Indizienbeweis fürs Tetra-Neutron Das neutralste Teilchen der Welt
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Vier Neutronen, nicht mehr und nicht weniger – so setzt sich das bisher hypothetische Tetra-Neutron zusammen. Physiker aus München haben nun weitere Hinweise auf dessen Existenz gefunden – bewahrheitet sich das, müsste eine der vier Grundkräfte des Universums neu überdacht werden.

München – In der Kernphysik sind die Experten sich darüber einig, dass es im Universum keine Systeme gibt, die nur aus Protonen bestehen. Anders sieht die Sachlage bei den Neutronen aus: Seit über 50 Jahren suchen Physiker nach Teilchen, die aus zwei, drei oder vier Neutronen zusammengesetzt sind. Würde ein solches Teilchen existieren, müssten Teile der Theorie der starken Wechselwirkung, einer der vier Grundkräfte des Universums, neu überdacht werden. Darüber hinaus könnte das eingehendere Studium dieser Teilchen helfen, die Eigenschaften von Neutronensternen besser zu verstehen.
„Die starke Wechselwirkung ist im wahrsten Sinne des Wortes die Kraft, die die Welt im Innersten zusammenhält. Schwerere Atome als Wasserstoff, wären ohne sie undenkbar“, sagt Dr. Thomas Faestermann von der Technischen Universität München (TUM). Mit seinem Team hat am Beschleuniger-Labor auf dem Forschungscampus Garching Experimente durchgeführt, um dem hypothetischen Tetra-Neutron – also einem Teilchen aus vier gebundenen Neutronen – auf die Spur zu kommen. Und tatsächlich deutet nun alles darauf hin, dass in einem der letzten Experimente am inzwischen stillgelegten Tandem-Van-de-Graaff-Beschleuniger genau solche Teilchen entstanden sind.
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Quantenphysik
Bisher unbekannter Aggregatzustand entdeckt
Das Tetra-Neutron ist nicht einfach zu erkennen
Schon vor 20 Jahren publizierte eine französische Arbeitsgruppe Messwerte, die sie als die Signatur der gesuchten Tetra-Neutronen interpretierten. Spätere Arbeiten einer anderen Gruppe zeigten jedoch, dass die angewandte Methodik die Existenz eines Tetra-Neutrons nicht beweisen kann. 2016 versuchte eine Gruppe in Japan Tetra-Neutronen aus Helium-4 zu erzeugen, indem sie es mit einem Strahl aus radioaktiven Helium-8-Teilchen beschossen. Bei dieser Reaktion sollte Beryllium-8 entstehen. Tatsächlich wiesen sie vier solcher Atome nach. Aus ihren Messergebnissen folgerten sie, dass das Tetra-Neutron ungebunden sei und schnell wieder in vier Neutronen zerfalle.
Faestermann und sein Team beschossen bei ihren Versuchen ein Lithium-7-Target mit auf etwa zwölf Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigten Lithium-7-Teilchen. Hierbei sollte neben dem Tetra-Neutron auch Kohlenstoff-10 entstehen. Und in der Tat gelang es den Physikern, diese Spezies nachzuweisen. Eine Wiederholung bestätigte das Ergebnis.
Hinweis, aber noch kein Beweis
Die Messergebnisse des Teams entsprachen der Signatur, die ein Kohlenstoff-10 im ersten angeregten Zustand und ein Tetra-Neutron mit einer Bindungsenergie von 0,42 Megaelektronenvolt (MeV) zeigen würden. Den Messungen zufolge wäre das Tetra-Neutron ungefähr so stabil wie das Neutron selbst. Danach würde es mit einer Halbwertszeit von 450 Sekunden durch Beta-Zerfall zerfallen. „Dies ist für uns die einzige physikalisch in allen Punkten plausible Erklärung der gemessenen Werte“, sagt Versuchsleiter Faestermann.
Mit seinen Messungen erreicht das Team eine Sicherheit von deutlich über 99,7 Prozent oder 3 sigma. Doch damit ein Teilchen in der Physik als sicher existent gelten darf, wird eine Sicherheit von 5 sigma verlangt, also 99,99994 Prozent. Gespannt warten die Forscher daher nun auf eine unabhängige Bestätigung.
Originalpublikation: Thomas Faestermann, Andreas Bergmaier, Roman Gernhäuser, Dominik Koll, Mahmoud Mahgoub: Indications for a bound tetraneutron, Physics Letters B 824 (2022); DOI: 10.1016/j.physletb.2021.136799
* Dr. A. Battenberg, Technische Universität München, 80333 München
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