English China

Materialforschung Die erste Begegnung zählt – auch beim Verschleiß

Autor / Redakteur: Regina Link * / Christian Lüttmann

Egal ob das Lager einer Windkraftanlage oder ein künstliches Hüftgelenk, alle beweglichen Teile vereint ein gemeinsames Problem: Verschleiß. Der Reibungsabrieb von Material ist auf der atomaren Ebene längst nicht vollständig verstanden. Nun konnten Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie zeigen, dass bereits bei der ersten Berührung ein unumkehrbarer Verschleiß einsetzt. Sie hoffen, mit den neuen Erkenntnissen zuverlässigere Vorhersagemodelle für Materialversagen zu ermöglichen.

Anbieter zum Thema

Hart trifft auf weich: Wenn die Saphirkugel über die Kupferprobe fährt, bewirkt dies bereits beim ersten Kontakt eine dauerhafte Veränderderung im Material.
Hart trifft auf weich: Wenn die Saphirkugel über die Kupferprobe fährt, bewirkt dies bereits beim ersten Kontakt eine dauerhafte Veränderderung im Material.
(Bild: Paul Schreiber, KIT/IAM)

Karlsruhe – Wo Objekte aneinander haften, übereinander gleiten oder rollen, tritt Reibung auf. Die Reibungskräfte verursachen Verschleiß, und der kostet immense Summen. So werden etwa rund 30 Prozent der Energie im Transportsektor aufgewendet, um Reibung zu überwinden. In Deutschland kosten Reibung und Verschleiß rund 1,2 bis 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, im Jahr 2017 also zwischen 42,5 bis 55,5 Milliarden Euro.

Während die Konsequenzen beim Reiben der Hände noch einfach zu verstehen sind – sie werden warm – reagieren Materialien deutlich komplizierter. „Hier verändert sich gleichzeitig vieles. Aber wie diese Veränderung genau beginnt, wo Verschleißpartikel wirklich entstehen und wie sich die Reibungsenergie auswirkt, ist bis heute weitgehend unverstanden, da wir bisher kaum direkt unter die Oberfläche der Reibpartner schauen konnten“, erklärt Prof. Peter Gumbsch, Lehrstuhlinhaber für Werkstoffmechanik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik. „Mit unseren neuen mikroskopischen Methoden gelingt uns das heute. Dann sieht man im Material eine scharfe Grenzfläche, und an dieser Grenze werden die Verschleißpartikel abgelöst. Die Frage ist, wo diese Schwächung im Material herkommt?“

Nanospuren schon nach erstem Kontakt

Tatsächlich fanden die Wissenschaftler bei ihren Experimenten immer eine scharfe Linie in 150 bis 200 Nanometer Materialtiefe. Sie entsteht schon nach dem ersten Kontakt und ist nicht umkehrbar. Damit ist bereits der Grundstein für die zukünftige Schwachstelle im Material gelegt.

Die Wissenschaftler experimentierten mit verschiedenen Materialien, etwa Kupfer, Messinglegierungen, Nickel, Eisen oder Wolfram, immer mit dem gleichen Resultat. „Diese Ergebnisse sind völlig neu. Wir haben mit so etwas überhaupt nicht gerechnet“, sagt Gumbsch. Die Erkenntnisse tragen dazu bei, Vorgänge, die sich bei der Reibung abspielen, auf einer molekularen Ebene grundlegend nachzuvollziehen. „Wenn wir die auftretenden Effekte verstehen, können wir gezielt eingreifen. Mein Ziel ist es, Richtlinien zu entwickeln, mit deren Hilfe man zukünftig Legierungen oder Materialien mit besseren Reibungseigenschaften herstellen kann“, so Gumbsch.

Verformungen schlängeln durchs Material

Bei dem aufgetretenen Defekt im Material handelt es sich um so genannte Versetzungen. Diese sind für plastische, also unumkehrbare Verformungen verantwortlich. Der Effekt entsteht, wenn sich Atome gegeneinander verschieben. Im Material entsteht dabei gewissermaßen eine atomare Welle ähnlich der Bewegung einer Schlange. „Wir haben festgestellt, dass sich diese Versetzungen während des Reibvorgangs selbstorganisiert zu der beobachteten linienartigen Struktur zusammenfügen. Dieser Effekt ist bei jedem Versuch in gleicher Weise aufgetreten“, erläutert Dr. Christian Greiner vom Institut für Angewandte Materialien - Computational Materials Science des KIT.

