Krebsmedikamente ohne Tierversuche testen Der Tumor aus dem 3D-Drucker
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Heutzutage kommt fast alles aus 3D-Druckern: Bauteile, Prothesen, ganze Häuser – und Tumore. Denn mit einem 3D-gedruckten Modell wollen Forscher der TU Berlin Krebsmedikamente ohne Tierversuche testen.

Berlin – Dass der Kampf gegen den Krebs trotz jahrzehntelanger, weltweiter Anstrengungen nur langsam vorangeht, liegt auch an der schlechten Aussagekraft von Tierversuchen. So scheitern 97 Prozent aller, im Tierversuch als aussichtsreich für ein Krebsmedikament erkannten Substanzen in der klinischen Erprobung am Menschen [1]. Offensichtlich unterscheiden sich die komplexen biologischen Vorgänge in Tieren und Menschen häufig zu sehr, um übertragbare Aussagen machen zu können.
Beim so genannten Xenograft-Modell können zwar mittlerweile auch menschliche Tumorzellen in Tiere eingebracht und ihre Bekämpfung in einem lebenden Organismus untersucht werden. Dabei muss aber einerseits das Immunsystem der Tiere unterdrückt werden, damit sie die fremden Zellen nicht abstoßen. Und andererseits liegen die menschlichen Tumorzellen dann immer noch in einer Umgebung aus tierischen Zellen – und nicht in gesundem, menschlichem Gewebe. „Diese Situation stellt also nur sehr unzureichend die realen Bedingungen im Körper nach“, sagt Prof. Dr. Jens Kurreck, der Leiter des Fachgebiets für Angewandte Biochemie der TU Berlin, an dem die Studie durchgeführt wurde. „Dies wollten wir in unserem gedruckten 3D-Tumormodell verbessern und damit gleichzeitig zur Reduzierung von Tierversuchen beitragen.“
Was muss ein Test von Krebsmedikamenten leisten?
Die Forscher haben sich für ihr Modell eine der häufigsten Krebserkrankungen im Kindesalter vorgenommen, das so genannte Neuroblastom. Es entsteht häufig in der Nebenniere oder an der Wirbelsäule und bildet auch Metastasen. Diese können dann meist nicht mehr operativ entfernt werden, sondern lassen sich nur per Bestrahlung oder mit Medikamenten behandeln. „Dabei kommt es darauf an, dass das Medikament auch wirklich nur den Tumor schädigt und nicht das umliegende Gewebe“, sagt Kurreck. Das Problem dabei: „Der Tumor und seine Umgebung stehen durch Signalmoleküle in Kontakt. Dadurch kann sich das Verhalten sowohl der Tumor- wie der gesunden Zellen verändern. Ein realistisches Experiment muss also beide Zellarten nebeneinander beinhalten.“
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Metastasen-Modell mit Ringstruktur
Die Forscher haben deshalb zwei Modellvarianten etabliert. Einmal eine gedruckte Gitterstruktur aus jeweils nur einer Zellart. Hier ist eine Versorgung der Zellen durch eine Nährlösung über die Löcher im Gitter sehr einfach. Diese Struktur kann zum schnellen Testen einer Substanz verwendet werden. Für die Simulation einer Neuroblastom-Metastase haben die Wissenschaftler eine Struktur aus konzentrischen Ringen gedruckt, deren innerer Kern aus Tumorzellen besteht, die äußeren Ringe hingegen aus gesunden Zellen. „Hier war die Herausforderung, dass die Nährlösung beide Zellarten am Leben erhalten muss. Zudem sollte natürlich auch die gesamte Ringstruktur während des Experiments über 72 Stunden stabil bleiben“, sagt Kurreck.
Für den Druck werden die Zellen mit einem gelartigen Inhaltsstoff von Algen, einem „Alginat“, vermischt. Nach dem Aufspritzen auf eine Glasoberfläche härtet es durch Zugabe einer Lösung von Calcium-Ionen aus. Beim Druckvorgang mit der Spritzdüse kommt es darauf an, dass die Zellen durch die entstehende Kraftwirkung nicht zerstört werden.
2D-Petrischale vs. 3D-Druck-Methode
Als Zellmaterial verwendete die Arbeitsgruppe um Kurreck Neuroblastomzellen sowie gesunde Nierenzellen. „Das Modell kann aber auch leicht auf andere Zelltypen angepasst werden“, betont der Studienleiter. Für die Substanzprüfung nutzten die Forscher das Krebsmedikament Panobinostat sowie das Zellgift Blasticidin, das als Antibiotikum verwendet wird. Ob die Zellen noch leben oder schon abgestorben sind, untersuchten sie mithilfe von grün beziehungsweise rot fluoreszierenden Markern, die je nach ihrer Reaktion mit dem Zellstoffwechsel leuchten.
Das Ergebnis: Panobinostat wurde in seiner Eigenschaft als Medikament richtig erkannt, es zerstörte nur die Krebszellen. Blasticidin dagegen hinterließ als allgemeines Zellgift keine überlebenden Zellen. Bei einem Vergleich mit herkömmlichen 2D-Tests in Petrischalen, bei denen Tumor- und gesunde Zellen unstrukturiert verteilt sind, zeigte sich zudem: Die neue 3D-Druck-Methode reagiert zehnmal spezifischer auf die erprobten Substanzen als die 2D-Petrischalen-Tests.
Erweiterungen des Modells um Blutgefäße möglich
„Ein Vorteil unseres Modells ist, dass es nicht auf Innovationen beim Druckgerät beruht“, sagt Kurreck. Es lasse sich deshalb von jeder Arbeitsgruppe mit jedem handelsüblichen Biodrucker verwenden. Erweiterungen des Modells, die auch künstliche Blutgefäße beinhalten, sind bereits im Test. Zudem wären auch Tumormodelle möglich, die neben normalen Gewebe- auch Immunzellen beinhalten. „Diese sind bereits in anderen Biodruck-Verfahren erfolgreich verwendet worden“, sagt Kurreck. „Immunologische 3D-Tumormodelle wären ein großer Fortschritt, denn gerade Immuntherapien lassen sich in Tierversuchen nur sehr schwer umsetzen.“
Literatur: [1] Chi Heem Wong, Kien Wei Siah, Andrew W Lo: Estimation of clinical trial success rates and related parameters, Biostatistics, Volume 20, Issue 2, April 2019, Pages 273–286; DOI: 10.1093/biostatistics/kxx069
Originalpublikation: Wu, D.; Berg, J.; Arlt, B.; Röhrs, V.; Al-Zeer, M.A.; Deubzer, H.E.; Kurreck, J.: Bioprinted Cancer Model of Neuroblastoma in a Renal Microenvironment as an Efficiently Applicable Drug Testing Platform. Int. J. Mol. Sci. 2022, 23, 122; DOI: 10.3390/ijms23010122
* W. Richter, Technische Universität Berlin, 10623 Berlin
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