Materialeigenschaften von Legierungen Diffusionsvorgänge in Nanoteilchen entschlüsselt
Wie funktioniert Diffusion in einem Festkörper? Grazer Forscher haben bei Aluminiumlegierungen entdeckt, dass sich feine Kanäle im Material bilden können. Dort sind Transportvorgänge erleichtert, ähnlich wie eine Rettungsgasse den Krankentransport über eine verstopfte Autobahn erleichtert. Das Wissen wollen die Forscher für neue Ansätze zur Verbesserung von Materialeigenschaften nutzen.
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Graz/Österreich – Aluminiumlegierungen verfügen über einzigartige Materialeigenschaften und sind unverzichtbare Werkstoffe im Flugzeugbau oder der Weltraumtechnik. Forscher der TU Graz konnten nun erstmals mithilfe der hochauflösenden Elektronentomographie jene Mechanismen entschlüsseln, die für das Verständnis dieser Eigenschaften entscheidend sind.
Ausscheidungen im Nanomaßstab ändern Material-Qualität
Um die Festigkeit, Korrosionsbeständigkeit und Schweißbarkeit von Aluminiumlegierungen zu verbessern, werden der Aluminiummatrix Legierungselemente wie Scandium oder Zirkon zugesetzt. Je nach weiterer Behandlung bilden sich danach winzige – nur wenige Nanometer große – rundliche Partikel, so genannte Ausscheidungen. Ihre Gestalt, ihr atomarer Aufbau sowie das „Ringen“ der Scandium- und Zirkonatome um die „besten Plätze“ im Kristallgitter entscheiden über Eigenschaften und Einsetzbarkeit des Werkstoffes.
Die Forscher der TU Graz analysierten diese Strukturen mithilfe des Austrian Scanning Transmission Electron Microscope (ASTEM) am Zentrum für Elektronenmikroskopie Graz (ZFE). Das Gerät kann hochaufgelöste Elementkartierungen von dreidimensionalen Strukturen erzeugen. „Die so erhaltenen tomografischen Analysen lieferten überraschenderweise ein Bild, das nach bisherigem Kenntnisstand nicht interpretiert werden konnte“, so Prof. Gerald Kothleitner, Leiter der Arbeitsgruppe für analytische Transmissionselektronenmikroskopie am Institut für Elektronenmikroskopie und Nanoanalytik der TU Graz. „Wir stellten Anomalien in den gebildeten Kern-Schale-Strukturen fest: Einerseits fanden wir in den Ausscheidungen höhere Mengen an Aluminium, als wir vermutet hatten. Andererseits entdeckten wir mit Zirkon angereicherte Kerne sowie Begrenzungszonen zwischen Kern und Schale mit fast perfekter Zusammensetzung und Kristallstruktur.“
Rettungsgassen in der Aluminiumlegierung
Um diesem Phänomen der Selbstorganisation auf die Spur zu kommen, griffen die Forscher auf quantenmechanische Berechnungen und Simulationen zurück. Dabei zeigte sich, dass sich das System entmischt und atomar enge Kanäle bildet, in denen die Fremdatome diffundieren können. Aufeinandertreffende Atome blockieren aber diese Kanäle und stabilisieren das System.
Dissertantin Angelina Orthacker erklärt die Bewegung der Atome anschaulich: „Der Diffusionsprozess lässt sich vergleichen mit der Bildung von Rettungsgassen in einem verkehrsreichen Stadtgebiet mit engen Straßen: Der Verkehr schafft es, sich in Sekundenbruchteilen selbst zu organisieren, um die freie Fahrt der Einsatzfahrzeuge zu ermöglichen. Doch schon bei kleinen Beeinträchtigungen bricht die Rettungsgasse zusammen.“
Genauso verhält es sich im Inneren von Aluminiumlegierungen. „Rettungsgassen“ fördern den Materialtransport von Scandium- und Zirkonatomen, geringe Störungen stoppen diese Transportreaktionen. Das Forscherteam vermutet, dass die neuen Erkenntnisse zu solchen Diffusionsprozessen auch bei anderen Mehrkomponenten-Legierungen eine Rolle spielen. Deren Eigenschaften können nun nach Aussage der Wissenschaftler noch gezielter eingestellt werden.
Originalpublikation: Angelina Orthacker, Georg Haberfehlner, Johannes Taendl, Maria C. Poletti, Bernhard Sonderegger & Gerald Kothleitner: Diffusion-defining atomic-scale spinodal decomposition within nanoprecipitates. Nature Materials (Volume 17 Issue 11, November 2018); DOI: 10.1038/s41563-018-0209-z
* C. Pelzl, Technische Universität Graz, 8010 Graz/Österreich
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