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Diagnostik Der Code der Zelle: Einzelzellsequenzierung als Chance

Von Pedro Echave, Global NGS Specialist, Diagnostics, PerkinElmer |

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Die Einzelzellsequenzierung zielt darauf ab, die DNA- oder RNA-Sequenz von einzelnen Zellen zu erhalten. Das erlaubt einen Auflösungsgrad, der noch vor wenigen Jahren nicht möglich war. Ganze Forschungsbereiche werden dadurch neu belebt.

Abb. 1: Die Einzelzellanalyse ist ein relativ junger Zweig der genetischen Grundlagenforschung, die mit Hilfe höchst empfindlicher Methoden die Entwicklung und die Spezialisierung Tausender Zellen gleichzeitig zu verstehen versucht.
Abb. 1: Die Einzelzellanalyse ist ein relativ junger Zweig der genetischen Grundlagenforschung, die mit Hilfe höchst empfindlicher Methoden die Entwicklung und die Spezialisierung Tausender Zellen gleichzeitig zu verstehen versucht.
(Bild: © Sergey Nivens / © Anusorn - stock.adobe.com)

Man könnte argumentieren, dass das ultimative Ziel der Biologie darin besteht, die Mechanismen zu verstehen, die die Zellphysiologie regulieren, und infolgedessen in der Lage zu sein, auf dieser Grundlage Vorhersagen zu treffen. Die schiere Vielfalt und Komplexität lebender Systeme macht dies zu einer entmutigenden Aufgabe. Doch es gibt Gründe für Optimismus: In den letzten Jahrzehnten haben technologische Durchbrüche zu bedeutenden Fortschritten geführt, die es den Wissenschaftlern ermöglichen, dem grundlegenden Ziel der Biologie näher zu kommen. Die Sequenzierung der nächsten Generation (engl. Next Generation Sequencing, NGS) ist ein Beispiel für die Technologien, die das Feld revolutionieren.

Die Sequenzierung an sich ist nicht neu und zu einem populären Konzept geworden. Es bezieht sich auf den Prozess des Ablesens der „Buchstaben“ (Nukleotide) aus einem DNA- oder RNA-Molekül. Der Unterschied zwischen NGS und früheren Technologien wie der Sanger-Sequenzierung liegt in der Geschwindigkeit, mit der die Daten erzeugt werden. Anstatt eine Sequenz nach der anderen zu erhalten, werden Millionen von Sequenzen gleichzeitig erzeugt. Um die Auswirkungen dieser Entwicklung zu verstehen, ist ein Blick auf die Arbeit von Wissenschaftlern am Institute of Genomic Research (TIGR), dem heutigen J. Craig Venter Institute, aus dem Jahr 1995 interessant. Damals stellten sie den ersten Entwurf der Genomsequenz eines Bakteriums (Haemophilus influenzae) fertig. Dazu wurde ein Protokoll verwendet, das die Sanger-Sequenzierung des gesamten 1,8 Millionen Basenpaare (bp) umfassenden Genoms dieses Organismus erforderte, und zwar ein 460 bp großes Stück nach dem anderen. Dies war eine monumentale Aufgabe.

Heute können die meisten mikrobiologischen Labore mithilfe von NGS innerhalb einer Woche mehrere bakterielle Genom-Entwürfe sequenzieren, zusammensetzen und annotieren. Mehr als 200.000 Genome von Mikroorganismen wurden in öffentliche Datenbanken hochgeladen, von denen viele von klinischem Interesse sind. NGS wurde auch eingesetzt, um völlig neue Viren sowohl beim Menschen als auch bei anderen Organismen zu entdecken, und es hat dazu beigetragen, Krankheitserreger für epidemiologische Untersuchungen mit einer zuvor unmöglichen Geschwindigkeit und Präzision zu identifizieren und zu subtypisieren. Diese Präzision ermöglicht es den Gesundheitsbehörden, Verbindungen zwischen klinischen Fällen herzustellen, die mit herkömmlichen Techniken möglicherweise übersehen worden wären. Das Verfolgen von SARS-CoV-2-Varianten in Echtzeit während der Pandemie ist ein gutes Beispiel dafür.

