Schützender Anpassungsmechanismus im Gehirn Insulin: Mit Nasenspray gegen Alzheimer?
Menschen, die an Diabetes erkrankt sind, haben auch ein erhöhtes Risiko für Alzheimer und Parkinson. Warum ist nicht geklärt. Bisher war bekannt, dass z.B. über ein Nasenspray in die Nase verabreichtes Insulin bei gesunden Menschen das Hungergefühl für zuckerreiches Essen dämpft. Nun haben Forscher im Mausmodell herausgefunden, dass dies auch für fettreiche Nahrung gilt – und, dass die Tiere anschließend vermehrt bestimmte Schutzmoleküle bildeten, die die Gesundheit von Nervenzellen unterstützen.
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Potsdam– Insulin ist ein zentrales Hormon unseres Stoffwechsels. Wird zu wenig davon gebildet oder wirkt das Insulin bei einer so genannten Insulinresistenz nicht mehr richtig droht die Entstehung eines Diabetes. Doch offenbar nicht nur dies. Diabetische Patienten haben auch ein erhöhtes Risiko an neurodegenerativen Erkrankungen wir Alzheimer oder Parkinson zu erkranken. Warum das so ist, konnte bislang allerdings nicht geklärt werden.
Nun sind Forscher vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) dem für mögliche therapeutische Ansätze essentiellen Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen näher gekommen. Sie fanden heraus, dass Insulin Nervenzellen dabei unterstützt, eine bestimmte Klasse von Eiweißstoffen zu produzieren, die wichtig für die Gesundheit des Gehirns sind. Im Mausmodell zeigten die Forscher, dass Tiere, denen das Hormon durch die Nase verabreicht wurde, im Vergleich zu Mäusen, die kein intranasales Insulin bekamen, mehr der schützenden Proteine exprimierten und weniger wohlschmeckendes, fettreiches Essen fraßen.
Auswirkungen von Insulinresistenz auf das Gehirn
Zellen „antworten“ auf Stress, indem sie mehr Schutzmoleküle herstellen, die diesem Stress entgegenwirken. Diese sorgen unter anderem dafür, dass die Proteinreifung schnell, präzise und möglichst fehlerfrei abläuft. So passt sich der Körper auch an Extrembedingungen an, die entstehen können, wenn wir ständig zu viel oder zu wenig essen.
„Meist wird mit dem Begriff ‚Stress‘ etwas Negatives assoziiert. Hinter der zellulären Stressantwort verbirgt sich jedoch ein Prozess, der dafür sorgt, dass die Zellen gesund bleiben – in diesem Zusammenhang also etwas Positives“, sagt Dr. André Kleinridders, der im Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) und im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) die Ursachen und Folgen der Insulinresistenz im Gehirn untersucht. Im zentralen Nervensystem ist Insulin für die Feinabstimmung der Hirnfunktion verantwortlich. Es beeinflusst sowohl das Belohnungszentrum, die Nahrungsaufnahme als auch die geistigen Fähigkeiten und die Emotionalität. Eine Insulinresistenz führt dazu, dass das Hormon nicht mehr wirkt, obwohl es in ausreichenden Mengen verfügbar ist.
Insulin fördert schützenden Anpassungsmechanismus im Gehirn
Kleinridders und sein Team fanden nun heraus, dass Insulin im Gehirn dazu führt, dass die Zelle vermehrt Schutzmoleküle herstellt, darunter die für den Zusammenbau von Eiweißstoffen unentbehrlichen Hitzeschock-Proteine HSP10 und HSP60. Über diesen Signalweg kontrolliert Insulin im Hypothalamus – der Hirnregion, die unser Essverhalten steuert – die Funktion der Mitochondrien. In diesen Organellen der Zellatmung wird die für den Körper lebenswichtige Energie erzeugt. Sie werden deshalb auch als „Kraftwerk“ der Zellen bezeichnet. Eine defekte Stressantwort wäre der Untergang der Mitochondrien und somit auch das Ende der Nervenzellen. Der Verlust dieser Moleküle kann sowohl mit Stoffwechselerkrankungen wie Typ-2-Diabetes, als auch mit verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen einhergehen.
Insulin als Nasenspray: Mehr „Stress“, weniger Hunger
Bisher war bekannt, dass intranasales Insulin bei gesunden Menschen das Hungergefühl für zuckerreiches Essen dämpft. Wird Insulin durch die Nase, beispielsweise mit einem Spray, verabreicht, umgeht es die Bluthirnschranke und gelangt direkt ins Gehirn.
In der aktuellen Studie konnten die ForscherInnen beobachten, dass gesunde Mäuse, die Insulin „schnupften“, ebenfalls weniger der angebotenen schmackhaften, diesmal allerdings nicht zucker-, sondern fettreichen Speisen aßen. Zudem stellte das Wissenschaftlerteam fest, dass die Mäuse vermehrt die erwähnten Schutzmoleküle bildeten, die die Funktion der Mitochondrien im Hypothalamus und somit die Gesundheit der Nervenzellen unterstützen.
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Das Forscherteam untersuchte auch diabetische Mäuse, die nicht über körpereigenes Insulin verfügen und Mäuse, die durch eine fettreiche Nahrung resistent gegen das Hormon wurden. Beide Gruppen hatten eine verminderte Stressantwort. Durch die Stimulation mit Insulin konnte die Antwort wieder normalisiert werden.
Erklärungsansätze für erhöhtes Alzheimer-Risiko bei Diabetes-Patienten
„Wir wissen bis heute nicht, warum diabetische Patienten ein erhöhtes Risiko haben an Alzheimer oder Parkinson zu erkranken. Der insulinabhängige Regulationsmechanismus der Stressantwort liefert dafür wichtige Erklärungsansätze, die unbedingt weiterverfolgt werden sollten“, sagt Kristina Wardelmann, Doktorandin der Nachwuchsgruppe und Erstautorin der Studie.
Ernährung: Gesundes Altern nachhaltig fördern
Neben dem Insulin scheinen auch Nahrungsbestandteile wie Fett, die Stressantwort im Gehirn zu beeinflussen. „Vermutlich nimmt das Gehirn erhöhte Mengen an Fettsäuren wahr und aktiviert anpassende Stoffwechselreaktionen“, erklärt Kleinridders. Künftig möchte die Gruppe auch nach Nährstoffen suchen, die eine ähnlich positive Wirkung wie das Insulin auf die Funktion der Mitochondrien und somit auf die Energielieferung und den Stoffwechsel haben. Das Wissen darum könnte dazu beitragen, neuartige Interventionsstrategien zu entwickeln, die gesundes Altern nachhaltig fördern.
Originalpublikation: Wardelmann K, Blümel S, Rath M, Alfine E, Chudoba C, Schell M1, Cai W, Hauffe 1, Warnke K, Flore T, Ritter K, Weiß J, Kahn CR, Kleinridders A.: Insulin action in the brain regulates mitochondrial stress responses and reduces diet-induced weight gain. Molecular Metabolism (2019)
Ähnlicher Artikel: Chudoba C, Wardelmann K, Kleinridders A.: Molecular effects of dietary fatty acids on brain insulin action and mitochondrial function. Biological Chemistry (2019)
* S. Schäche: Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE), 558 Nuthetal
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