vielfalt an Berufen an der Entwicklung eines Produktes bis zur Fertigung beteiligt ist.

Eingeteilt in vier bis fünf unterschiedliche Teams arbeiten die Schüler unter realitätsnahen Bedingungen zusammen, um gemeinsam die Idee in ein Produkt umzusetzen. Hier kommt es auf Teamfähigkeit und kommunikative Kompetenzen an. „Viele junge Leute spüren erst jetzt, dass sie nur erfolgreich zum Ziel gelangen können, wenn sie aufgabenübergreifend zusammenarbeiten“, sagt Karl-Heinz Wagner, der Leiter von Baylab plastics.

„Sie erfahren hier, dass forschendes und entwickelndes Arbeiten immer eine gemeinsame Aufgabe von Menschen mit den unterschiedlichsten beruflichen Profilen ist. Im Baylab plastics machen die Schüler die essenzielle Erfahrung, dass es ganz und gar nicht sinnvoll ist, Schulfächer als einzelne Schubladen zu betrachten, sondern dass fächerübergreifendes Denken extrem sinnvoll ist.“

Die Schüler entscheiden selbst, welchem Team sie angehören möchten: Design-, Forschungs-, Technik- oder Kommunikationsteam (ausgewählten Gruppen wird ein Finanzteam angeboten), was in den meisten Fällen auch problemlos vor sich geht. „Es ist immer wieder interessant zu beobachten, wie die Teambildung als gruppendynamischer Prozess abläuft“, erzählt Dr. Johann Thim, Mitarbeiter der Abteilung Communications von BMS und Initiator von Baylab plastics.

Abhängig von der Schulform und der Altersgruppe wählen die Schüler in der Regel das Team, in dem sie meinen, sich am wohlsten zu fühlen. Manche Schüler entscheiden sich jedoch bewusst für ein Team, das ein völlig neues Terrain darstellt, und erhalten dadurch entscheidende Impulse für ihre Berufswahl.

  • Das Forschungsteam hat die Aufgabe, durch Materialprüfungen herauszufinden, welcher Kunststoff geeignet ist. Außerdem führt es Untersuchungen im Rahmen der Qualitätssicherung durch. Das Technikteam, dessen Mitglieder im Laufe des Tages die Spritzgießmaschine selbst bedienen werden, muss herausfinden, welche Parameter für eine qualitätsgerechte Produktion gelten. Zu diesen Aufgaben gehört neben der Berechnung der benötigten Materialmenge auch das Trocknen des Granulats.
  • Das Designteam muss entscheiden, wie das anzufertigende Produkt am Ende aussehen soll. Nun haben Designer oftmals ausgefallene Ideen. Im Untersuchungslabor muss daher getestet werden, ob das Material trotz Farbgestaltung und Zusatz von Glimmer den Normen entspricht.
  • Das Designteam führt darüber hinaus unter den anderen Teams, die in diesem Fall zugleich als Kunden fungieren, eine Marktbefragung durch, um festzustellen, welchen Preis diese für das Endprodukt zu bezahlen bereit sind.
  • Das Kommunikationsteam koordiniert die termingerechte und reibungslose Zusammenarbeit unter den Teams, Außerdem dokumentiert es den Tag durch Fotos oder ein Video und verfasst beispielsweise einen Beitrag mit Fotos für die Schülerzeitung.

Je nach dem Ausbildungsniveau der Schüler wird auch ein Finanzteam angeboten, z.B. für Schüler aus der gymnasialen Oberstufe. Es kalkuliert den Verkaufspreis für das Fertigprodukt. Außerdem lernen die Schüler dort, über welche „Stellschrauben” die Herstellungskosten verändert werden können.

Die Schüler bestimmen nicht nur, welchem Team sie angehören möchten, sondern auch die Lerntiefe. Ein Chemieleistungskurs einer gymnasialen Oberstufe erhält zwar die gleiche Einführung in den Tagesablauf und die Grundregeln des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit wie eine 9. Realschulklasse, aber durch die sehr allgemein gehaltenen, didaktisch reduzierten Arbeitsanweisungen kann jedes Team je nach Kenntnisstand und durch Fragestellungen an die Kursleiter unterschiedlich tief in die angebotene Materie einsteigen.

