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Wissenskarte im Gehirn Die Vermessung der Gedanken-Welt

Autor / Redakteur: Bettina Hennebach* / Christian Lüttmann

Das Gehirn ist ein biologischer Wissensspeicher. Neue Erfahrungen werden dort nicht einfach nur abgelegt, sondern im Raum des Gehirns verortet wie in einer dreidimensionalen Landkarte. Dies fanden nun Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig heraus. Was das für das Lernen und Einordnen unbekannter Konzepte bedeutet, verrät dieser Beitrag.

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Das Lernen in unserem Gedankenraum funktioniert über ähnliche räumliche Muster und Distanzen wie die Orientierung in einem physikalischen Raum - hier am Beispielkonzept „Mexiko“ dargestellt.
Das Lernen in unserem Gedankenraum funktioniert über ähnliche räumliche Muster und Distanzen wie die Orientierung in einem physikalischen Raum - hier am Beispielkonzept „Mexiko“ dargestellt.
(Bild: MPI CBS)

Leipzig – Wie repräsentiert das Gehirn unser Wissen über die Welt? Dieser zentralen Frage sind Stephanie Theves und Christian F. Doeller vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig in einer Lernstudie nachgegangen. Zusammen mit Kollegen vom Donders Institut der Radboud Universität im niederländischen Nijmegen ist es ihnen gelungen, die Aktivitätsmuster im Gehirn aufzuzeichnen und räumlich im Gehirn zu verorten. Ihre Ergebnisse stützen die Annahme, dass das Lernen in unserem Gedankenraum über ähnliche räumliche Muster und Distanzen funktioniert wie die Orientierung in einem physikalischen Raum.

„Man muss sich das beim Erwerb von Wissen so vorstellen, dass wir als Menschen in der Lage sind, Gelerntes auf Neues oder ein vorher nicht direkt erlebtes Problem anzuwenden“, erklärt Studienautorin Theves. „Geht man zum Beispiel durch die Stadt, in der man wohnt, kann man eine Abkürzung nehmen, ohne sie je vorher ausprobiert zu haben, weil im Gehirn die räumlichen Orientierungswege in der Stadt repräsentiert sind. So ähnlich ist es beim Erwerb von Wissen auch: Wir haben ein Konzept davon im Kopf, was einen Rennwagen von einem LKW unterscheidet. Wenn wir nun ein neues Fahrzeug sehen, können wir anhand der Relation relevanter Eigenschaften wie zum Beispiel Motorleistung und Gewicht beurteilen, um welchen Fahrzeugtyp es sich bei diesem zuvor noch nie gesehenen Exemplar handelt. Wir folgern also unbewusst indem wir das neue Exemplar in unserer mentalen Landkarte verorten.“

Bilder sortieren im MRT

Die Teilnehmer in ihrer Studie haben über zwei Tage ein neues Konzept erworben, indem sie lernten, zuvor noch nie gesehene abstrakte Bilder anhand bestimmter Merkmale in zwei Kategorien einzuordnen. Im Anschluss an diese Lernphase wurden die Probanden dann im MRT untersucht. Dort testeten die Studienleiter, ob das Gehirn die für das neu zu lernende Konzept relevanten Merkmals-Dimensionen kombiniert und in einem raumähnlichen Format abspeichert, in welchem einzelne Exemplare lokalisiert werden können.

„Wir sind daran interessiert, dass die Probanden neue Konzepte lernen, weil wir dann die Distanzen innerhalb des konzeptuellen Raumes messen können, während Wissen erworben wird“, sagt Theves. Indem die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen aus den Niederlanden die Signale des Hippocampus aufzeichnen können sie herausfinden, wie nah gezeigte Objekte einander im gedanklichen Raum sind. „Interessant ist, dass wir so eine exakte Skalierung der Objekte im Raum sehen können, woraus wir schließen, dass die Informationen im Gehirn kartenartig repräsentiert sind.“

Menschliche Intelligenz besser verstehen

Dass wir Menschen so flexibel bei der Anwendung von neuem Wissen agieren können, liege mit großer Wahrscheinlichkeit an dieser Organisationsstruktur, schlussfolgert Theves. Langfristig könnten ihre Ergebnisse dazu beitragen, zentrale Aspekte menschlicher Intelligenz zu erklären – zum Beispiel die Fähigkeit zu schlussfolgern oder zu generalisieren. Das Verständnis, wie Wissensrepräsentationen erworben werden und im Gehirn organisiert sind, könnte außerdem genutzt werden, um Unterrichtsmethoden für effizientes Lernen zu optimieren.

Originalpublikation: Stephanie Theves, Guillén Fernandez, Christian F. Doeller: The hippocampus encodes distances in multidimensional feature space. Current Biology (2019); DOI: 10.1016/j.cub.2019.02.035

* B. Hennebach, Max Planck Institut f. Kognitions- und Neurowissenschaften, 04103 Leipzig

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