Evolution der Pflanzen Erfolgsrezept Alge: 600 Millionen Jahre genetische Anpassung
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Als die Pflanzen das Land eroberten, brachten sie einen anpassungsfähigen genetischen Code von ihren Algen-Vorfahren mit. Dessen hunderte Millionen Jahre alten Überbleibsel haben nun Forscher der Universität Göttingen untersucht und so neue Erkenntnisse über die Evolution von Pflanzen erhalten.

Die Erde ist von Pflanzen bedeckt. Sie machen den Großteil der Biomasse an Land aus und kommen in verschiedenster Form vor, von winzigen Moosen bis hin zu riesigen Bäumen. Diese erstaunliche Vielfalt geht auf ein Ereignis zurück, das in der Erdgeschichte einmalig ist: der Landgang der Pflanzen vor 480 bis 460 Millionen Jahren.
Damals entwickelte sich eine Gruppe aquatischer Algen zu den ersten Pflanzen, die weltweit Land als neuen Lebensraum eroberten. Nachkommen dieser Algen werden noch heute im Labor untersucht, um die Evolution zu enträtseln. Nun hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Göttingen für die einzellige Alge Mesotaenium endlicherianum, ein Vertreter der engsten Verwandten der Landpflanzen, einen großen Datensatz zur Genexpression erstellt und daraus molekulare Netzwerke ermittelt. Dabei zeigten sich Gemeinsamkeiten zwischen der Alge und Landpflanzen.
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600 Millionen Jahre alte Evolutionsmechanismen
Die Forschenden untersuchten einen Stamm der Alge, der seit mehr als 25 Jahren in der Sammlung von Algenkulturen der Universität Göttingen verwahrt wird. „In unserer Studie haben wir zunächst die Widerstandsfähigkeit der Alge untersucht“, sagt Janine Fürst-Jansen, Wissenschaftlerin aus der Abteilung Angewandte Bioinformatik der Universität Göttingen. „Wir setzten sie einem breiten Temperaturbereich von 8 bis 29 Grad Celsius aus. Als wir in der physiologischen Analyse die große Temperatur- und Lichttoleranz im Zusammenspiel beobachteten, waren wir fasziniert.“
Neben Tests auf morphologischer und physiologischer Ebene, wie die Alge auf Licht und Temperatur reagiert, lasen die Forschenden zudem bei etwa zehn Milliarden RNA-Schnipseln die darin verschlüsselte genetische Information aus. Dabei erfassten sie mit einer Netzwerkanalyse die Aktivität von fast 20.000 Genen gleichzeitig. In den gemeinsamen Mustern identifizierten sie Gene, die als Knotenpunkte eine zentrale Rolle beim Koordinieren der Genexpression als Reaktion auf unterschiedliche Umweltsignale haben. Der Ansatz lieferte Einblicke in die Art und Weise, wie die Genexpression bei der Alge reguliert wird. Evolutionäre Analysen zeigten außerdem, wie diese Mechanismen der Alge und den Landpflanzen gemein sind.
„Einzigartig an der Studie ist, dass unsere Netzwerkanalyse auf umfassende Repertoires genetischer Mechanismen hinweist, die bei Mesotaenium endlicherianum bisher nicht bekannt waren“, sagt Prof. Dr. Jan de Vries, Leiter der Abteilung Angewandte Bioinformatik. „Und wir stellten fest, dass Algen und Landpflanzen diese Mechanismen über mehr als 600 Millionen Jahre evolutionärer Geschichte hinweg nutzen.“
Genetische Melodien
Für die Bedeutung der Studienerkenntnisse findet Doktorand und Erstautor Armin Dadras einen musikalischen Vergleich: „Mit unserer Analyse haben wir festgestellt, welche Gene in verschiedenen Algen und Pflanzen zusammenarbeiten. Das ist, als würde man herausfinden, welche Noten in verschiedenen Liedern immer wieder harmonieren. Die Erkenntnis hilft uns, langfristige Evolutionsmuster aufzudecken und zeigt, wie bestimmte genetische ‚Noten‘ über viele Arten hinweg konsistent blieben, ähnlich wie zeitlose Melodien, die über verschiedene Genres hinweg erklingen.“
Originalpublikation: Dadras, A. et al. Environmental gradients reveal stress hubs predating plant terrestrialization, Nature Plants (2023); DOI: 10.1038/s41477-023-01491-0
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