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Chemieindustrie: Jahresbilanz 2016 Chemie in schwierigem Fahrwasser: Umsatzrückgang trotz gestiegener Produktion

Redakteur: Dominik Stephan

Schwierige Zeiten für Deutschlands drittgrößten Industriesektor: 2016 bleibt die Entwicklung der Chemie hinter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zurück – und das trotz anziehender Produktion. Nach der US-Wahl und den andauernden wirtschaftlichen Unsicherheiten in Europa und Asien bleiben die Aussichten der Branche auch für 2017 getrübt.

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VCI-Präsident Kurt Bock (2. von rechts): „Das Chemiegeschäft dürfte 2017 ohne nennenswerte Dynamik bleiben, zumal die politischen Unsicherheiten und konjunkturellen Risiken auf den Auslandsmärkten rund um den Globus zugenommen haben."
VCI-Präsident Kurt Bock (2. von rechts): „Das Chemiegeschäft dürfte 2017 ohne nennenswerte Dynamik bleiben, zumal die politischen Unsicherheiten und konjunkturellen Risiken auf den Auslandsmärkten rund um den Globus zugenommen haben."
(Bild: VCI/René Spalek)

Frankfurt – „Ich will nicht lange drum herum reden: 2016 war ein durchwachsenes Jahr für unsere Branche“ – bei seiner ersten Jahrespressekonferenz als VCI-Präsident hatte der BASF-Vorstandsvorsitzende Dr. Kurt Bock wenig Grund zum Jubeln. Zwar konnte die Chemie ihre Produktion leicht um 0,5% steigern, doch ging der Umsatz um 3 % auf etwa 183 Milliarden Euro. zurück. Schuld daran ist in den Augen des Verbands neben der anhaltenden Schwäche wichtiger Absatzmärkte in Europa und Asien ausgerechnet der niedrige Ölpreis.

Hatte die Grundstoffchemie jahrelang über steigende Preise für Rohöl und Energie geklagt, drücken jetzt die niedrigen Rohstoffkosten auf die Erzeugerpreise, erläuterte Bock in Frankfurt. Die Folge: Billigere Chemikalien und weniger Umsatz, geringere Auslastung der Produktionsanlagen (mit etwa 83,7 % am unteren Ende des Vierjahresschnitts) und zurückgehende Investitionen (-0,3 % im Ausland auf 7,1 Milliarden Euro bzw. -2,8% bei den Inlandsinvestitionen auf insgesamt 8,4 Milliarden Euro). Immerhin: Der anhaltend schwache Euro wirkt für die gebeutelte Branche wie eine Konjunkturspritze – so sank der Auslandsumsatz um lediglich 2,5% (gegenüber 4% im Inland).

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„Diese Bilanz mag in Anbetracht der politischen Turbulenzen in Europa und der Verunsicherung vieler Marktteilnehmer nicht überraschen – für uns ist sie gleichwohl unbefriedigend“, stellte Bock in Frankfurt fest.

Pharmazeutika werden zur Medizin gegen den Abschwung

Besonders die Fein- und Spezialchemie (-0,5%) aber auch Grundstoffe (-1,5%) und Konsumchemikalien (-2,5%) spüren die Nachfrageschwäche auf Schlüsselmärkten Europas und Asien sowie – in Deutschland – den Preisdruck durch günstige Importe.

Dahingegen wirkt der Pharmasektor wie ein Stabilitätsanker: Um satte 4% legte das Geschäft mit Arzneimitteln, Pillen und Medikamenten 2016 zu. Eine „mehr als robuste“ Entwicklung, die sich auch 2017 so fortsetzen soll. Nicht zuletzt, um im Kampf um diese High-End-Produkte nicht ins Hintertreffen zu geraten, gibt die Deutsche Chemie weiterhin mehr Geld für Forschung und Entwicklung aus: Auf satte 10,7 Milliarden Euro steigen die F&E-Budgets der Branche (+2%).

Fachkräftemangel in technischen Berufen verschärft sich (Bildergalerie Marktbarometer)
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Immerhin: Die Beschäftigungszahlen blieben trotz des schwachen konjunkturellen Umfelds 2016 stabil. Insgesamt beschäftigt die Chemieindustrie in Deutschland 446.300 Mitarbeiter – ein unveränderter Wert gegenüber dem Vorjahr.

Brexit, Flüchtlingskrise, politische Instabilität und die Wahl des wohl umstrittensten Präsidenten der US-Geschichte – auch 2017 kommt die Chemie nicht zur Ruhe. „Zum Jahresende hin ist der Umsatz zwar wieder gestiegen, aber eine Trendwende können wir darin noch nicht erkennen“, erklärte Bock.