Wenig Orientierung an klassischen Lehrplänen

Beim Konzept von Baylab plastics wird ganz bewusst auf eine Einbindung in Lehrpläne, welcher Schulform auch immer, verzichtet. Dadurch ist das Schülerlabor bundesweit offen für alle Schüler und unabhängig von den landespolitisch unterschiedlichen Lehrplänen. Einzige Teilnahmevoraussetzung ist das aus rechtlichen Gesichtspunkten vorgegebene Alter von 14 Jahren. Willkommen sind Schüler jeder Schulform von Hauptschule über Real- und Gesamtschule und Gymnasium bis hin zu Studenten von Fachhochschulen oder Hochschulen, z.B. der Fachrichtung Design, oder Teilnehmer der Chemieolympiade, von Jugend forscht oder anderen überregionalen Wettbewerben.

Schulchemie wird lebendig

Eine Dissertation in Form einer dreijährigen Langzeitstudie, durchgeführt unter der Regie von Prof. Manfred Euler, soll zeigen, ob bereits der einmalige Besuch im Baylab plastics dazu führt, dass die Schüler Technik und Naturwissenschaft mit anderen Augen betrachten und ein Studium oder einen Beruf in diesem Bereich in Betracht ziehen. Erste qualitative Ergebnisse aus der Pilotstudie zeigen, dass das höchst kreative und anregende Konzept des Schülerlabors von Bayer MaterialScience aufgeht. Die Schüler nehmen eine neue Seite der „trockenen“ Schulchemie wahr. „Sie erfahren,“ so Prof. Euler, „wie sie ihr Wissen in der Praxis anwenden können und lernen, dass sie sich aktiv einbringen müssen. Auch die begleitenden Lehrkräfte erleben völlig neue Seiten bei ihren Schülern. Sie sind häufig überrascht, wie aktiv und mit wie viel Begeisterung ihre Schüler hier an die Aufgaben herangehen. Auch solche Schüler werden aktiv, die im Unterricht eher zurückhaltend sind.“

Der Besuch im Baylab plastics stärkt auch das Selbstkonzept von Mädchen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich auf nachhaltige Weise. Im Baylab plastics ist zu beobachten, dass Mädchen ganz besonderes Interesse an den technischen Vorgängen im Baylab plastics zeigen und die Gelegenheit nutzen, z.B. eine große Spritzgießmaschine zur Herstellung von Kunststoffformteilen einmal selbst bedienen zu können. Der Leiter des Schülerlabors sagt, „Für viele Mädchen gibt es zu wenige Gelegenheiten, solche praktischen Erfahrungen machen zu können. Die Entscheidung für eine berufliche Laufbahn hängt nicht unwesentlich von solchen Gelegenheiten ab.“

Neben Schülern steht das Baylab plastics aber auch Auszubildenden der verschiedensten Ausbildungsberufe offen, sowohl Bayer-intern als auch für Kundenfirmen und Kooperationspartnern. Seit 2008 werden außerdem gezielte Lehrerfortbildungsmaßnahmen durchgeführt. Dass das Konzept von Baylab plastics ankommt, zeigen die langen Wartelisten mit Schulklassen aus dem gesamten Bundesgebiet.

Nun gilt es, die von der EU aufgelegten Förderprogramme und bildungspolitischen Initiativen in Deutschland mit den positiven Erfahrungen der Schülerlaborbewegung in Deutschland zu vernetzen und auch europäische Länder mit einzubeziehen. Bei weiteren Laboren nach dem nachgewiesenermaßen sehr erfolgreichen Konzept des Baylab plastics sind die Initiatoren des Kunststofflabors in Leverkusen bereit, beratend zur Verfügung zu stehen. So können auch andere Unternehmen maßgeblich dazu beitragen, das Image von Naturwissenschaften und Technik bei der jungen Generation nachhaltig zu verbessern.

Mit ähnlichen Initiativen wie Baylab plastics können auch andere Unternehmen maßgeblich dazu beitragen, das Image von Wissenschaftlich und Technik bei der jungen Generation nachhaltig zu verbessern.

Die Autorin ist als freie Journalistin tätig.

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