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Desinfektionsmittel Chlor in Wasser und die Folgen

Autor / Redakteur: GUIDO DEUßING* / Dipl.-Chem. Marc Platthaus

Der Einsatz chlorhaltiger Hygieneprodukte in der Wasseraufbereitung reduziert die Zahl der Schadkeime, kann jedoch unerwünschte Nebenprodukte wie halogenierte Essigsäuren (HAA) hervorrufen. Der effiziente und sichere Nachweis von HAA in Wasser im Rahmen der Routineanalytik ist daher sinnvoll.

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Abb. 1: Desinfektionsmittel können Trinkwasser durch unerwünschte Nebenprodukte belasten.
Abb. 1: Desinfektionsmittel können Trinkwasser durch unerwünschte Nebenprodukte belasten.
(Foto: © anibal - Fotolia)

Auf Einladung des IWW Zentrums Wasser trafen sich im Oktober 2014 in Mülheim an der Ruhr internationale Fachleute, um sich über Einsatz und Folgen von Desinfektionsmitteln in der Wasseraufbereitung auszutauschen. Dabei zeigte sich u.a., die Behandlung von Wasser mit Chlor oder anderen chemischen Desinfektionsmitteln ist nicht unkritisch, wie David Benanou sagt.

Der Chromatographie-Experte von Veolia in Frankreich hat auf der IWW-Konferenz „Disinfection by-products in drinking water“ eine gemeinsam mit Kollegen entwickelte Methode zum automatisierten Nachweis gesundheitsschädlicher halogenierter Essigsäure (HAA) in Wasser vorgestellt [1]. Zudem stellte Benanou Untersuchungsergebnisse vor, die Auskunft geben, welchen Einfluss Desinfektionsmittel auf Kunststoffrohre haben können [2].

Fluch und Segen von Desinfektionsmitteln

Der Einsatz chlorhaltiger Desinfektionsmittel in der Trink- und Schwimmbadwasseraufbereitung zielt darauf ab, im Wasser vorliegende pathogene mikrobielle Kontaminationen unschädlich zu machen. Chlor sowie auch andere zur Desinfizierung eingesetzte Präparate, bekämpfen jedoch nicht nur Schadkeime, sie können obendrein mit natürlicherweise in Wasser gelösten oder eingetragenen organischen und anorganischen Verbindungen reagieren unter Bildung unerwünschter Nebenprodukte (engl. disinfection by-products, DBP).

Auf manchen der bislang rund 600 identifizierten DBP liegt ein besonderes Augenmerk, stehen sie doch im Verdacht, die Gesundheit des Menschen zu beeinträchtigen, z.B. so genannte Trihalogenmethane (THM), mit Chloroform als einem der namhaften Vertreter dieser Verbindungsklasse, sowie die halogenierten Essigsäuren (Haloacetic acids, HAA) Monochloressigsäure, Dichloressigsäure, Trichloressigsäure, Monobromessigsäure und Dibromessigsäure, die der Reaktion von Halogenen mit Essigsäure entstammen. Ihres gesundheitsschädlichen Potenzials wegen – die US-Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) stuft benannte Verbindungen bzw. Verbindungsklassen als „wahrscheinlich karzinogen“ ein [3] – stehen THM und die genannten HAA5 in den USA auf der Fahndungsliste. Der Grenzwert der Gesamtmenge an THM (TTHM) in Trinkwasser beträgt in den USA 0,08 mg/L [4], hierzulande 0,05 mg/L [5]. Die EPA betrachtet 0,06 mg/L HAA5 als grenzwertig, der Europäischen Union liegt laut David Benanou die Empfehlung vor, die zulässige Gesamtmenge an HAA in Trinkwasser auf 0,08 mg/L zu beschränken.

Jede Grenzwertdiskussion führt letztlich zur Frage, in welcher Menge eine Substanz gesundheitsgefährdend sein kann. Im Zusammenhang mit den HAA scheint die Diskussion überfällig vor allem auch, weil in früheren Studien im Urin von Kindern und Erwachsenen, die in Chlorwasser geschwommen waren, deutlich erhöhte Werte von HAA festgestellt wurden [6]. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sei das Gesundheitsrisiko, das von Nebenprodukten der Desinfektion (DBP) ausgehe, extrem gering im Vergleich zu dem Risiko das bestünde, würde man darauf verzichten, Wasser zu desinfizieren [7]. Indes erscheint es geboten, im Interesse der Verbraucher das Ausmaß einer möglichen Belastung von Trink- oder Badewasser durch DBP im Rahmen routinemäßiger Kontrollen zu überwachen.

