Krebsprävention bei der Zellteilung Die Unerschütterlichen – wie sich Blutstammzellen vor Entartung schützen
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Sie teilen sich ein Menschenleben lang – und liefern dabei perfekte Kopien von sich selbst. Dass Blutstammzellen erstaunlich robust gegen Fehler sind, durch die sie zu Krebszellen entarten, ist eine erstaunliche biologische Leistung. Ein Forscherteam mit Beteiligung des Berlin Institute of Health hat nun einen entscheidenden Mechanismus entschlüsselt, der zur Kopiersicherheit von Blutstammzellen beiträgt.

Unser Blut enthält eine Vielzahl verschiedener Zellarten, die z. B. für die Immunabwehr, den Transport von Sauerstoff und den Wundverschluss zuständig sind. Täglich werden alte Zellen aussortiert und etwa eine Milliarde Zellen neu gebildet, wie Simon Haas vom Berlin Institute of Health (BIH) erklärt. „Je nach Bedarf sind es auch mal mehr, ein Covid-Patient braucht zum Beispiel mehr Immunzellen, um gegen seine Infektion anzukämpfen.“
Den Nachschub liefern Stammzellen im Knochenmark, die ein Leben die verschiedenen Zellen des Blutes produzieren. Stets teilen sie sich in eine Tochterzelle, die sich weiterentwickelt, und in eine zweite Zelle, die Stammzelle bleibt. Dabei können bei jeder Zellteilung Fehler passieren, die das Erbgut der Stammzelle verändern und das Risiko erhöhen, zur Krebszelle zu entarten.
Zwei Schutzprinzipien für Stammzellen
Weil die Stammzellen im Knochenmark so unendlich viele Zellen produzieren, muss ihr Erbgut besonders gut vor Schäden bewahrt werden. „Jeder Fehler wird an die Tochterzellen vererbt und damit vervielfacht“, sagt Haas, der auch am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und am Heidelberger Institut für Stammzellforschung und Experimentelle Medizin (HI-STEM) tätig ist.
Wissenschaftler sind daher schon lange auf der Suche nach den Schutzmechanismen, die dafür sorgen, dass Stammzellen nur in Ausnahmefällen entarten. Einer dieser Mechanismen – eine Art passiver Schutz – ist bereits seit einiger Zeit bekannt „Die Stammzellen sitzen im Knochenmark in einer Stammzellnische, in der sie vor schädlichen Umwelteinflüssen geschützt sind“, sagt Andreas Trumpp, Direktor des Stammzellforschungsinstituts HI-STEM und Abteilungsleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. „Dort verharren sie in einer Art Schlafzustand, aus dem sie nur bei Bedarf aufgeweckt werden. Das funktioniert sehr zuverlässig, erst im höheren Alter nimmt die Schutzwirkung ab. Deshalb tritt Blutkrebs bei älteren Menschen leider etwas häufiger auf.“
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Der Tumor aus dem 3D-Drucker
Doch dieser passive Schutz ist offenbar nur ein Teil des Geheimnisses der unversehrten Stammzellen. Wie das Team um Haas nun herausgefunden hat, entstehen durchaus gelegentlich entartete Stammzellen. Doch dann greift ein aktiver Schutzmechanismus, denn die entarteten Zellen werden offenbar rechtzeitig entdeckt und aussortiert. „In der Stammzellnische befinden sich Immunzellen – die T-Zellen – die regelmäßig überprüfen, welche Eiweiße die Stammzellen auf ihrer Oberfläche präsentieren“, berichtet der Forscher. „Stellen die Immunzellen fest, dass die Stammzellen krebsartige Veränderungen aufweisen, vertreiben sie diese aus der Stammzellnische.“
Kommunikation zwischen den Zellen
Die Interaktion zwischen den T-Zellen und den Stammzellen haben die Wissenschaftler eher zufällig entdeckt. Pablo Hernández-Malmierca, Erstautor der Arbeit, untersuchte die Stammzellen mithilfe von Genexpressionsanalysen und Single-Cell-Technologien. „So fanden wir heraus, dass die Stammzellen im Knochenmark alle Eiweiße herstellen, die zur Kommunikation mit den T-Zellen in der Knochenmarknische notwendig sind.“
