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Membranprotein unter der Lupe Ein Paddel sorgt für Struktur im Zellkraftwerk

Autor / Redakteur: Jana, Schlütter* / Christian Lüttmann

Kraftwerke sind starre Gebäude aus Stahlbeton. Doch die Kraftwerke der Zellen – die Mitochondrien – sind flexibel und in stetem Wandel. Was deren Membran dennoch in Form hält, hat nun ein Team um Forscher des Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) herausgefunden. Ein Protein mit „Paddel“ spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Forschungsergebnisse könnten auch für die Behandlung von optischer Atrophie wertvoll sein.

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Domänen des Mgm1-Proteins: der Motor ( orange), der Hebel (rot), der Stiel (blau) und das neu entdeckte  Paddel (grün).  Für mehr Details, das Bild anklicken.
Domänen des Mgm1-Proteins: der Motor ( orange), der Hebel (rot), der Stiel (blau) und das neu entdeckte  Paddel (grün).  Für mehr Details, das Bild anklicken.
(Bild: AG Daumke, MDC)

Berlin – Mitochondrien sind die Kraftwerke unserer Zellen. Hier wird Energie in Form chemischer Verbindungen wie ATP gewonnen. Um dieser Aufgabe optimal nachgehen zu können, haben Mitochondrien einen ganz bestimmten Aufbau: Sie besitzen neben einer äußeren Membran auch eine innere, die mit zahlreichen Einstülpungen versehen ist. An dieser inneren Membran befinden sich alle Enzyme, die für die ATP-Produktion wichtig sind.

In stetigem Wandel

Ein Team um Professor Oliver Daumke vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) hat nun in einer Studie den Aufbau der Membran genauer untersucht. „Uns hat interessiert, wie die Mitochondrien ihre charakteristische Form erhalten“, sagt Daumke, der Leiter der MDC-Arbeitsgruppe „Strukturbiologie Membran-assoziierter Prozesse“. „Mitochondrien sind nämlich alles andere als starre Gebilde: Sie sind permanent damit beschäftigt, sich zu teilen und wieder miteinander zu fusionieren.“ Und diese ständigen Transformationen erfüllen auch einen Sinn. So werden dabei z.B. schadhafte Abschnitte zuverlässig entfernt.

„Aber nicht immer funktionieren die Mitochondrien so perfekt“, betont Dr. Katja Fälber von der Kristallographie-Abteilung des MDC. „Viele neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson entstehen unter anderem deshalb, weil das Gleichgewicht zwischen Teilung und Fusion der Mitochondrien gestört ist und die Nervenzellen deshalb langsam absterben“, sagt die Forscherin.

Ein Protein als Umbauhelfer

Die stetigen Umwandlungsprozesse der Mitochondrien werden u.a. von einem Protein aus der Dynamin-Familie gesteuert. In der Hefe ist es Mgm1 (Mitochondrial genome maintenance 1 protein), beim Menschen OPA1 (Optic atrophy protein 1). Mutationen in dem Gen für OPA1 führen zu einer angeborenen Erkrankung des Sehnervs, der optischen Atrophie. Sie ist eine der häufigsten Ursachen der vererbten Blindheit.

„Sowohl Mgm1 als auch OPA1 sitzen auf der inneren Mitochondrien-Membran – und zwar insbesondere im Bereich der charakteristischen Einstülpungen “, sagt Daumke. Dort fungieren die Proteine als molekulare Maschinen: Sie verwandeln chemische in mechanische Energie.

Bereits vor der aktuellen Studie war bekannt, dass die Proteine aus mehreren Untereinheiten bestehen: aus der GTPase-Domäne, die den eigentlichen Motor darstellt, aus der BSE-Domäne (bundle signalling element), die als Hebel agiert, und aus einem Stiel. „Uns hat insbesondere der Stiel interessiert, da er die Anordnung von Mgm1 in strangförmige Strukturen ermöglicht“, sagt Daumke. Es sind diese Stränge, die die Membran verformen. Ohne sie funktioniert die Maschine nicht.

