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Genome Editing CRISPR/Cas: Wohin geht die Reise beim Genome Editing?

Autor Dr. Ilka Ottleben

Über CRISPR/Cas und andere Verfahren des Genome Editing wird derzeit viel geredet, auch viel spekuliert. Von der Chance auf Heilung von Erbkrankheiten bis zum Designer-Baby ist die Rede. Was kann die so genannte Gen-Schere wirklich - heute und in Zukunft? Was (bislang) nicht? Hier finden Sie einige Antworten.

Genome Editing und die Entdeckung der Gen-Schere CRISPR/Cas9 gilt als Revolution in der Molekularbiologie (Symbolbild)
Genome Editing und die Entdeckung der Gen-Schere CRISPR/Cas9 gilt als Revolution in der Molekularbiologie (Symbolbild)
(Bild: NATALIMIS / stock.adobe.com)

Wohl kaum eine molekularbiologische Methode hat in den letzten Jahren so an Fahrt aufgenommen wie das Genome Editing – und steht gleichzeitig so in der öffentlichen Diskussion. Doch was ist Genome Editing eigentlich genau? Was das viel beschriebene CRISPR/Cas9 System? Wird es künftig tatsächlich möglich sein, Krebs, Aids oder Erbkrankheiten wie Chorea Huntington durch das gezielte Editieren von Genen zu heilen oder gar Designer-Babys zu kreieren? Wem gehört das mächtige Werkzeug der Molekularbiologie eigentlich und wie ist der Stand der Technik in Deutschland und Europa?

Genome Editing und CRISPR/Cas – die Entdeckung

Im Jahr 2011 veröffentlichte Emmanuelle Charpentier einen bahnbrechenden Aufsatz im Fachjournal Nature. Darin beschrieb sie gemeinsam mit Kollegen erstmals das CRISPR/Cas System und seinen grundlegenden Mechanismus: Demnach besitzen Bakterien der Art Streptococcus pyogenes, die beim Menschen z.B. Halsentzündungen hervorrufen, eine Art „Immunsystem“, mit dem sie sich selbst gegen Angriffe durch Viren schützen.

Dazu fügen die Streptokokken ein Stück des fremden Erbguts in ihre eigene DNA ein. Bei einem erneuten Virenangriff erkennt das Bakterium das virale Erbgut und zerschneidet es mithilfe einer Cas (engl. CRISPR-associated System) genannten Nuklease. Es gibt verschiedene Cas-Nukleasen, Cas9 ist eine davon. Beim Erkennen der DNA-Sequenzen helfen den Bakterien so genannte Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats – kurz CRISPR.

2012 beschrieb die heutige Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie Charpentier gemeinsam mit Jennifer Doudna und ihrem Team an der kalifornischen Universität Berkeley, wie sich CRISPR/Cas9 nutzen lässt, um die isolierte DNA eines Bakteriums zu zerschneiden. Das ließ die Molekularbiologie jubeln: Die so genannte Gen-Schere erlaubte nun auf einfache Weise, was vorher nur sehr zeitaufwändig und kostenintensiv und/oder fehleranfällig möglich war: Das gezielte also sequenzspezifische Umschreiben – Editieren – von Erbgut.

Wem gehört CRISPR/Cas9?

Erstaunlicherweise funktionierte diese molekulare Schere zudem nahezu gleichermaßen gut in allen Organismen. Wie sich die Methode bei höheren Lebewesen, so genannten Eukaryonten, also Pflanzen, Tieren und Menschen, anwenden lässt, veröffentlichten im Jahr 2013 Forscher um Feng Zhang vom Broad Institute of Cambridge. Beide Forschergruppen lieferten sich in der Folge einen jahrelangen Patentstreit um die Rechte an dieser Technik. Das Europäische Patentamt (EPA) vergab ein Patent an das Team Kalifornien um Charpentier und Doudna, Feng Zhang in Massachusetts erhielt 10 Patente, die nach Einspruch aus Kalifornien teilweise aufgrund eines Formfehlers aberkannt wurden.

Der erbitterte Streit ist nicht ohne Grund. Denn mit CRISPR/Cas war ein mächtiges Routine-Werkzeug der Molekularbiologie geboren, mit dem sich bald zahlreiche neue Anwendungsmöglichkeiten und Hoffnungen verknüpften. In der Pflanzen- und Tierzüchtung, der Biotechnologie und der Medizin. Letztlich geht es dabei auch um viel Geld.

