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Evolution von Toxinen Dem Gift der Fliegen auf der Spur

Redakteur: Christian Lüttmann

Raubfliegen machen ihrem bedrohlich klingendem Namen alle Ehre: Sie jagen ihre Beute mit hochspezifischem Gift. Wie sich ihre Toxine im Laufe der Evolution entwickelt haben, und welchen Nutzen der Mensch daraus zur Schädlingsbekämpfung ziehen kann, haben Forscher der Justus-Liebig-Universität Gießen untersucht.

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Die Große Wolfsfliege (Dasypogon diadema), ist eine giftige Raubfliege, die auch in Hessen vorkommt und spezialisiert Hautflügler jagt.
Die Große Wolfsfliege (Dasypogon diadema), ist eine giftige Raubfliege, die auch in Hessen vorkommt und spezialisiert Hautflügler jagt.
(Bild: Björn M. von Reumont)

Gießen – Mit Gifttieren assoziieren wir meist Schlangen, Spinnen oder Skorpione. Doch es gibt auch unter den Fliegen giftige, räuberische Arten. Manche dieser Raubfliegen (Asilidae) haben sich sogar darauf spezialisiert, andere giftige und wehrhafte Insekten wie Bienen oder Wespen zu jagen.

Wie sich das Gift in den Raubfliegen entwickelt hat, untersucht der Evolutionsbiologe Dr. Björn von Reumont an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Für ihre „Big Data“-Studie haben von Reumont und sein Doktorand Stephan Drukewitz mit Kollegen aus Leipzig und dem australischen Brisbane den Giftapparat, die Giftzusammensetzung und die Entstehung des Giftcocktails der Großen Wolfsraubfliege (Dasypogon diadema) analysiert. Diese Raubfliege ist auch in Hessen verbreitet.

Gift von der Fliege als Bio-Insektizid?

Bei ihrer Studie an der Großen Wolfsfliege entdeckten die Wissenschaftler viele noch unbekannte Toxine. Ein großer Teil dieser Gifte kommt offenbar nur in Raubfliegen vor. Dabei sind die Toxine, wie bei vielen anderen giftigen Insekten, im Laufe von Millionen von Jahren hochspezifisch zur Jagd oder Verteidigung angepasst worden.

Die unglaubliche Diversität dieses Wirkstoffarsenals bietet Möglichkeiten für eine praktische Anwendung: So könnte man z.B. nachhaltige Bio-Insektizide entwickeln, die hochselektiv Schadinsekten bekämpfen und andere Arten nicht schädigen. „In Zeiten eines bisher ungesehenen Rückgangs von Insekten ist eine nachhaltige Nutzung von Insektiziden von größter Wichtigkeit“, betont Dr. Björn von Reumont.

Neue Gifte bergen überdies das Potenzial, Komponenten mit Eigenschaften für pharmakologische Anwendungen zu besitzen. Ein möglicher Kandidat im Raubfliegengift ist Asilidin1, ein kurzes Protein mit neurotoxischer Wirkung. Es hat Ähnlichkeit mit einer Neurotoxin-Familie, die auch von Spinnen, Skorpionen und Kegelschnecken bekannt ist. „Die Aktivität der meisten raubfliegenspezifischen Toxine ist noch unbekannt. Wir testen diese in Bezug auf Einsatzmöglichkeiten gerade im Labor in unserer Arbeitsgruppe Tiergifte“, sagt von Reumont.

Exklusive Fliegengifte durch Einzel-Gen-Evolution

Die Forscher sequenzierten auch das Genom der Großen Wolfsfliege. Damit wollten sie erkunden, wie die Gift-Gene entstehen und wo sie im Tierreich erstmals auftauchen. „Durch den Vergleich mit den Genomen verwandter Fliegenarten und anderer Insekten konnten wir nicht nur zeigen, dass in Raubfliegen bereits von anderen Giftigen Tieren bekannte Toxinfamilien vorkommen. Wir haben auch entdeckt, dass in Raubfliegen im Laufe der Evolution Toxin-kodierende Gene entstanden sind, die offenbar nur in dieser Gruppe vorkommen“, sagt Drukewitz. „Wie diese Gene entstanden sind, ist noch nicht genau geklärt.“

Bei Schlangen entstehen die Gift-Gene meist durch Genduplikation. Die aktuelle Studie zeigt, dass in Raubfliegen andere Prozesse der Genevolution in den Vordergrund treten. Neben Genduplikationen entsteht ein großer Anteil der Toxine offensichtlich dadurch, dass ein Einzel-Gen im Laufe der Evolution eine toxische Funktion entwickelt und das vom Gen kodierte Toxin exklusiv in der Giftdrüse gebildet wird. „Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, nicht nur Schlangen, Spinnen und Skorpione, sondern auch weniger bekannte giftige Tiergruppen besser zu untersuchen“, betont Drukewitz. „Kurioserweise sind von giftigen Arten bislang nur wenige Genome sequenziert.“ Die Studie ist den Forschern zufolge zurzeit die größte vergleichende Genomanalyse, in der die evolutionären Prozesse untersucht werden, die die Diversität von Giften und Entstehung von Toxingenen am Beispiel von Raubfliegen begründen.

Originalpublikation: Stephan Holger Drukewitz, Lukas Bokelmann, Eivind A. B. Undheim, Björn M. von Reumont: Toxins from scratch? – Diverse, multimodal gene origins in the predatory robber fly Dasypogon diadema indicate a dynamic venom evolution in dipteran insects, GigaScience, Volume 8, Issue 7, Juli 2019, DOI: 10.1093/gigascience/giz081

(ID:46051379)