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Mikroplastik Die Gefahr lauert auch in Binnengewässern

Autor / Redakteur: Die Fragen stellte LP-Chefredakteur  Marc Platthaus / Dipl.-Chem. Marc Platthaus

Prof. Dr. Christian Laforsch von der Universität Bayreuth untersucht seit mehreren Jahren Gewässer auf den Eintrag von Mikroplastik. Was sagt der Experte zu der Problematik?

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Prof. Christian Laforsch Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Tierökologie I hat gemeinsam mit Kollegen die Mikroplastik-Problematik in Binnengewässern untersucht.
Prof. Christian Laforsch Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Tierökologie I hat gemeinsam mit Kollegen die Mikroplastik-Problematik in Binnengewässern untersucht.
(Bild: Uni Bayreuth)

LABORPRAXIS: Herr Prof. Laforsch, woher stammt das Mikroplastik in den Binnengewässern?

Prof. Christian Laforsch: Die Quellen von primärem und sekundärem Mikroplastik lassen sich leider noch nicht benennen. Wir wissen lediglich, dass verschiedene Quellen in Frage kommen.

LABORPRAXIS: Worin liegt der Unterschied zwischen primärem und sekundärem Mikroplastik?

Laforsch: Zu primären Mikroplastikpartikeln zählen jene Zutaten, die etwa Haushaltsreinigern oder Kosmetikartikeln beigemengt werden, um dem resultierenden Produkt eine gewünschte Wirkung zu verleihen. Primäres Mikroplastik gelangt also vermutlich vor allem über das Abwasser in die Umwelt. Zum primären Mikroplastik werden auch die in der Kunststoffherstellung eingesetzten rohstofflichen Granulate gezählt. Wie diese Granulate ins Wasser gelangen konnten? Wir können nur Vermutungen anstellen: Unfälle, Unachtsamkeit, fahrlässiger Umgang mit Rohstoffen vielleicht. Bei sekundärem Mikroplastik handelt es sich um Plastikpartikel die entstehen, wenn beispielsweise im Wasser treibende Plastikflaschen oder Plastiktüten unter UV-Einstrahlung und mechanischer Belastung zerrieben werden und in kleine Bestandteile zerfallen.

LABORPRAXIS: Wann gilt Kunststoff als Mikroplastik?

Laforsch: Als Mikroplastik werden derzeit Plastikfragmente bezeichnet, die kleiner sind als fünf Millimeter (mm). Inzwischen wird zudem unterschieden zwischen großen Mikroplastikpartikeln (5 bis 1 mm), und kleinen Mikroplastikpartikeln (kleiner 1 mm).

LABORPRAXIS: Welche Risiken gehen von Mikroplastikpartikeln aus?

Laforsch: Wir haben bei unterschiedlichsten Organismen verschiedenster trophischer Ebenen nachgewiesen, dass sie Mikroplastik aufnehmen. Der Beleg wurde erbracht bei Organismen, die an der Wasseroberfläche ihre Nahrung aufnehmen, bei Organismen, die in der Wassersäule Nahrung aufnehmen, und auch bei Organismen, die im Sediment leben. Auch der Wasserfloh frisst Mikroplastikpartikel, weil er sie mit natürlichen Nahrungsbestandteilen verwechselt oder gemeinsam mit diesen frisst – Hauptgrund für die Aufnahme von Mikroplastik durch Tiere und andere Organismen.

LABORPRAXIS: Welche Konsequenzen resultieren aus dieser Verwechselung?Laforsch: Albatrosse etwa, um ein sehr prägnantes Beispiel anzuführen, verwechseln im Wasser treibendes Plastik mit kleinen Fischen oder Kalmaren. Die Vögel verfüttern es daraufhin an ihre Jungen. In manchen Regionen ist die Population der Albatrosse um bis zu 80 Prozent zurückgegangen ist, weil Jungtiere verhungert sind. Oder: Schildkröten verwechseln im Wasser treibende Plastiktüten mit Quallen und verenden daran. Die meisten Tiere fressen Plastik, weil sie es mit natürlicher Nahrung verwechseln, weil es natürlicher Nahrung anhaftet oder weil es von organischem Material (Biofilm) umgeben ist. Allerdings gilt es zu sagen, die Auswirkungen von Plastik auf Organismen sind bislang nicht wirklich gut untersucht.

LABORPRAXIS: Wird das Plastik nicht über den Verdauungstrakt wieder ausgeschieden?