CRIPR/Cas – Das Funktionsprinzip

Warum? Dazu lohnt ein kurzer Blick auf die Funktionsprinzipien des Genome Editing im Allgemeinen und des CRISPR/Cas9 Systems im Speziellen. Das Genome Editing – neben„Gen-Schere“ ist auch „Genchirurgie“ ein häufig verwendeter Begriff – umfasst verschiedene Methoden, mit denen sich an definierten Stellen einer DNA-Sequenz Mutationen einfügen lassen. Beispielsweise lassen sich auf dieser Weise einzelne Basen verändern (Punktmutation) oder aber längere Sequenzen einfügen oder entfernen. Punktmutationen verändern das Leseraster von Genen, die so z.B. gezielt ausgeschaltet werden können.

Die Basis dieser Genome-Editing-Methoden bilden sequenzspezifische Nukleasen wie Cas9 (CRISPR associated protein 9), TALEN (transcription activator-like effector nuclease) oder Zinkfinger-Nukleasen. CRISPR/Cas9 ist grob gesagt das am einfachsten herzustellende und anzuwendende System in diesem Reigen, was seinen Erfolg mit begründet. Aus folgenden Komponenten besteht das CRISPR/Cas9 System:

  • Einer molekularen „Sonde“, der single guide RNA, die genau die Zielstelle für eine Mutation im Genom findet.
  • Der an diesen „Lotsen“ gekoppelten so genannten Gen-Schere“ Cas9, die den DNA-Doppelstrang genau an dieser Stelle schneidet.
  • Zelleigenen Reparatursystemen, die den durchtrennten DNA-Strang reparieren. Dabei machen sie jedoch meist kleine Fehler: Eine (gewollte) Mutation entsteht.

Das CRISPR/Cas-Funktionsprinzip erklärt anschaulich auch dieses Video der Max-Planck-Gesellschaft ((c) MPG):

Mögliche Anwendungen von Genome Editing – Beispiel Pflanzenzüchtung

Mutationen sind Basis jeder Evolution aber auch jeder Züchtung. Sie erzeugen genetische Vielfalt und damit die Chance, dass neue verbesserte Eigenschaften entstehen. Konventionelle Züchtungsmethoden bedienen sich Chemikalien oder radioaktiver Bestrahlung, um solche Mutationen im Genom von Pflanzenzellen zu erzeugen. Die Mutationen entstehen dabei vollkommen ungerichtet und zu Tausenden. Ob dabei einige wenige unter ihnen zu einer verbesserten Eigenschaft führen, entscheidet letztlich der Zufall.

Die konventionelle Pflanzenzüchtung benötigt etwa 7 bis 10 Generationen bis zu einer neuen Sorte. Das gezielte Einfügen von Mutationen per Genome Editing könnte diesen Prozess auf 1 bis 2 Generationen verkürzen und damit einfacher und kostengünstiger machen. Die Mutationen werden zudem gerichtet erzeugt und nicht wie bei klassischen Züchtungsverfahren nach dem initiierten Zufallsprinzip. Der Mechanismus ihrer Entstehung, der durch CRISPR/Cas9 ausgelöst wird, entspricht im weiteren Verlauf einer natürlichen Mutation, wie sie in der Natur auch spontan entstehen könnte.

Mögliche Züchtungsziele in der Pflanzenzüchtung, die sich per Genome Editing gezielter erreichen ließen, sind z.B.:

  • Resistenz gegenüber Schaderregern
  • Toleranz gegenüber abiotischem Stress (z.B. Hitze, Trockenheit, Salz; Stichwort Klimawandel)
  • Ertragssteigerung
  • Verbesserte Lebensmittelqualität
  • Herbizidtoleranz

CRISPR bei Pflanzen: Was am Beispiel Weizen möglich ist, erläutert Prof. Karl-Heinz Kogel von der Uni Gießen in diesem Video ((c) transGEN):

Je nach Anwendung besitzen neben CRSIPR/Cas auch andere Genome-Editing-Methoden hohes Anwendungspotenzial. TALEN beispielsweise kommt ohne eine Nukleinsäure-Komponente aus und funktioniert nur auf Protein-Basis.

Genome Editing am Menschen?