Der Einsatz von NGS in der Onkologie wiederum hat unser Verständnis der genetischen Veränderungen bei menschlichen Krebserkrankungen verbessert. NGS ermöglicht die gleichzeitige Untersuchung einer Vielzahl von genomischen Aberrationen wie Mutationen, kleinen und großen Insertionen und Deletionen, Kopienzahlvariationen und Fusionstranskripten mit hoher Genauigkeit und Sensitivität. Ein weiterer wichtiger Vorteil bei der routinemäßigen Tumorsequenzierung ist die kürzere Durchlaufzeit, die zu einer schnelleren Diagnose führen kann.

Next Generation Sequencing (NGS)

Beim Next Generation Sequencing (NGS) werden in massiver Weise parallel Tausende bis Millionen von verschiedenen DNA-Fragmenten gleichzeitig sequenziert. Dies wird durch die Fixierung eines Einzelfragments an einer Oberfläche ermöglicht, beispielsweise kleiner Kügelchen (beads) oder einer Glasoberfläche ähnlich der DNA-Chips. Dieses Einzelfragment wird anschließend um ein Vielfaches amplifiziert. Die Sequenzierung erfolgt lokal begrenzt an der besagten Oberfläche und bleibt an ihr gebunden. Dadurch können parallel Tausende bis Millionen Fragmente gleichzeitig praktisch im selben Volumen synthetisiert werden. Die neuen Geräte erlauben es zudem, die Sequenzierreaktion selbst jeweils Base für Base spezifisch sichtbar zu machen. Quelle: www.genetikum.de

Einzelzellsequenzierung

Das vielleicht jüngste und aufregendste Gebiet, das durch NGS eröffnet wurde, ist die Einzelzellsequenzierung. In der Vergangenheit wurde NGS mit Gesamt-DNA oder -RNA durchgeführt, die aus einem Gewebe extrahiert wurden. Dabei wurden zwar viele Informationen gewonnen, aber viele der feinen Unterschiede zwischen den Zellen, die Teil des Gewebes waren, gingen verloren. Im Gegensatz dazu zielt die Einzelzellsequenzierung darauf ab, die DNA- oder RNA-Sequenz von einzelnen Zellen zu erhalten, wodurch ein Auflösungsgrad erreicht wird, der noch vor wenigen Jahren nicht möglich war.

Ganze Forschungsbereiche werden durch die Einzelzellsequenzierung neu belebt. Der erste ist die Krebsforschung, denn dank dieser Technologie kann die seit langem bekannte Heterogenität von Tumorgewebe auf ihrer grundlegendsten Ebene, der einzelnen Zelle, rückverfolgt werden. Ein zweiter Bereich ist die Sequenzierung komplexer mikrobieller Populationen (das so genannte Mikrobiom), entweder aus einem Organismus, wie dem menschlichen Darm oder Mund, oder aus unserer physischen Umgebung. Jüngste Fortschritte in der mikrobiellen Genomik und Transkriptomik haben es ermöglicht, Spezies des menschlichen Mikrobioms, für die es keine erfolgreichen Kultivierungsmethoden gibt, eine funktionelle Rolle zuzuweisen.