Das Team war v. a. darüber erstaunt, dass die Stammzellen offenbar Signalmoleküle nutzen, die eigentlich nur wenige, spezialisierte Zellarten zur Kommunikation mit T-Zellen einsetzen. „Über die MHC-Klasse-II-Moleküle auf der Zelloberfläche kommunizieren ausschließlich professionelle Antigen-präsentierende Zellen“, erklärt Haas. „Damit setzen sie eine Immunantwort in Gang, die zur Abtötung von infizierten oder entarteten Zellen führt. Dass dieser spezielle Weg auch von den Stammzellen im Knochenmark genutzt wird, konnten wir zunächst gar nicht glauben.“
Notbremse für die endlose Teilung
Um zu überprüfen, ob die Stammzellen die MHC-II-Moleküle nicht nur herstellen, sondern auch wirklich benutzen, brachte der zweite Erstautor, Dominik Vonficht, Stammzellen und T Zellen in der Kulturschale zusammen. Dabei entdeckten die Wissenschaftler, dass die entarteten Stammzellen Bruchstücke ihrer veränderten Proteine auf ihren MHC-II-Molekülen präsentieren und damit die T-Zellen aktivieren. „Umgekehrt haben wir gesehen, dass auch die T-Zellen die Stammzellen aktivieren, indem sie mit ihrem T-Zell-Rezeptor an die MHC-II-Moleküle binden. Die Kommunikation funktioniert also in beide Richtungen“, erklärt Vonfichts Kollege Hernández-Malmierca. „Die aktivierten Stammzellen teilen sich, aber es bleibt diesmal keine Tochterzelle als Stammzelle zurück, sondern beide Tochterzellen differenzieren sich weiter zu Blutzellen. Damit ist die Gefahr gebannt, dass die entarteten Stammzellen dauerhaft entartete Nachkommen hervorbringen“, führt Hernández-Malmierca aus.
Mechanismus läuft auch im Mensch ab
Auch bei Mäusen zeigten die Wissenschaftler, dass die Sicherheitskontrolle der Stammzellen über den MHC-II-Weg funktioniert. „Wir haben Mäuse gezüchtet, die zwei verschiedene Sorten von Stammzellen hatten: Eine Hälfte der Stammzellen war gesund, die andere Hälfte präsentierte auf ihrer Oberfläche Bruchstücke eines kranken Eiweiß über das MHC-II-Molekül“, erklärt Alexandra Schnell von der Harvard Medical School. Nachdem die Forscher den Mäusen T-Zellen verabreicht hatten, die das kranke Eiweiß mit ihrem T-Zell-Rezeptor erkannten, verschwanden die kranken Stammzellen nach und nach aus dem Knochenmark und nur gesunde Stammzellen blieben zurück. Auf diese Weise konnten die Tiere vor der Entstehung von Leukämien geschützt werden, wie das Team berichtet. Die Analyse von klinischen Daten zeigte, dass der neu entdeckte Mechanismus auch im Menschen dafür sorgt, dass erkrankte Stammzellen aussortiert und vor Entartung geschützt werden.
Haas ist begeistert, dass die neuen Technologien es ermöglichen, „Lehrbuchwissen umzuschreiben“. „Bislang galt es als ausgemacht, dass nur dendritische Zellen, Makrophagen und B-Zellen über MHC-II-Moleküle verfügen und Antigene präsentieren. Dass wir nun entdeckt haben, dass auch Blutstammzellen im Knochenmark über genau diesen Mechanismus mit T Zellen kommunizieren, ist für uns sehr überraschend und vermutlich auch für die Mehrzahl unserer Kolleginnen und Kollegen.“
Originalpublikation: Pablo Hernández-Malmierca, Dominik Vonficht, Alexandra Schnell, Hannah J. Uckelmann, Alina Bollhagen, Mohamed A.A. Mahmoud, Sophie-Luise Landua, Elise van der Salm, Christine L. Trautmann, Simon Raffel, Florian Grünschläger, Raphael Lutz, Michael Ghosh, Simon Renders, Nádia Correia, Elisa Donato, Karin O. Dixon, Christoph Hirche, Carolin Andresen, Claudia Robens, Paula S. Werner, Tobias Boch, David Eisel, Wolfram Osen, Franziska Pilz, Adriana Przybylla, Corinna Klein, Frank Buchholz, Michael D. Milsom, Marieke A.G. Essers, Stefan B. Eichmüller, Wolf-Karsten Hofmann, Daniel Nowak, Daniel Hübschmann, Michael Hundemer, Christian Thiede, Lars Bullinger, Carsten Müller-Tidow, Scott A. Armstrong, Andreas Trumpp, Vijay K. Kuchroo, Simon Haas: Antigen presentation safeguards the integrity of the hematopoietic stem cell pool, Cell Stem Cell, Volume 29, Issue 5, 2022, Pages 760-775.e10, ISSN 1934-5909; DOI: 10.1016/j.stem.2022.04.007
* Dr. S. Seltmann, Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH), 10178 Berlin
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