Auch in der Medizin weckt Genome Editing und CRISPR/Cas große Hoffnungen, insbesondere als möglicherweise sicherere, weil spezifischere Alternative zur ebenfalls noch recht jungen „Gentherapie“ auf Basis klassischer Gentechnik. Letztere versucht schwere, auf einem Gen-Defekt beruhende Erkrankungen in der Art zu behandeln, dass mithilfe von Viren ein neues funktionstüchtiges Gen in die Körperzellen der Patienten eingeschleust wird. Problem: Wo genau dieses Gen in das Genom der Zellen integriert wird, lässt sich nicht vorhersagen, denn auch hier regiert das Zufallsprinzip.

Theoretisch besteht somit die Gefahr, dass durch die Integration des „Fremdgens“ Tumorsuppressorgene inaktiviert oder aber stillgelegte Onkogene aktiviert werden. Beides würde die Entstehung von Krebs als eine mögliche Nebenwirkung der Gentherapie fördern.

Per Genome Editing ließen sich nun bereits vorhandene Gene mit hoher (aber ebenfalls nicht absoluter) Spezifität editieren, z.B. defekte Gene gezielt reparieren oder aber für ein Krankheitsgeschehen essentielle Gene gezielt ausschalten.

Das weckt Hoffnungen, bestimmte Erberkrankungen des Menschen, einzelne Infektionserkrankungen oder aber bestimmte Formen von Krebs künftig überhaupt oder besser behandeln zu können.

Beispiele für Erkrankungen, bei denen neue auf Genome Editing basierende Therapieformen z.T. schon an Mäusen oder in ersten klinischen Studien an Menschen untersucht wurden sind:

  • Muskeldystrophie Duchenne
  • Tyrosinämie
  • Chorea Huntington
  • HIV
  • Sichelzellenanämie
  • Krebs, z.B. Leukämie, Lymphome, Lungenkrebs

Herausforderungen, die sich bei der Entwicklung neuer Therapieformen auf der Basis von Genome Editing stellen sind u.a.

  • Keine absolute Spezifität und damit z.B. potenzielle Gefahr der Krebsentstehung
  • DNA-Reparatur-Mechanismus nach Strangbruch erfordert sich teilende Zellen
  • CRISPR/Cas-Aktivität in den Zellen „nach“ Gentherapie
  • Geeignete Darreichungsform (Nanopartikel, Viren)
  • Das Ausschalten von Genen, die für eine Erkrankung essentiell sind, könnte möglicherweise anfälliger für andere Erkrankungen machen (jüngstes Beispiel: HIV)

Beim möglichen therapeutischen Einsatz des Genome Editing grundsätzlich zu unterscheiden sind zudem

  • Eingriffe in Körperzellen des Menschen von
  • Eingriffen in dessen Keimbahn.

Während viele Forscher in den kommenden Jahren auf dem Gebiet des Genome Editing von Körperzellen enorme Forstschritte erwarten, werfen Eingriffe in die menschliche Keimbahn – solche Eingriffe also, die an die künftigen Generationen vererbt werden, viele soziale, rechtliche und ethische Fragen auf, die derzeit größtenteils noch unbeantwortet sind. Viele Forscher lehnen solche Anwendungen des Genome Editing daher zum jetzigen Zeitpunkt ab, wie jüngst auch eine Stellungnahme der Max-Planck-Gesellschaft zeigte.

Eingriffe in die menschliche Keimbahn oder die Verwendung menschlicher Embryonen für die wissenschaftliche Forschung sind in Deutschland und 13 weiteren europäischen Ländern verboten.

Designer-Babys per Genome Editing?

Über ein solches auch in China bestehendes Verbot setzte sich jüngst He Jiankui von der Southern University of Science and Technology in Shenzhen hinweg und veränderte per künstlicher Befruchtung erzeugte Embryonen mithilfe der Gen-Schere CRISPR/Cas9 derart, dass sie nach Angaben von Jiankui, resistent gegen HIV sind. Die Geburt der ersten CRISPR/Cas Babys, der Zwillinge Nana und Lulu, verkündeter der Wissenschaftler Ende letzten Jahres medienwirksam, was weltweit für ein erneutes Aufflammen der Diskussion um gentechnisch veränderte Menschen führte.