Die Wissenschaftler verglichen den beobachteten Effekt der Selbstorganisation mit der mechanischen Spannungsverteilung im Material, die sich analytisch berechnen lässt. Die Berechnungen bestätigten, dass sich bestimmte Versetzungstypen in einem Spannungsfeld mit einer Materialtiefe zwischen 100 und 200 Nanometer selbst organisieren.

Auch Oxidationsprozesse wurden untersucht

Zusätzlich zum erwähnten Effekt untersuchten die Wissenschaftler an Kupferproben, wie sich Reibung auf die Oxidation von Oberflächen auswirkt. Nach wenigen Reibungszyklen bildeten sich auf der Oberfläche Kupferoxidflecken, die mit der Zeit zu halbkreisförmigen nanokristallinen Kupferoxidclustern anwuchsen. Die etwa drei bis fünf Nanometer großen Kupfer-2-Oxid-Nanokristalle waren von einer amorphen Struktur umgeben und wuchsen immer mehr in das Material hinein, bis sie überlappten und eine geschlossene Oxidschicht bildeten.

Dieses Phänomen, so Greiner, sei schon lange bekannt, aber auch hier sei noch nicht erforscht, wie es zu dem Effekt käme. „Es ist sehr wichtig zu verstehen, wie durch Reibung verursachte Oxidation vonstattengeht. In materialwissenschaftlichen Untersuchungen ist Kupfer ein sehr häufiges Material. Aber auch als Ausgangsmaterial für bewegliche Teile spielt es eine wichtige Rolle“, ergänzt der Materialforscher. Viele Lager bestehen aus Kupferlegierungen wie Bronze oder Messing. Daher stoßen die Untersuchungsergebnisse in der kupferverarbeitenden Industrie auf großes Interesse.

Dem Kupfer die Kugel geben

Der Versuchsansatz für beide Untersuchungen ist denkbar einfach: Eine Kugel aus Saphir wird dazu sehr sanft, langsam und kontrolliert in gerader Linie über ein Plättchen aus hochreinem Kupfer gezogen. Die Saphirkugel wurde gewählt, da sie einen immer gleichen, reproduzierbaren Kontaktpunkt garantiert und außerdem der Reibungseffekt auf die Kugel selbst wegen der Härte von Saphir vernachlässigbar ist. Nach jeder Überfahrung maßen die Forscher die entstandenen Verformungen und die dadurch hervorgerufenen strukturellen Veränderungen im Inneren der Metalle. Dazu koppelten sie Reibexperimente mit Methoden der zerstörungsfreien Prüfung sowie mit Data-Science-Algorithmen und hochauflösender Elektronenmikroskopie.

Mit ihrer Forschung möchten Gumbsch und sein Team die Brücke schlagen von den Prozessen auf atomarer Skala bis hin zum makroskopischen Effekt im Material. Neue Computermodelle sollen in Zukunft zum Beispiel Vorhersagen ermöglichen, wo die Schwachstellen in Werkstücken zu erwarten sind. Langfristig sollen die Ergebnisse dazu dienen, optimierte Materialien zu entwickeln, um Energie und Rohstoffe einzusparen.

Originalpublikationen: Christian Greiner, Zhilong Liu, Reinhard Schneider. Lars Pastewka, Peter Gumbsch: The origin of surface microstructure evolution in sliding friction. Scripta Materialia, Volume 153, August 2018, Pages 63-67; DOI: 10.1016/j.scriptamat.2018.04.048

Zhilong Liu, Christian Patzig, Susanne Selle, Thomas Höche, Peter Gumbsch, Christian Greiner: Stages in the tribologically-induced oxidation of high-purity copper. Scripta Materialia, Volume 153, August 2018, Pages 114-117; DOI: 10.1016/j.scriptamat.2018.05.008

* Regina Link, Karlsruher Institut für Technologie, 76344 Eggenstein-Leopoldshafen

(ID:45443312)