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Demenzprävention Bonuseffekt der Grippeimpfung – schützt sie vor Demenz?

Redakteur: Christian Lüttmann

Wer mindestens einmal im Jahr eine Grippeimpfung bekommt, könnte zusätzlich von einem verringerten Demenzrisiko profitieren. Auf diesen Zusammenhang deutet eine retrospektive Studie mit Daten von über 120.000 US-Veteranen. Wie sich dieser Effekt erklären ließe, und warum die Studie dennoch mit Vorsicht zu betrachten ist, erklärt ein Experte der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

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Schützt die Grippe-Impfung zusätzlich vor Demenz? Eine retrospektive Studie gibt erste Hinweise auf eine solche Bonuswirkung.
Schützt die Grippe-Impfung zusätzlich vor Demenz? Eine retrospektive Studie gibt erste Hinweise auf eine solche Bonuswirkung.
(Bild: gemeinfrei, CDC / Unsplash)

Essen – Impfungen sind derzeit ein viel diskutiertes Thema. Eine aktuelle Studie hat sich nun nicht auf Corona-Impfungen konzentriert, sondern einen möglichen Nebeneffekt der Grippeimpfung untersucht. Die Hypothese: regelmäßige Grippeimpfungen könnten zu einem geringeren Demenzrisiko führen. Dazu untersuchten Forscher der amerikanischen Saint Louis University eine Gruppe aus über 120.000 US-Veteranen im Alter von durchschnittlich 75,5 Jahren (±7,3). Analysiert wurden die Krankenakten der Studienteilnehmer zwischen dem 1. September 2009 und dem 31. August 2019. Einschlusskriterium war, dass bei den Patienten, die in die Auswertung eingingen, zwei Jahre vor Studienbeginn sowie zum Zeitpunkt des Einschlusses in die Studie keine Demenzdiagnose vorlag. Die Studienteilnehmer wurden dann in Gruppen klassifiziert, je nachdem, ob und wie viele Grippeimpfungen sie im Studienzeitraum erhalten hatten. Im Anschluss daran wurde analysiert, bei wie vielen Personen eine Demenz neu auftrat. Der Effekt von anderen Einflussgrößen wie Alter, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Familienstatus sowie Versicherungsstatus – alles Faktoren, die auf das Demenzrisiko Einfluss nehmen – wurde herausgerechnet, auch die Häufigkeit der Arztbesuche wurde mitanalysiert, um einen möglichen „Früherkennungs-Effekt“ zu verringern.

Signifikanter Effekt

Insgesamt erfassten die Forscher im Mittel einen Zeitraum von rund 6,5 Jahren (80 bis 81 Monate) jedes Probanden. Während dieser Phase erkrankten 15.933 Studienteilnehmer an einer Demenz. Die Analyse ergab, dass die Inanspruchnahme von Grippeimpfungen mit einem geringeren Demenzrisiko einherging. Allerdings kam der Effekt nur dann zum Tragen, wenn insgesamt mehr als sechs Grippeimpfungen innerhalb des Beobachtungszeitraums verabreicht wurden – also mindestens eine Impfung pro Jahr. In diesem Fall stellten die Forscher in ihrer Studie ein um 12 Prozent niedrigeres Demenzrisiko fest als bei Probanden ohne häufige Grippeimpfung (Hazard ratio: 0,88).

„Dieser Effekt ist nicht unerheblich. Bei jährlich etwa 330.000 Demenz-Neuerkrankungen in Deutschland könnten somit durch regelmäßige Grippeimpfungen fast 40.000 Menschen jährlich vor der Diagnose Demenz bewahrt werden“, sagt Prof. Dr. Richard Dodel von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Man müsse allerdings hervorheben, dass es sich um eine retrospektive Auswertung handelt, die keinen Beweischarakter hat, sondern nur eine Assoziation aufzeigen kann. Von solchen Assoziationsstudien gebe es bereits mehrere, wie Dodel erklärt. „Auch experimentelle Studien haben auf einen Zusammenhang zwischen Impfungen und geringerem Demenzrisiko hingedeutet. Die Hypothese, die die aktuelle Studie generiert, lässt sich also auch pathophysiologisch begründen, flankiert durch tierexperimentelle Daten.“

Wie Grippeschutz gegen Demenz wirken könnte

Doch warum könnten Grippeimpfungen vor einer Demenz schützen? Vereinfacht ausgedrückt erklären die Autoren dies so: Die Impfungen führen zu einem Anstieg der Aktivität von so genannten Mikroglia, quasi den „Immunzellen des Gehirns“. Sie erkennen krankheitsauslösende Stoffe und Abfallprodukte und bauen sie ab. Tierexperimentell wurde gezeigt, dass die erhöhte Mikroglia-Aktivität nach Impfung dazu führt, dass Beta-Amyloid vermehrt abgebaut wird. Bei der Alzheimer-Erkrankung sammelt sich Beta-Amyloid an, lagert sich dort zwischen den Nervenzellen wie ein Belag ab (Plaque) und schädigt die Nervenzellen.

„Die grundlegende Idee vieler Alzheimertherapien ist es, Beta-Amyloid aus dem Körper zu schleusen, bevor das Protein Schaden im Gehirn anrichten kann“, sagt Demenzexperte Dodel. Sollten prospektive Studien nun zeigen, dass wiederholte Grippeimpfungen genau diesen Effekt haben und Beta-Amyloid abbauen, wäre das seiner Ansicht nach ein Durchbruch für die Demenztherapie. „Die vorliegenden Daten deuten darauf, haben aber noch keine Beweiskraft. Der beobachtete positive Effekt von Impfungen auf das Demenzrisiko könnte letztlich auch daran liegen, dass Menschen, die sich regelmäßig impfen lassen, auch sonst gesünder leben und somit ein geringeres Krankheitsrisiko haben. Daher brauchen wir nun weiterführende, prospektive Studien, um den Zusammenhang eindeutig zu klären“, lautet das Fazit von Dodel.

Originalpubliaktion: Wiemken TL, Salas J, Hoft DF et al.: Dementia risk following influenza vaccination in a large veteran cohort running head: Influenza vaccination and dementia, Vaccine 2021, Aug 20.

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