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Magnetsinn bei Säugetieren Die Welt mit Graumullaugen sehen: Nager nutzt Magnetfeld

Quelle: Pressemitteilung Andreas Lorenz-Meyer*

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Die behaarten Verwandet der Nacktmulle können das Magnetfeld der Erde zur Orientierung nutzen. Wie den Graumullen dies gelingt, untersuchen Forscher am Max-Planck-Institut für Neurobiologie des Verhaltens mit magnetischen Labyrinthen und Fluoreszenzmikroskopie.

Pascal Malkemper vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie des Verhaltens untersucht das Orientierungsvermögen der Graumulle in einem Labyrinth. Das Gangsystem befindet sich in einem künstlichen Magnetfeld, welches die Tiere zur Orientierung nutzen.
Pascal Malkemper vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie des Verhaltens untersucht das Orientierungsvermögen der Graumulle in einem Labyrinth. Das Gangsystem befindet sich in einem künstlichen Magnetfeld, welches die Tiere zur Orientierung nutzen.
(Bild: Christof Seelbach für MPG)

Kaum geht das Licht an, beginnt es zu rascheln. Hier und da taucht aus den Tunneln und Kammern ein länglicher Körper mit hellbraunem Fell auf und verschwindet wieder. Plötzlich Klopfzeichen. „Das sind Warnsignale“, flüstert Pascal Malkemper vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie des Verhaltens. „Sehen Sie hier, dieses Tier in der Röhre – Es führt mit seinem Körper wellenförmige Bewegungen aus und erzeugt so Vibrationen.“ Die Nachricht bleibt nicht unbeantwortet: Ein Artgenosse erscheint am anderen Ende der Röhre und antwortet mit Klopfen.

Wir stellen vor: der Graumull

Unübersehbar ein Nagetier: Dieser Graumull (Fukomys anselli) ist eine von etwa einem Dutzend Graumull-Arten. Mit seinen mächtigen, ständig nachwachsenden Schneidezähnen reißt das Tier die Erde beim Graben seiner Tunnel los und tritt sie mit den Vorder- und Hinterbeinen nach hinten.
Unübersehbar ein Nagetier: Dieser Graumull (Fukomys anselli) ist eine von etwa einem Dutzend Graumull-Arten. Mit seinen mächtigen, ständig nachwachsenden Schneidezähnen reißt das Tier die Erde beim Graben seiner Tunnel los und tritt sie mit den Vorder- und Hinterbeinen nach hinten.
(Bild: Christof Seelbach für MPG)

Der Raum für die Graumulle am Forschungsinstitut ist voller Käfige, von denen immer zwei durch Plexiglasröhren miteinander verbunden sind. Die Temperatur beträgt 26 Grad, die Luftfeuchtigkeit liegt bei über 60 Prozent. Das entspricht den Verhältnissen unter der Erde in Sambia. Die Graumull-Art kommt nirgends sonst auf der Welt vor. Auch die Käfige berücksichtigen die Ansprüche der Nager an ihren Lebensraum. Die Röhren imitieren die Tunnelgänge, in denen die in Familienverbänden lebenden Tiere ihr Leben lang unterwegs sind. Die Käfige bieten eine Latrinen-, eine Schlaf- und eine Futterkammer. Zu fressen gibt es Kartoffel- oder Karottenstücke, manchmal auch Äpfel. Wasserspender braucht es hingegen nicht: Graumulle trinken nicht, sondern nehmen alle Flüssigkeit über die Nahrung auf.

In der Natur bewohnen sie unterirdische, teilweise mehrere Kilometer lange Tunnelsysteme. Die Tiere leben also in permanenter Dunkelheit. Und doch kommen sie in diesem Gewirr aus schmalen Gängen bestens zurecht. Mit traumwandlerischer Sicherheit steuern sie die verschiedenen Kammern an – so kennen sie die Lage der Futterkammer, in der sie Wurzeln und Knollen bunkern, ganz genau. Doch wie orientieren sie sich?

Magnetsinn im Tierreich

Augen, Nasen und Ohren helfen den Graumullen in ihrem unterirdischen Gangsystem bei der Orientierung nur bedingt weiter. Um ihr Ziel zu finden, nutzen die Tiere einen besonderen Sinn: den Magnetsinn. Seit einiger Zeit weiß man, dass die Tiere das Magnetfeld der Erde wahrnehmen können. Einzigartig sind sie im Tierreich damit nicht. Fische, Schildkröten, Amphibien und Fledermäuse besitzen diese Fähigkeit ebenfalls. Auch Zugvögel orientieren sich am Erdmagnetfeld. Ihr Magnetsinn ist gut erforscht, er sitzt wahrscheinlich im Auge.