Abb. 2: Von der Krebsforschung über Omics-Anwendungen bis zur Diagnostik beipielsweise von seltenen Erkrankungen – die Anwendungsmöglichkeiten der Einzelzellsequenzierung sind vielfältig.
Abb. 2: Von der Krebsforschung über Omics-Anwendungen bis zur Diagnostik beipielsweise von seltenen Erkrankungen – die Anwendungsmöglichkeiten der Einzelzellsequenzierung sind vielfältig.
(Bild: © tilialucida - stock.adobe.com)

Die größten wissenschaftlichen Durchbrüche sind derzeit jedoch in der Neurobiologie und Entwicklungsbiologie zu erwarten. Die Möglichkeit, Transkriptionsstudien an Tausenden bis Millionen von Zellen in wenigen Stunden oder Tagen durchzuführen, hat die Untersuchung der Zellabstammung und der detaillierten Struktur komplexer Zellpopulationen revolutioniert. Die Explosion neuer Daten in diesen Bereichen wurde von einigen Forschern im Jahr 2013 vorhergesagt [1]. Damals kündigten sie an, dass es möglich sein würde, molekulare Daten von Tausenden von Zellen zu erhalten, und dass neue Methoden, die Genomik, Transkriptomik, Epigenomik und Proteomik kombinieren, im darauffolgenden Jahrzehnt üblich sein würden.

NGS in der Diagnostik seltener Krankheiten

In der Europäischen Union sind schätzungsweise 30 Millionen Menschen von einer oder mehreren der 6.000 bis 8.000 bekannten seltenen Krankheiten betroffen. Damit eine Krankheit als selten gilt, darf sie nicht mehr als eine von 2.000 Personen betreffen.

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Von den bekannten seltenen Krankheiten sind schätzungsweise vier von fünf monogenen Ursprungs; das bedeutet, dass sie durch eine oder mehrere Mutationen in einem einzigen Gen verursacht werden. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Identifizierung der verursachenden Gene aufgrund der Vielfalt der Phänotypen, die mit seltenen Krankheiten assoziiert sind, und der unterschiedlichen klinischen Erscheinungsformen keine leichte Aufgabe ist.

Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass eine seltene Krankheit diagnostiziert wird, werden mehre- re Technologien in beispiellosem Tempo entwickelt, darunter auch Multi-Omik-basierte Ansätze. Dazu gehören v. a.:

  • die Genomik zur Untersuchung des menschlichen Genoms (der DNA, in der die genetische Information gespeichert ist),
  • die Transkriptomik zur Bestimmung der RNA-Expression, die Aufschluss über die Gene gibt, die unter bestimmten Bedingungen ein- oder ausgeschaltet werden
  • und die Proteomik, die die Veränderungen in einer großen Zahl von Proteinen untersucht.

Andere Ansätze wie die Epigenomik – zum Verständnis der vererbbaren Veränderungen, die nicht mit Veränderungen in der DNA verbunden sind, und die Metabolomik, die sich auf das Verständnis der Stoffwechselprodukte innerhalb der Zelle konzentriert, werden ebenfalls immer beliebter.

Dank NGS hat sich die Zeit für die Sequenzierung des menschlichen Genoms und Transkriptoms (die Gesamtheit aller Gene bzw. RNA-Transkripte) von Jahren auf Tage verkürzt. Dies ist erst der Anfang, und wir können mit weiteren Fortschritten und Innovationen rechnen, die in naher Zukunft eine Überprüfung der bestehenden Diagnose- und Testalgorithmen erforderlich machen könnten.

Schlussfolgerung

NGS hat die Biologie revolutioniert, indem es mit geringem Aufwand Zugang zu einer riesigen Menge an genetischen Informationen verschafft. Dies hat sich positiv auf unsere Fähigkeit ausgewirkt, seltene Krankheiten zu diagnostizieren, was jedoch nach wie vor ein sehr schwieriges Terrain ist. Einer der spannendsten Bereiche, in denen NGS eingesetzt wird, ist die Einzelzellsequenzierung. Innovationen in der Einzelzellsequenzierung vereinfachen die Analyse einzelner Zellen in heterogenen Populationen und erleichtern so die künftige Anwendung dieser Technologie in der Grundlagenforschung, der klinischen Diagnose und der Behandlung.

Literatur:

[1] Shapiro E, Biezuner T, Linnarsson S. 2013. Single-cell sequenc­ing-based technologies will revolutionize whole- organism science. Nat Rev Genet 14: 618–630.

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