Entdeckung der vierten Art: Das „Paddel“

Um genauer herauszufinden, wie das Hefeprotein Mgm1 die Einstülpungen der inneren Membran stabilisiert und den permanenten Umbau der Mitochondrien-Membranen steuert, untersuchten die Forscher am MDC den dreidimensionalen Aufbau des Proteins per Kristallographie. „Mithilfe dieser Methode haben wir ein atomares Modell von Mgm1 erhalten“, sagt Kristallographin Fälber.

Die Gruppe von Professor Werner Kühlbrandt am Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt am Main nahm das Protein zudem per Kryoelektronenmikroskopie unter die Lupe. „Die Auflösung ist bei diesem Verfahren zwar geringer, doch dafür lässt sich das Protein anders als bei der Kristallographie auch im membrangebundenen Zustand untersuchen“, erklärt Fälber.

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Auf diese Weise stießen die Forscher gemeinsam auf eine vierte, bislang unbekannte Domäne von Mgm1, die sie das „Paddel“ nannten. „Dabei handelt es sich um eine langgestreckte Untereinheit, über die sich das Protein an die innere Membran der Mitochondrien heftet“, sagt Daumke. „Darüber hinaus haben wir im Stiel des Proteins diejenigen Kontaktflächen ermittelt, die für die Anordnung von Mgm1 in Stränge erforderlich sind.“ Damit hatte das Team alle Puzzleteile zusammen, um die Prozesse an der Membran am Computer zu simulieren.

Ohne Kontaktflächen zerfallen die Mitochondrien

Dr. Katja Fälber und Prof. Oliver Daumke
Dr. Katja Fälber und Prof. Oliver Daumke
(Bild: Ivan Haralampiev, MDC)

Um zu überprüfen, ob die identifizierten Flächen für die Stabilisierung der inneren Mitochondrien-Membran wirklich entscheidend sind, tauschten die Forscher in diesen Regionen einzelne Aminosäuren aus. Dabei half ihnen eine Gruppe um Professor Martin van der Laan vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. „Und tatsächlich verlor das Protein dadurch seine Funktion“, sagt Daumke: „Die Mitochondrien konnten ihre charakteristischen Einstülpungen nicht mehr richtig ausbilden und auch nicht mehr miteinander fusionieren.“ Zurückgeblieben seien viele einzelne Mitochondrien-Fragmente.

In einer weiteren Kollaboration mit einem Team um Professor Aurel Roux von der Universität Genf beobachteten die Forscher schließlich mittels Fluoreszenzmikroskopie live, wie sich Mgm1 an Membranen heftet. „Überraschend und neu war dabei die Beobachtung, dass sich das Protein nicht nur an die Außenseite von künstlichen Membranröhrchen anlagert, sondern auch an deren Innenseite“, sagt Fälber. „Diese Geometrie entspricht der der Mitochondrien-Einstülpungen und wurde bisher für kein anderes Protein aus der Dynamin-Familie beschrieben.“

Genetische Blindheit besser verstehen?

Das Team hofft nun, dass sich die jetzt gewonnenen Erkenntnisse irgendwann auch medizinisch nutzen lassen werden. „Die Ergebnisse unserer Studie erklären, was genau bei der Entstehung einer optischen Atrophie im Auge schiefläuft – wie Mutationen im OPA1-Gen also bewirken, dass das Protein nicht mehr richtig funktioniert“, sagt Daumke. Vielleicht lasse sich die Krankheit mit diesem Wissen eines Tages sogar heilen.

Originalpublikation: Katja Fälber et al. : Structure and assembly of the mitochondrial membrane remodelling GTPase Mgm1, Nature 2019; DOI: 10.1038/s41586-019-1372-3

* J. Schlütter, Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin, 13125 Berlin

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