Kritiker fürchten neben weiteren ethisch fragwürdigen Alleingängen von Forschern auch, dass CRISPR/Cas künftig den Weg hin zum Designer-Baby ebnen könnte. Die überwiegende Mehrzahl der Eigenschaften des Menschen wird jedoch multifaktoriell vererbt. Allein für die Ausprägung der Haarfarbe beispielsweise sind über 120 Genregionen verantwortlich. Daher dürfte sich der „Mensch nach Maß“ so bald nicht erschaffen lassen. Auch nicht mit dem mächtigen Werkzeug Genome Editing und abseits aller ethisch moralischen Fragwürdigkeit .

Gene-Drive: Evolution im Zeitraffer

Eine andere mögliche Anwendung, die in jüngerer Zeit im Zusammenhang mit Genome Editing Hoffnungen bei den einen oder Ängste bei den anderen weckt, ist die Kombination mit der so genannten Gene‐Drive‐Technologie. Dabei versuchen Forscher eine Veränderung des Erbguts von Organismen innerhalb weniger Generationen auf eine ganze Population beispielsweise von wildlebenden Insekten zu übertragen, indem diese Veränderung vererbt wird. Eine Evolution im Zeitraffer sozusagen.

Bestimmte Mückenarten beispielsweise solche, die Krankheiten wie Malaria oder Dengue auf den Menschen übertragen, könnten auf diese Weise möglicherweise resistent gegen die Krankheitserreger oder aber unfruchtbar gemacht werden, so das Ziel. Als Mittel der Schädlingsbekämpfung gibt es solche Ansätze der induzierten Unfruchtbarkeit von Insekten in einigen Ländern bereits, wobei diese – ähnlich wie bei Pflanzen – durch Chemikalien oder radioaktive Bestrahlung erzeugt wird.

Gentechnische veränderte Organismen oder Transgene – ja oder nein?

Durch Genome Editing Methoden wie CRISPR/Cas können gezielt Mutationen erzeugt werden, wie sie prinzipiell auch auf natürliche Weise entstehen. Darüber hinaus ist mit dieser Technik auch das Einfügen oder Entfernen längerer DNA-Sequenzen oder ganzer Gene möglich. Prinzipiell kann man Genome Editing Mutagenese unterscheiden in

  • Verfahren, die keine exogene Nukleotidmatrix verwenden und
  • Verfahren, die eine exogene Nukleotidmatrix verwenden.

Zuletzt genannte Verfahren können auch im Sinne ihrer Definition Transgene Organismen erzeugen. Jedoch ist es mit Genome Editing auch möglich zwar einen gentechnisch veränderten jedoch nicht im eigentlichen Sinne transgenen Organismus herzustellen.

Ein wesentlicher Unterschied zu Methoden der klassischen Gentechnik ist, dass das Erzeugen der Mutationen oder das Einfügen von „Fremdgenen“ in das Genom gezielt und nicht zufällig erfolgt. Inwiefern bzw. in welchem Ausmaß auch Genome Editing so genannte Off-Targets erzeugt, Stellen im Genom also, die nicht getroffen werden sollten, die aber trotzdem verändert wurden, ist derzeit noch Gegenstand der Risikoforschung. Schon jetzt klar ist aber, dass dies in wesentlich geringerem Ausmaß der Fall ist, als bei allen herkömmlichen Methoden der klassischen Gentechnik.

EuGH-Urteil zu Mutageneseverfahren

Was die regulatorische Bewertung von Mutageneseverfahren in Europa anbelangt, so hat der Europäische Gerichtshofs (EuGH) auf eine Anfrage des französischen Verwaltungsgerichts hin am vom 25.Juli 2018 ein Urteil gefällt: Hiernach sind alle durch Mutagenese gewonnenen Organismen genetisch veränderte Organismen (GVO) und unterliegen grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen, egal ob sie durch zufällige Mutagenese-Verfahren wie Bestrahlung oder Chemikalien oder durch Genome Editing wie CRISPR/Cas gezielt durchgeführt wurden.

Greifbarere Anwendungen des Genome Editing beispielsweise in der Pflanzenzüchtung dürften durch dieses Urteil massiv erschwert werden. Viele Wissenschaftler sind der Ansicht, dass das Urteil nicht den wissenschaftlichen Kenntnisstand widerspiegelt, Verbände sind geteilter Meinung.

* Dr. I. Ottleben Redaktion LABORPRAXIS E-Mail ilka.ottleben@vogel.de

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