Laforsch: Manche Organismen scheiden alles, was sie aufgenommen haben, wieder aus. Allerdings wurden in den zugrundeliegenden Studien Plastikkügelchen verwendet. Es ist potenziell möglich, dass kleinste Mikroplastikpartikel von Zellen – auch menschlichen Zellen – aufgenommen und in den Organismus eingeschleust werden können. Ob Mikroplastikpartikel gewebegängig sind, hängt vermutlich von deren Oberflächenbeschaffenheit ab.

LABORPRAXIS: Mit welchen Folgen ist zu rechnen, wenn Mikroplastik ins Gewebe aufgenommen wird?

Laforsch: Es konnte gezeigt werden, dass die Aufnahme von Mikroplastik durch Muscheln zu entzündlichen Reaktionen im Gewebe führen kann. Zudem hat Plastik die Eigenschaft, im Wasser befindliche Schadstoffe anzureichern. Werden die kontaminierten Mikroplastikpartikel von Fischen gefressen, können die Schadstoffe deren Leber schädigen, wie Studien belegt haben. Zudem können bei der Herstellung der Kunststoffe verwendete Additive giftige oder hormonelle Wirkung in den aufnehmenden Organismen hervorrufen.

LABORPRAXIS: Was sind das für Schadstoffe, die sich an die Plastikpartikel anlagern?

Laforsch: Beispielsweise handelt es sich um Rückstände vor allem in der Landwirtschaft eingesetzter Pestizide oder persistenter bzw. langlebiger organischer Verbindungen (POP). Diese Stoffe sind nahezu ubiquitär in der Umwelt vorhanden und werden nur sehr langsam abgebaut oder umgewandelt.

LABORPRAXIS: Seit Langem schon wird das Problem der Kontamination der Ozeane mit Plastik diskutiert und wissenschaftlich untersucht. Gibt es eine Vergleichbarkeit mit dem Problem in Binnengewässern?

Laforsch: Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Probleme und Auswirkungen von Kunststoff im Allgemeinen und von Mikroplastik im Besonderen in Salz- und Süßwasser vergleichbar sind. Allerdings ist es fragwürdig, inwieweit sich die verschiedenen Studienergebnisse vergleichen lassen.

LABORPRAXIS: Wie meinen Sie das?

Laforsch: Die verschiedenen Arbeitsgruppen wenden unterschiedliche Methoden an, etwa bei Entnahme von Mikroplastikproben. Unterschiedliche Siebsätze mit unterschiedlichen Porengrößen führen dazu, dass man auch unterschiedlich große Mikropartikel aus dem Wasser fischt. Das wiederum führt unweigerlich zu schwer miteinander vergleichbaren Ergebnissen, etwa über die Belastung eines Gewässers. Ein weiteres Problem zeichnet sich ab bei dem Versuch, ein Mikroplastikpartikel eindeutig als solchen zu identifizieren. Hierzu taugt das Auge nur bedingt, und auch das Mikroskop stößt rasch an seine Grenze. Bis zu einer bestimmten Partikelgröße lässt mittels Augenschein, Erfahrung und Gefühl ein Fundstück als Plastik erkennen. Allerdings sollte sich die Wissenschaft nicht von Gefühlen leiten lassen, sondern verifizierte Methoden anwenden. Das bedeutet, dass wir in Studien, die Mikroplastikpartikel bislang visuell charakterisiert haben, vermutlich entweder eine Über- oder Unterschätzung der Kontamination haben.

LABORPRAXIS: Müssen wir also alle bisherigen Untersuchungen in Frage stellen?

Laforsch: Bei Studien, deren Datenbestand unter Einsatz rein visueller Methoden generiert wurde, möglicherweise ja. Es gibt aber sehr viele Arbeitsgruppen, die mit verlässlichen Methoden arbeiten. Damit wir uns aber nicht missverstehen: Die Grundaussagen sind stimmig. Die Studien, die mit verlässlichen Methoden durchgeführt wurden, sind zuverlässig. Mag sein, dass es von Region zu Region Variationen gibt. Unzweifelhaft aber ist, dass die Weltmeere eine deutliche Kontamination mit Plastik vorweisen.

LABORPRAXIS: Was schlagen Sie vor, um die wissenschaftliche Basis zu verbessern?

Laforsch: Es braucht verlässliche, reproduzierbare Nachweismethoden wie die Raman-Spektroskopie oder die FT-IR-Spektroskopie. Zudem erweist sich die Pyrolyse gekoppelt an die Gaschromatographie mit Massenspektrometrie als überaus hilfreiches Instrument, um die Mikroplastik zu charakterisieren. Bislang gibt es dafür jedoch, weder hierzulande noch anderenorts, verbindliche Standards. Daran sollte künftig gearbeitet und harmonisierte Lösungsansätze entwickelt und etabliert werden.

Herr Prof. Laforsch, vielen Dank für das Gespräch.

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