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Filmen chemischer Reaktionen Explosive Fotografie erlaubt Molekül-Schnappschuss

Quelle: Pressemitteilung

Diese Aufnahmetechnik ist nichts für ein normales Fotostudio – denn nach dem Shooting ist vom Fotomodell nichts mehr übrig. Das so genannte Coulomb Explosion Imaging eignet sich aber gut zum Ablichten von Molekülen und kann nun dank eines internationalen Forscherteams doppelt so viele Atome wie bisher erfassen.

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Wissenschaftler verwenden Röntgenstrahlen, um eine heftige Explosion einzelner Moleküle auszulösen. Aus dem Fragmentierungsmuster schließen sie auf detaillierte Informationen über das Molekül und seine Fragmentierung.
Wissenschaftler verwenden Röntgenstrahlen, um eine heftige Explosion einzelner Moleküle auszulösen. Aus dem Fragmentierungsmuster schließen sie auf detaillierte Informationen über das Molekül und seine Fragmentierung.
(Bild: illustratoren.de/TobiasWuestefeld in cooperation with European XFEL)

Frankfurt a. M. – Das Fotomotiv zur Explosion bringen, um ein Bild davon zu machen? Diese „rabiate“ Methode hat ein internationales Forscherteam am weltgrößten Röntgenlaser European XFEL zum Ablichten größerer Moleküle benutzt. Mithilfe ultraheller Röntgenblitze haben die Wissenschaftler Bilder des Moleküls Iodpyridin in der Gasphase mit atomarer Auflösung aufgenommen. Bei dem Verfahren werden die Moleküle durch den Röntgenlaser zur Explosion gebracht, und aus den Trümmern wird das Bild rekonstruiert. „Dank der extrem intensiven und besonders kurzen Röntgenpulse des European XFEL konnten wir ein für diese Methode und Molekülgröße beispiellos klares Bild erzeugen“, berichtet Rebecca Boll von European XFEL, Initiatorin des Experiments und eine der beiden Erstautorinnen der Veröffentlichung. Solche deutlichen Abbildungen von größeren Molekülen waren mit der verwendeten Technik bislang nicht möglich.

Die Aufnahmen sind ein wichtiger Schritt hin zu Molekül-Filmen, mit denen Forscher in Zukunft mit hoher Auflösung Details von biochemischen, chemischen und physikalischen Reaktionen beobachten möchten. Von solchen Filmen werden neue Anstöße für Entwicklungen in verschiedenen Forschungsgebieten erwartet. „Die von uns verwendete Methode ist insbesondere zur Untersuchung photochemischer Prozesse interessant“, erklärt Till Jahnke von der Goethe-Universität Frankfurt, der ebenfalls zum Kernteam der Untersuchung zählt.

Laser lässt Molekül explodieren

Vorgänge, bei denen chemische Reaktionen durch Licht ausgelöst werden, sind sowohl im Labor als auch in der Natur von großer Bedeutung, beispielsweise bei der Photosynthese oder beim Sehprozess im Auge. „Die Entwicklung solcher Filme ist zunächst Grundlagenforschung, aber die damit gewonnenen Erkenntnisse könnten in der Zukunft dazu beitragen, solche Prozesse besser zu verstehen und neue Ideen für die Medizin, nachhaltige Energiegewinnung oder Materialforschung zu entwickeln“, sagt Jahnke.

Bei der als „Coulomb Explosion Imaging“ bezeichneten Methode schlägt ein hochintensiver und ultrakurzer Röntgenlaserpuls aus den Atomen des Moleküls zahlreiche Elektronen heraus. Zurück bleiben elektrisch positiv geladene Atome, die sich gegenseitig abstoßen. Durch die starke elektrostatische Abstoßung explodiert das Molekül innerhalb von wenigen Femtosekunden – das sind Millionstel einer Milliardstel Sekunde. Die einzelnen Atome fliegen auseinander und werden von einem Detektor registriert.

Momentaufnahmen mit deutlich mehr Atomen als bisher möglich

Die Technik soll Momentaufnahmen sehr schneller Prozesse ermöglichen. „Bislang war diese Methode allerdings begrenzt auf kleine Moleküle, die aus nicht mehr als fünf Atomen bestehen“, erläutert Julia Schäfer vom Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) bei DESY, die andere Erstautorin der Studie. „Mit unserer Arbeit haben wir diese Grenze beim Coulomb Explosion Imaging durchbrochen.“ Das von dem Team abgelichtete Molekül Iodpyridin (C5H4IN) besteht nicht aus fünf, sondern aus elf Atomen.

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„Wucht“ als Messgröße

Aufnahmestudio für die explosiven Molekülbilder ist die Experimentierstation SQS (Small Quantum Systems) am European XFEL. Hier lenken elektrische Felder in einem speziell für solche Untersuchungen entwickelten Reaktionsmikroskop die Molekültrümmer auf einen Detektor.

Das an der Goethe-Universität entwickelte Gerät misst Einschlagort und Einschlagszeitpunkt der Bruchstücke auf dem Detektor und rekonstruiert daraus ihren Impuls – das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit, sozusagen die Wucht, mit der sie auf den Detektor treffen. „Aus dieser Information lassen sich Details über das Molekül gewinnen und mithilfe von Modellen der Ablauf von Reaktionen und Vorgängen rekonstruieren“, sagt DESY-Forscher Robin Santra, der den theoretischen Teil der Arbeit geleitet hat.

Fortschritt zum Filmen von Molekülen

Das Coulombexplosion Imaging eignet sich insbesondere auch dazu, sehr leichte Atome wie Wasserstoff in chemischen Reaktionen genau zu verfolgen. Die Technik ermöglicht detaillierte Untersuchungen einzelner Moleküle speziell in der Gasphase und ist damit eine weitere Methode zur Aufnahme von Molekülfilmen. „Wir wollen fundamentale photochemische Prozesse im Detail verstehen. In der Gasphase gibt es keine Störungen durch andere Moleküle oder die Umgebung. Wir können daher mit unserer Technik einzelne, isolierte Moleküle untersuchen“, sagt der Frankfurter Forscher Jahnke. Das Team arbeitet bereits daran, im nächsten Schritt Reaktionsabläufe zu untersuchen und die Einzelbilder zu einem echten Molekülfilm zusammenzufügen. Die ersten Versuche dazu haben sie bereits durchgeführt.

Originalpublikation: Rebecca Boll, Julia M. Schäfer. et. al.: X-ray multiphoton-induced Coulomb explosion images complex single molecules, Nature Physics, 2022, DOI: 10.1038/s41567-022-01507-0

(ID:48026674)