Aus Sicht von David Benanou und Kollegen bedarf es einer effizienten Methode, um die HHA-Bestimmung für Routineanwendungen zu erleichtern. Die von der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA präferierte GC/ECD-Methode (US EPA 552.3) [8] sei richtungsweisend, jedoch auch sehr komplex, zeitaufwändig und lösemittelintensiv, zudem limitiere die aufwändige manuelle Probenvorbereitung den Durchsatz auf acht bis neun Proben pro Arbeitstag, sagt der Wissenschaftler. Mit dem Ziel, die Effizienz der Bestimmung zu steigern, haben er und seine Kollegen die Analyse miniaturisiert und automatisiert [6].

Halogenierte Essigsäuren im Fokus

Im Zentrum ihrer Methode stehen der Anreicherungsschritt der vergleichsweise gering konzentrierten HAA sowie deren Derivatisierung. HAA sind von Natur aus sehr polar und nur schwer gaschromatographisch zu trennen. Der Zeitbedarf für die Bearbeitung einer Probe beträgt aufgrund der Automatisierung auf einem Gerstel-Multi-Purpose-Sampler (MPS) jedoch nur einen Bruchteil der sonst üblichen Zeit, zudem ließe sich die Analyse durch eine zeitliche Verschachtelung von Probenvorbereitung und GC-Lauf (Prep-Ahead-Funktion) beschleunigen, was einen Durchsatz von 32 Proben pro Tag ermögliche – bei einem manuellen Arbeitsaufwand von nur einer Stunde und einem geringen Lösemittelverbrauch. Die Bestimmungsgrenze liege bei 1 ppt; die Methode wurde für alle untersuchten HAA validiert und zeuge insgesamt von guter Linearität (0,5 bis 50 ppb) und Wiederholbarkeit (1 bis 40 ppb, n = 3), berichtet David Benanou.

Kunststoffrohre können auslaugen

Der Einsatz halogenhaltiger Desinfektionsmittel übe nicht alleine einen Einfluss auf die im Wasser vorkommenden organischen und anorganischen Bestandteile aus, gibt der Wissenschaftler zu bedenken. Trinkwasser- und Schwimmbadwassersysteme enthielten immer auch zahlreiche polymerbasierte Komponenten wie Rohrleitungen, Dichtungen, Siebe oder Membranen, die in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Aufmerksamkeit richtet Benanou dabei vor allem auf die im Polymer enthaltenen Additive: „Durch Zusatz von Weichmachern und Stabilisatoren lassen sich Kunststoffe auf ihre spätere Anwendung maßschneidern. Allerdings lässt sich nur schwer abschätzen, wie ein Polymerwerkstoff und die darin enthaltenen Additive auf chlorhaltige Desinfektionsmittel reagieren“, meint der Wissenschaftler. Um mögliche DBP zu bestimmen, die der Reaktion von Desinfektionsmitteln und Polymermaterialien entstammen, seien empirische Tests erforderlich, für die David Benanou und Kollegen ein spezielles Versuchsdesign nebst anschließender Thermodesorptions-GC/MS-Analyse entworfen haben. Zentrales Element ihres Verfahrens bildet die Stir Bar Sorptive Extraction (SBSE): Die SBSE ist eine leistungsfähige Extraktions- und Anreicherungstechnik für den Ultraspurennachweis organischer Verbindungen aus flüssigen Matrices und basiert auf einem der Festphasenmikroextraktion (Solid Phase Micro Extraction, SPME) vergleichbaren Prinzip. Bei beiden Methoden erfolgt die Extraktion der Analyten in eine polymere Sorptionsphase, die mit der Probe in Kontakt gebracht wird. Bei der SPME befindet sich die Sorptionsphase aufgebracht auf eine Faser; bei der SBSE dient ein glasgekapseltes Rührstäbchen für Magnetrührer (Gerstel-Twister) als Träger der Sorptionsschicht.

