Analyse von Tiergiften Das Toxin des Stachelrochens als Ansatz für neue Medizin
Gifte sind im Tierreich weit verbreitet, ob zur Jagd oder als Verteidigung gegen Angreifer. Ein Forscherteam u. a. des Loewe-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik hat nun das Gift des Stachelrochens genau analysiert. Die Ergebnisse können helfen, neue Wirkstoffkandidaten für Medikamente zu finden.
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Frankfurt a. M. – Rochen wirken geradezu majestätisch, wenn sie mit ihren ruhigen Bewegungen durchs Wasser gleiten. Die meisten der Knorpelfische sind harmlos für den Menschen, doch manche Vertreter wie die meisten Stachelrochenarten nutzen einen gefährlichen Giftcocktail zur Verteidigung. Dieser verursacht beim Menschen u. a. Schmerz und Herz-Kreislauf- Beschwerden, wirkt jedoch meist nicht tödlich, solange keine bakterielle Infektion der schlecht heilenden Wunden folgt. In seltenen Fällen kann eine Stachelrochenattacke aber auch tödlich enden. Wohl das prominenteste Beispiel ist der aus Naturdokus bekannte „Crocodile Hunter“ Steve Irwin, der 2006 von einem Stachelrochen ins Herz getroffen wurde und daran starb.
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Solche Tiergifte bilden aber auch eine wertvolle Quelle bei der Entdeckung neuer Arzneistoffe. Aufschlussreich sind dabei v. a. ihre besondere Wirkungsweise auf den Organismus und ihre komplexe Zusammensetzung. Wie genau sie wirken, ist jedoch noch weitgehend unbekannt. Um ein umfassendes Bild zu erhalten, wie Gifte biologische Systeme beeinflussen, entwickelten Wissenschaftler u. a. des Loewe-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) einen neuen Ansatz zur Wirkstoff-Forschung.
Giftwirkung voraussagen lernen
Die wissenschaftlichen Untersuchungen des Teams zu Tiergiften und ihrer Wirkungsweise folgen der Idee der so genannten „Netzwerkpharmakologie“. Dabei ermöglicht die Zusammenführung unterschiedlicher Analysemethoden eine ganzheitliche Interpretation biologischer Reaktionen auf bestimmte Moleküle. In ihrer kürzlich veröffentlichten Studie verknüpften die Autoren Ergebnisse der Genom-Analyse eines Tiergifts mit physiologischen Daten. Ziel war es, erstmalig den Wirkungsmechanismus der Giftkomponenten und den zeitlichen Ablauf der Vergiftung vorherzusagen. Dafür wurden zwei Hochdurchsatz-Technologien in einem Netzwerk verbunden.
„Für unsere Studie haben wir das giftige Stachelgewebe von zwei Süßwasser- und drei Salzwasser-Stachelrochen untersucht“, sagt die Erstautorin der Studie, Kim Kirchhoff von der Justus-Liebig-Universität Gießen (JGU). „Mit ihrer geringen und stark verunreinigten Giftmenge, die zudem schwer zu gewinnen ist, bilden sie für uns ein optimales Studienobjekt. Denn zahlreiche Tiergifte, die aus pharmakologischer Sicht sehr vielversprechend sind, wurden aus diesen Gründen bisher von der Forschung vernachlässigt, und ihr mögliches Potenzial liegt brach“, erklärt die Forscherin.
Eine Analyse für alle Giftfische
Die erfolgreiche Analyse der Giftproben lässt sich nicht nur auf alle 218 Arten von Stachelrochen übertragen, sondern auch auf alle anderen bekannten Giftfische, von denen weltweit mehr als 2.900 Arten existieren. „Der Ansatz der Netzwerkpharmakologie eröffnet neue Perspektiven, je nachdem, welche Technologien und Datenbanken für die Datenerhebung eingesetzt werden“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Andreas Vilcinskas vom TBG. Für uns bietet er eine aussichtsreiche Methode, der schwierig zu analysierenden Wirkung von Tiergiften auf die Spur zu kommen. Wir sehen hier zahlreiche Einsatzfelder, denn neue Studien zeigen, dass Krankheiten häufig nur durch so genannte Medikamentencocktails – also eine Kombination verschiedener Wirkstoffe – gut behandelt werden können“, führt der Wissenschaftler aus, der auch an der JGU des Institutsteils Bioressourcen am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie.
Das Team will die im Stachelrochengift identifizierten Proteine nun künstlich herstellen und damit die Wirkungsweise vom Giftrezeptor bis zu den Reaktionen im Organismus weiter prüfen.
Originalpublikation: Kirchhoff, K.N., Billion, A., Voolstra, C.R., Kremb, S., Wilke, T., Vilcinskas, A.: Stingray Venom Proteins: Mechanisms of Action Revealed Using a Novel Network Pharmacology Approach, Marine Drugs 2022, 20(1), 27; DOI: 10.3390/md20010027
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