Vögel besitzen einen so genannten Inklinationskompass, das heißt, sie nehmen ausschließlich den Neigungswinkel wahr, in dem die Magnetfeldlinien auf die Erdoberfläche treffen. Am Äquator ist dieser Winkel gleich null, je weiter ein Vogel nach Norden oder Süden fliegt, desto größer wird dieser Winkel. Vögel können folglich nicht zwischen magnetischem Süd- und Nordpol unterscheiden, sie fliegen entweder Richtung Pole oder Äquator.

Über den Magnetsinn bei Säugetieren ist bisher nur wenig bekannt, aber der Mechanismus scheint sich fundamental von jenem der Vögel zu unterscheiden. Graumulle besitzen einen Polaritätskompass, der sich wie eine Kompassnadel an den beiden magnetischen Polen der Erde ausrichtet. Während der Magnetkompass der Vögel ohne Licht aussetzt, funktioniert jener der Graumulle auch in völliger Dunkelheit.

Hier steckt die Orientierung im Gehirn

Malkemper und sein Team wollen herausfinden, wie die Graumulle das Magnetfeld wahrnehmen und welche Gehirnregionen die Signale verarbeiten. Dazu messen die Wissenschaftler die Aktivität von Nervenzellen in einer Gehirnregion, die als Hippocampus bekannt ist und große Bedeutung für die räumliche Orientierung hat. Hier werden Informationen vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis überführt – der Hippocampus ist sozusagen der Arbeitsspeicher des Gehirns.

Die Doktorandin Runita Shirdhankar sucht im Hippocampus nach so genannten Ortsgedächtniszellen und analysiert sie. Jede dieser auch place cells genannten Nervenzellen ist an einer bestimmten Stelle im Labyrinth aktiv. „Die Frage ist, ob die Zellen an einem anderen Punkt aktiv werden, wenn wir lediglich das Magnetfeld ändern. Dann wüssten wir, dass die Ortsgedächtniszellen Informationen von einem anderen Zelltyp im Gehirn erhalten, der die Richtung des Magnetfeldes verarbeitet. Nach diesen Zellen suchen wir“, erklärt Malkemper.

Optischer Längsschnitt durch das Graumullgehirn. In der Großhirnrinde sind die Forschenden auf Nervenzellen gestoßen (Pfeile), welche an der Verarbeitung von Informationen aus dem Magnetsinn beteiligt sind.
Optischer Längsschnitt durch das Graumullgehirn. In der Großhirnrinde sind die Forschenden auf Nervenzellen gestoßen (Pfeile), welche an der Verarbeitung von Informationen aus dem Magnetsinn beteiligt sind.
(Bild: Pascal Malkemper / MPI für Neurobiologie des Verhaltens)

Beim Aufspüren der place cells in anderen Gehirnregionen helfen Proteine, die immer dann gebildet werden, wenn eine Nervenzelle aktiv ist. Um diese sichtbar zu machen, markieren die Forscher sie mit fluoreszierenden Farbstoffen und machen das Gehirn anschließend durchsichtig. Unter dem Mikroskop verraten sich durch das Magnetfeld aktivierte Nervenzellen dann durch ihr Leuchten. „Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass mehrere Regionen an der Verarbeitung des Magnetsinns beteiligt sind, unter anderem der Hippocampus und der vordere Teil der Vierhügelplatte im Mittelhirn. Dort werden bei anderen Säugern die Informationen verschiedener Sinne integriert“, sagt Malkemper.

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Kleine Kompasse in den Augen?

Von diesen Arealen ausgehend, wollen der Neurobiologe und sein Team die Sinneszellen – also das eigentliche Kompassorgan – finden, mit denen die Graumulle ein Magnetfeld wahrnehmen können. Gesucht sind Zellen, die winzige magnetische Eisenpartikel enthalten. Diese Magnetnadeln aus Eisenoxid sind jedoch nur wenige millionstel Millimeter groß. Statt sie direkt zu suchen, wollen sich die Forscher daher von den Gehirn¬arealen zu den Sinneszellen leiten lassen. Farbstoffe markieren die Nervenzellen und ihre Fortsätze. An diesen Fortsätzen wollen sich die Wissenschaftler von Nervenzelle zu Nervenzelle entlanghangeln, bis hin zum Ursprung des Magnetsignals: den Magnetsinneszellen. Einen ersten Hinweis auf den Sitz des Magnetsinns hat das Team bereits: Durch die vorübergehende Betäubung der Augen lässt sich auch der Magnetsinn abschalten. „Die Augen müssen also in irgendeiner Form an der Wahrnehmung von Magnetfeldern beteiligt sein“, sagt Malkemper.

Sind die Sinneszellen für die Magnetinformationen erst einmal gefunden, wollen die Forscher ihre Funktionsweise untersuchen und die Gene identifizieren, die die Wahrnehmung von Magnetfeldern ermöglichen. Diese würden auch erklären, wie sich der Magnetsinn bei Säugetieren entwickelt hat. Darüber ließe sich besser abschätzen, ob und wie sich die elektromagnetischen Felder in der modernen, vom Menschen geprägten Natur auf Tiere auswirken. Und schließlich könnten die Graumulle in Malkempers Labor Antworten auf die Frage liefern: Haben auch Primaten, zu denen ja wir Menschen gehören, einen unbewussten Magnetsinn?