Was bringt 2017? Und welche Rolle spielt die Digitalisierung für die Chemieindustrie? Lesen Sie mehr auf Seite 2!

Sorgen bereitet dem Verband dabei vor allem die anhaltende Schwächeperiode entscheidender Schwellenländer wie Russland und Brasilien, aber ganz besonders China, wo der VCI mit einem längerfristigen Wachstumsrückgang rechnet, sowie die anhaltende Unsicherheit der EU.

Auch die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA trägt nicht zur guten Stimmung bei – zu groß seien die Unsicherheiten, die sich aus den angekündigten handelspolitischen Maßnahmen des Milliardärs ergeben, so Bock. „Diese Entscheidungen haben enorme Ausstrahlungseffekte über die Region hinaus“, erklärte der VCI mit Blick auf das mindestens ebenso umstrittene Freihandelsabkommen TTIP, für das die exportstarke Branche mit allen Mitteln getrommelt hatte.

VCI-Präsident Kurt Bock (2. von rechts): „Das Chemiegeschäft dürfte 2017 ohne nennenswerte Dynamik bleiben, zumal die politischen Unsicherheiten und konjunkturellen Risiken auf den Auslandsmärkten rund um den Globus zugenommen haben."
VCI-Präsident Kurt Bock (2. von rechts): „Das Chemiegeschäft dürfte 2017 ohne nennenswerte Dynamik bleiben, zumal die politischen Unsicherheiten und konjunkturellen Risiken auf den Auslandsmärkten rund um den Globus zugenommen haben."
(Bild: VCI/René Spalek)

So sieht der VCI auch 2017 keine stärkere Dynamik: Zwar rechnet der Verband mit einer Wachstumssteigerung von 0,5 % und leicht ansteigenden Preisen, jedoch bleibe die Aussicht „spekulativ“ und ohne „nennenswerte Dynamik“. Vorsichtig optimistische Schätzungen gehen von einer Umsatzsteigerung um 1 % auf 185 Milliarden Euro aus, wobei dieses Wachstumsplus lediglich vom Auslandsgeschäft getragen würde.

Industrie 4.0 auf dem Weg in die Chemie

Den Befreiungsschlag soll die konsequente Anwendung der Digitalisierung bringen. „Die Welt der chemischen Industrie befindet sich im Umbruch“ – Wachstumszentren verschieben sich, die Schwellenländer forcieren mit großen Schritten ihre Innovationsprozesse und die Globalisierung der Wertschöpfungsketten stellt ganz neue Herausforderungen. Jetzt will sich die Chemie dem Wandel auf breiter Front stellen und sich mit neuen, vernetzten Produkten und Lösungen positionieren – quasi Chemie 4.0.

„Ich bin überzeugt, dass wir vor einer Weichenstellung stehen. Chemie 4.0 drückt dies aus und ist mehr als nur die weitere Digitalisierung der Industrie“, betonte VCI-Präsident Bock. „Chemie 4.0 steht für die Strategie, durch Innovationen auf allen Ebenen nachhaltiges Wachstum für die Branche zu erzeugen.“ Konkret sollen Visionen wie die vorausschauende Steuerung der Anlagen durch „Predictive Maintenance“, der punktgenaue Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln in der Landwirtschaft durch „Digital Farming“, oder eine bessere Steuerung der Logistik die Digitalisierung zur Steigerung der Kosten- und Ressourceneffizienz nutzen.

Nicht nur in der Produktion: Forscher spekulieren auf Big-Data

Auch Forschung und Entwicklung profitieren stark von den Auswertungsmöglichkeiten großer Datenmengen. Mit Chemie 4.0, so der VCI, will die Branche zudem ihre Funktion in den Wertschöpfungsketten weiterentwickeln. Das Ziel: Nicht nur Lieferant von Vorleistungen zu sein, sondern sich als Anbieter von ganzheitlichen Lösungen für die Kunden zu etablieren. 3D-Druck ist hier ein Beispiel für ein neues Geschäftsmodell

„Unter Chemie 4.0 verstehen wir mehr, als nur die Chancen zu nutzen, die sich durch die Digitalisierung eröffnen. Nachhaltigkeit wird zum umfassenden Leitbild und Zukunftskonzept für das Handeln der Branche. Das unterstreicht unsere Nachhaltigkeitsinitiative Chemie3“, betonte Bock. Dazu gehöre, dass die Chemie eine wichtige Funktion in einer Kreislaufwirtschaft durch die Wiederverwertung kohlenstoffhaltiger Abfälle übernehmen könne. Aber auch die mittelfristige Perspektive, Wasserstoff aus erneuerbaren Energien in Kombination mit CO2 für die Produktion von Grundchemikalien einzusetzen.

(ID:44424550)