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Vermeidbare Risikofaktoren für Demenz Demenz durch Abführmittel? Laxanzien als Risikofaktor im Verdacht

Quelle: Pressemitteilung Deutsche Gesellschaft für Neurologie Lesedauer: 4 min |

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Wer regelmäßig Abführmittel nutzt, könnte ein erhöhtes Risiko für Demenz haben. Darauf deutet das Ergebnis einer internationalen Studie. Experten der deutschen Gesellschaft für Neurologie erklären, wie der Darm auf die Hirngesundheit wirken kann und warum die Studienaussagen noch nicht als Beweis für einen tatsächlichen Kausalzusammenhang reichen.

Darm- und Hirngesundheit sind über die so genannte Darm-Hirn-Achse miteinander verknüpft. Eine aktuelle Studie gibt sogar Hinweise, dass Abführmittel das Demenzrisiko erhöhen könnten (Symbolbild).
Darm- und Hirngesundheit sind über die so genannte Darm-Hirn-Achse miteinander verknüpft. Eine aktuelle Studie gibt sogar Hinweise, dass Abführmittel das Demenzrisiko erhöhen könnten (Symbolbild).
(Bild: pikovit - stock.adobe.com)

In Deutschland leiden 1,6 Millionen Menschen an Demenz, bis 2025 werden es schätzungsweise 2,8 Millionen sein. Die Ursachen umfassen nicht nur die hohe und weiter steigende Lebenserwartung und genetische Faktoren, sondern sind zu einem großen Teil auch in so genannten modifizierbaren Risikofaktoren zu suchen. Die rechtzeitige adäquate Behandlung oder Vermeidung dieser Risikofaktoren könnte laut dem Bericht der „Lancet Commission“ 2020 [1] bis zu 40 Prozent aller Demenzerkrankungen verhindern.

Die zwölf bisher bekannten modifizierbaren Risikofaktoren für Demenz sind:

  • 1. ein niedriger Bildungsstand
  • 2. Bluthochdruck
  • 3. Schwerhörigkeit
  • 4. Rauchen
  • 5. Übergewicht
  • 6. Depressionen
  • 7. körperliche Inaktivität
  • 8. Diabetes mellitus
  • 9. wenig Sozialkontakt
  • 10. exzessiver Alkoholkonsum
  • 11. Schädel-Hirn-Traumen
  • 12. Luftverschmutzung

Auch der Schlaf scheint eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Demenz zu spielen. Weitere Risikofaktoren werden erforscht.

Rund 50 Prozent höheres Demenzrisiko durch Abführmittel

Eine große prospektive, populationsbasierte Kohortenstudie analysierte den Zusammenhang zwischen der Anwendung verschiedener Abführmittel (Laxanzien) und dem Demenzrisiko [2]. Die Daten entstammen einer Biobank aus UK (˃500.000 Freiwillige, 40-69 Jahre), die Teilnehmenden waren zu Studienbeginn nicht an Demenz erkrankt. Als chronischer Laxanziengebrauch galt eine Einnahme an den meisten Tagen einer Woche in den vier Wochen vor der Studienaufnahme (im Zeitraum 2006 bis 2010). Gewertet wurde die Diagnose einer Demenz jeglicher Ursache (laut Klinikstatistiken und Sterberegister bis 2020). Statistisch angepasst wurden die Ergebnisse hinsichtlich soziodemografischer Merkmale, Begleiterkrankungen, Familienanamnese und sonstiger regelmäßiger Medikamenteneinnahme.

Insgesamt wurden 502.229 Teilnehmer ausgewertet (mittleres Alter 56,5±8,1 Jahre; 54,4 Prozent weiblich); von diesen nahmen 18.235 (3,6 Prozent) regelmäßig Abführmittel. Die Nachbeobachtung betrug durchschnittlich 9,8 Jahre. In dieser Zeit erhielten 1,3 Prozent der Teilnehmer, die regelmäßig Abführmittel eingenommen hatten, eine Demenzdiagnose – jedoch nur 0,4 Prozent der Teilnehmer, die nicht davon Gebrauch machten. Statistisch errechnete sich bei regelmäßigem Laxanziengebrauch ein signifikant erhöhtes Demenzrisiko von 51 Prozent (Hazard Ratio: HR 1,51). Der Abführmittelgebrauch war dabei signifikant mit der Entstehung vaskulärer Demenzen assoziiert (HR 1,65), nicht jedoch mit der Alzheimer-Demenz (HR 1,05).