Versuche im magnetischen Labyrinth

Die Graumulle hat sich MPI-Forscher Malkemper ausgesucht, weil sie die einzigen bekannten Nagetiere sind, die sich am Erdmagnetfeld orientieren. Ob ihre Verwandten, die Nacktmulle, die in manchen Labors gehalten werden, Magnetfelder ebenfalls wahrnehmen können, ist dagegen noch unklar. Zudem ist die Haltung der Graumulle etwas einfacher als die der Nacktmulle, weil sie dank ihres Fells die Körpertemperatur besser halten können und ihre Kolonien aus zwei bis zwölf ¬Individuen deutlich kleiner sind als jene der Nacktmulle, die aus bis zu 300 Tieren bestehen.

Malkemper öffnet eine schwere Stahltür und betritt einen kleinen Raum. Darin auf einem Tisch ein Labyrinth, dessen Gänge die Forscher mit Klappen öffnen und schließen können. Der Raum ist ausgefüllt mit einem Konstrukt aus Stangen und Streben, welches den Tisch umgibt. „In diesem Spulensystem sind viele Kilometer Kupferdraht aufgewickelt. Fließt Strom durch diese Drähte, entsteht ein Magnetfeld im Inneren der Spule, das wir genau kontrollieren können. Auf diese Weise können wir künstliche Magnetfelder jeglicher Art erzeugen“, erklärt der Neurobiologe.

Hier können die Tiere nichts sehen, riechen, hören

Während der Versuche kompensieren die Forscher das echte Erdmagnetfeld mit den Magnetspulen und simulieren gleichzeitig ein neues Erdmagnetfeld. Zusätzlich schirmen schwarze Vorhänge das Miniaturlabyrinth ab und verhindern so, dass sich die Tiere während eines Experiments an visuellen Reizen im Raum orientieren können. Auch gegenüber Geräuschen und Vibrationen ist das Labyrinth abgeschottet, die Nager sollen durch nichts abgelenkt werden. Da selbst Gerüche stören, wird die Kammer nach jedem Durchlauf penibel geputzt. „Eine reizarme Umgebung also, bis auf das künstliche Magnetfeld. So stellen wir sicher, dass unsere Messwerte ausschließlich auf den Magnetsinn der Tiere zurückzuführen sind“, erklärt Malkemper.

Graumulle nutzen wie die meisten Tiere immer alle ihre Sinne. Wenn sie etwas hören oder riechen, orientieren sie sich häufig lieber daran als an den magnetischen Signalen. „Der Magnetsinn scheint generell eher eine untergeordnete Stellung in der Hierarchie der Sinne einzunehmen. Ein Grund dafür könnte sein, dass das Signal-Rausch-Verhältnis aufgrund der geringen Intensität des Erdmagnetfeldes gering ist.“

Virtual Reality für Graumulle

Dass die Graumulle ihren Magnetsinn zur Orientierung nutzen, hat Malkempers Team mit einem einfachen Experiment im Labyrinth gezeigt. Tiere, die einmal gelernt haben, im Labyrinth eine Kammer mit Futter zu lokalisieren, brauchen sehr viel länger, um den Weg zum Futter zu finden, wenn das künstliche Magnetfeld um das Labyrinth verändert und damit ihre Orientierung durcheinandergebracht wird.

Aber nicht nur die Richtung des Erdmagnetfeldes könnte den Graumullen in der Natur als Orientierunghilfe dienen. Eine noch offene Frage ist, welche Rolle lokale magnetische Anomalien spielen, die in der Natur etwa durch Eisenerze hervorgerufen werden. Sie könnten den Tieren als magnetische Landmarken dienen. In der Magnetfeldkammer am Max-Planck-Institut in Bonn lassen sich auch solche magnetischen Anomalien erzeugen. „Wir wollen testen, ob derartige Anomalien den Tieren das Navigieren im Labyrinth erleichtern. So wie Markierungen oder Schilder an den Wänden eines Labyrinths einem Menschen bei der Orientierung helfen würden. Dafür können wir das Magnetfeld in Echtzeit verändern, abhängig von der Position des Tieres im Labyrinth – sozusagen Virtual Reality für Graumulle“, sagt der MPI-Forscher. Mit dieser Technik hat er bereits einige Geheimnisse der Tiere aufgedeckt und hofft, deren Magnetsinn noch besser zu verstehen zu lernen. (clu)

Weitere Infos zur Erforschung des Magnetsinns von Graumullen finden Sie auf der Seite www.malkemper-lab.com.

* A. Lorenz-Meyer, Autor

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