Strukturanalyse eines bakteriellen Sekretionssystems Der molekulare Injektionsapparat von Magen-Darm-Erregern
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Damit ein Erreger uns krank macht, muss er üblicherweise Virulenzproteine in die Wirtszelle schießen. Diese Injektion verläuft über einen komplexen Mechanismus, dessen beteiligte Moleküle ein Forscherteam der Uni Bielefeld nun näher untersucht hat.

Bielefeld – Wie funktionieren Proteine, durch die ein Bakterium zum Krankheitserreger wird? Und wie injizieren Bakterien die krankheitserregenden Moleküle in menschliche Zellen? Mit diesen Fragen befassen sich der Biochemiker Professor Dr. Hartmut Niemann von der Universität Bielefeld und seine Arbeitsgruppe. „Bei einigen Bakterien haben sich ausgefeilte Strukturen entwickelt, mit denen sie gezielt Moleküle ausschleusen und in Zellen des Menschen injizieren können, um eine Infektion auszulösen“, sagt Niemann. Diese Strukturen werden als Typ-III-Sekretionssysteme (T3SS) bezeichnet. Sie schießen Virulenzproteine durch eine winzige „Nadel“ in Wirtszellen. Die molekularen Injektionsapparate sind in vielen krankheitserregenden Bakterien zu finden, z. B. bei Yersinia enterocolitica, einem Erreger von relativ harmlosen Magen-Darm-Beschwerden. Das Bakterium ist v. a. bei Schweinen verbreitet und vom Tier auf den Menschen übertragbar.
Zu finden sind Typ-III-Sekretionssysteme auch bei den durchfallverursachenden Salmonellen und bei Pseudomonas aeruginosa, einem antibiotikaresistenten Krankenhauskeim, der chronische Infektionen der Atemwege verursacht. „Der Sekretionsapparat ist bei vielen bakteriellen Krankheitserregern ähnlich, aber nicht identisch“, sagt Niemann. „Unterschiede zwischen den einzelnen Bakterien bestehen vor allem darin, welche Proteine sie mit dem Sekretionssystem in die Zellen des Wirts transportieren.“
Ablauf einer Infektion untersuchen
Die Sekretionssysteme bestehen aus verschiedenen Komponenten, die in einer festen Reihenfolge aus den Bakterien heraus transportiert werden müssen, damit eine gezielte Reaktion ausgelöst wird. Der Frage, wie Typ-III-Sekretionssysteme kontrollieren, welches Protein sie während einer Infektion in welcher Reihenfolge transportieren, widmete sich Dominic Gilzer in seiner Promotion bei Niemann. In seinem Dissertationsprojekts untersuchte er ein Protein, das an der Einhaltung der richtigen Sekretionsreihenfolge beteiligt ist. Gilzer wollte herausfinden, wie das Protein an das Sekretionssystem bindet, bevor es selber ausgeschleust wird.
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Röntgenkristallographie klärt räumliche Struktur des Proteins
Um die dreidimensionale Struktur des Proteins zu erfassen, nutzte das Studienteam die Röntgenkristallographie. Dies ist die älteste und am besten etablierte Methode, mit der fast alle Proteine untersucht werden können. Diese Methode ermöglicht es, die räumliche Struktur eines Proteins zu bestimmen, also die einzelnen Atome in dem Molekül und ihre Verbindungen untereinander sichtbar zu machen. In der Röntgenkristallographie werden die Proteine kristallisiert, um sie im zweiten Schritt mit Röntgenstrahlen zu beschießen.
Die Proteinkristalle dienen bei der Methode lediglich als Verstärker zur Ablenkung der Röntgenstrahlen. „Würden wir mit einem Röntgenstrahl ein einzelnes Molekül beschießen, würden wir nichts sehen. Deshalb nehmen wir einen Kristall, in dem Hunderte von Millionen oder Milliarden Moleküle regelmäßig angeordnet sind“, erklärt Niemann. „Wir machen Grundlagenforschung, um zu verstehen, wie die T3-Sekretionssysteme funktionieren. Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse anderen Forschungsgruppen helfen, Wege zur molekularen Hemmung dieser Systeme zu finden und so Infektionen zu unterdrücken. Unsere Motivation für diese Grundlagenforschung ist, dass die T3-Sekretionssysteme eine große Rolle für viele bakterielle Krankheitserreger spielen.“
Der Export-Apparat im Blick
Gemeinsam mit Niemann und seiner Kollegin Madeleine Schreiner hat Glizer einen Bestandteil des Sekretionssystems untersucht: den Export-Apparat. Dieser ist für die Auswahl der krankmachenden Proteine im Bakterium und für deren Einschleusen in die Injektionsnadel des Sekretionssystems verantwortlich. Der Apparat besteht aus mehreren Proteinen, von denen das Studienteam eines genauer erforschte: Es handelt sich um den Teil des Export-Apparats, der die Virulenzproteine erkennt, die in die Wirtszellen transportiert werden sollen.
Zusätzlich untersuchte die Arbeitsgruppe ein weiteres Protein. Es ist an den Export-Apparat gebunden und wird ebenfalls nach außen transportiert. „Dieses Protein ist interessant, weil es für die Funktion des Sekretionssystems von Yersinien absolut notwendig ist“, sagt Glizer. Bisher sei aber unklar, zu welchem Zweck es ausgeschleust wird und ob es nach dem Verlassen des Bakteriums noch eine Funktion erfüllt. „Möglicherweise ist nur wichtig, dass es den Export-Apparat nicht länger blockiert und damit Bindeplätze für andere Proteine freigibt“, erklärt der Doktorand. Seine Arbeit zeigt jetzt erstmals, wie ein Protein vor dem Ausschleusen mit dem ringförmigen Export-Apparat von Yersinien wechselwirkt. Niemann zieht als Fazit: „Der Vergleich unserer Ergebnisse mit früheren Arbeiten deutet darauf hin, dass der Andockpunkt für Proteine, die ausgeschleust werden sollen, in den Export-Apparaten verschiedener Sekretionssysteme sehr ähnlich ist. Diese Vermutung gilt es noch weiter zu erforschen.“
Originalpublikation: Dominic Gilzer, Madeleine Schreiner, Hartmut H. Niemann: Direct interaction of a chaperone-bound type III secretion substrate with the export gate, Nature Communications 13, Article number: 2858, erschienen am 2. Juni 2022; DOI: 10.1038/s41467-022-30487-1
* I. Vogt, Diplom-Soziologin, 33378 Rheda-Wiedenbrück
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