Das Risiko für Demenzen insgesamt sowie für die vaskuläre Demenz stieg mit der Zahl der eingenommenen unterschiedlichen Laxanzien an. Von den Teilnehmern, die angaben, nur eine Sorte Abführmittel zu nehmen (n=5.800), war nur die Gruppe der osmotisch wirksamen Abführmittel signifikant mit dem allgemeinen Demenzrisiko (HR 1,64) sowie dem für Demenzen vaskulärer Ursache (HR 1,97) assoziiert. Osmotische Abführmittel „ziehen“ Wasser in das Darmlumen, was den Stuhl verdünnt. Bei einem zu häufigen Gebrauch oder bei zu hohen Dosen kann es zu einem gestörten Mineralstoff- und Wasserhaushalt kommen.

Kommunikation zwischen Darm und Hirn

Doch wie können Abführmittel das Demenzrisiko beeinflussen? Ein möglicher Erklärungsansatz bezieht sich auf die so genannte Darm-Hirn-Achse (z. B. der Vagusnerv, aber auch Millionen weiterer Nervenverbindungen). Über diesen Weg „kommunizieren“ Darm und Gehirn. Bekannt ist, dass eine gestörte Darmflora (Dysbiose) diese Signalübertragung und sogar die Produktion von Neurotransmittern beeinflussen kann [3] – und eine Studie zeigte bereits 2018, dass osmotisch wirksame Laxanzien das Mikrobiom verändern [4]. Abführmittel können auch die Epithelbarrieren des Darms stören und den Übergang von aus dem Darmmikrobiom stammenden neurotoxischen Stoffwechselprodukten in das zentrale Nervensystem erleichtern und inflammatorische Prozesse begünstigen.

Um gesicherte Schlüsse zu ziehen, sei es allerdings noch zu früh, betont Prof. Dr. Peter Berlit Generalsekretär und -Pressesprecher der deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN): „Die Studie ist keine randomisierte-kontrollierte Studie und daher nicht beweisgebend, dass Abführmittel das Demenz-Risiko tatsächlich erhöhen. Weitere Untersuchungen sind notwendig. Dennoch raten wir angesichts des Ergebnisses zur Vorsicht im Umgang mit Laxanzien, gerade vor dem Hintergrund, dass Demenzerkrankungen immer weiter zunehmen.“

Gesunde Ernährung zur Demenzprävention

Derzeit nehmen ca. 20 Prozent der Allgemeinbevölkerung und 70 Prozent der Pflegeheimbewohner [5, 6] regelmäßig Abführmittel ein. Nach Ansicht des Experten könnten viele Menschen darauf verzichten, wenn sie ihre Ernährung umstellten und mehr Ballaststoffe, enthalten in Obst, Gemüse und Vollkornprodukten, und vor allem auch ausreichend Flüssigkeit in Form von Wasser oder ungesüßten Tee zu sich nehmen würden. „Eine solche Ernährungsumstellung hat womöglich gleich eine doppelte Schutzwirkung gegen Demenz: Zum einen lässt sich in vielen Fällen auf Abführmittel verzichten, die einen potenziell schädigenden Einfluss auf die Hirngesundheit haben, zum anderen gilt eine gesunde Ernährung per se als wichtige Säule der Demenzprävention. Für den Erhalt der geistigen Funktion bis ins hohe Alter lohnt es sich in jedem Fall, seine Ernährung umzustellen“, sagt Berlit.

Der Experte betont abschließend die Bedeutung der Demenzprävention: Der Anteil beeinflussbarer Demenzen liegt Schätzungen zufolge bei etwa 40 Prozent. Die DGN arbeitet zusammen mit der Deutschen Hirnstiftung daran, das Thema Hirngesundheit und die Bedeutung vermeidbarer Demenzrisikofaktoren in die Öffentlichkeit zu tragen und möglichst viele Menschen dafür zu sensibilisieren.

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