Der Twister besitzt seiner Geometrie wegen eine deutlich großvolumigere Sorptionsphase als eine SPME-Faser. Seine Handhabung sei einfach, sicher und routinefreundlich, sagt Benanou: „Die Extraktion der Analyten erfolgt, während der Twister, seiner Natur nach ein Rührfisch, die Probe durchmischt. Der Twister wird entnommen, trocken getupft, in ein Glasröhrchen überführt und mittels Multi-Purpose-Sampler (MPS) automatisiert in einer Thermal-Desorption-Unit (Gerstel-TDU) bzw. dem Thermal-Desorption-System (Gerstel-TDS/TDSA) in einem Trägergasfluss thermisch desorbiert, wobei die Analyten freigesetzt und in ein GC/MS-System überführt und bestimmt werden.“ Um mögliche „Leachables“ aus Kunststoffrohren bestimmen zu können, haben sich David Benanou und Kollegen ein besonderes, durch seine Einfachheit bestechendes Versuchsdesign überlegt: Die zu untersuchenden Rohre werden eingekürzt, einseitig verschlossen und für eine bestimmte Dauer mit einem wässrigen Reaktionsreagenz versetzt, aus der die SBSE – hierzu werden die Rohre auf Magnetrührer gestellt – möglicher DBP erfolgt. Der Twister wird wie oben beschrieben analysiert – d.h. „automatisiert und ohne den Einsatz toxischer Lösemittel“, betont der Wissenschaftler.

Versuchsdesign erleichtert Materialprüfung

Die Resultate, die Benanou und Kollegen erzielten, seien denkwürdig gewesen, gab der Experte auf der IWW-Konferenz „Disinfection by-products in drinking water“ in Mülheim a.d. Ruhr zu Protokoll. In Kunststoffrohren etwa, die mit Mineralwasser in Kontakt gebracht wurden, hätten sie Kunststoffadditive (Stabilisatoren) nachgewiesen, und in Polymerrohren, die mit Desinfektionsmitteln in Berührung kamen, fanden sich halogenierte Phenole wie 2,4,6-Trichlorphenol, eine Verbindung, die unter mikrobiellem Einfluss zu dem muffig riechenden 2,4,6-Trichloranisol (TCA) umgewandelt werden könne [2]. David Benanou und Kollegen kommen zu dem Schluss, dass eine Kontrolle im Trinkwasserbereich eingesetzter Polymerwerkstoffe mittels SBSE-TDU-MPS-GC/MS effektiv, sensitiv und routinetauglich sei. Damit lasse sich die Einwirkung von Desinfektionsmitteln auf das Material nachvollziehen und eine mögliche Trinkwasser-Belastung mit DBP zielführend untersuchen und aufklären.

Literatur

[1] Poster-Präsentation auf der DBP 2014: Efficient Monitoring of Regulated By-Products using automated, miniaturized, green techniques. David Benanou und Dalel Benali-Raclot, Veolia Environnement, R&D Centre for Water, Maisons Laffitte (Paris), France.

[2] Poster-Präsentation auf der DBP 2014: Characterization of emerging Disinfection By-Products from Polymeric Materials by insitu Stir Bar Sorptive Extraction-GC/MS. Authors: David Benanou and DalelBenali-Raclot, Veolia Environnement, R&D Centre for Water, Maisons Laffitte (Paris), France.

[3] Controlling Disinfection By-Products and Microbial Contaminants in Drinking Water, US EPA

[4] National Primary Drinking Water Regulations, http://water.epa.gov/drink/contaminants/upload/mcl-2.pdf

[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Trihalogenmethane

[6] Haloacetic Acids in Swimming Pools: Swimmer and Worker Exposure. Environ. Sci. Technol. 45 (2011) 5783-5790

[7] Disinfections and Disinfection By-Products, www.who.int/water_sanitation_health/dwq/S04.pdf bzw. www.who.int/water_sanitation_health/dwq/fulltext.pdf

[8] Determination of haloacetic acids and dalapon in drinking water by liquid-liquid micro extraction, derivatization, and gas chromatography with electron capture detection, www.epa.gov/ogwdw/methods/pdfs/methods/met552_3.pdf

* G. DEUßING: Redaktionsbüro G. Deußing, 41464 Neuss

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