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Höherer Oxytocin-Spiegel im Alter Je älter desto netter – liegt es an den Hormonen?

Quelle: dpa

Ältere Menschen sind meist auch zufriedener und netter. Dies legt eine amerikanische Studie nahe, in der das Sozialverhalten sowie der Spiegel des „Kuschelhormons“ Oxytocin bei Probanden unterschiedlichen Alters untersucht wurde. Tatsächlich war der Oxytocin-Spiegel bei älteren Teilnehmern erhöht.

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Ältere Menschen sind einer amerikanischen Studie zufolge netter und zufriedener als jüngere Menschen (Symbolbild).
Ältere Menschen sind einer amerikanischen Studie zufolge netter und zufriedener als jüngere Menschen (Symbolbild).
(Bild: De Visu - stock.adobe.com)

Claremont/USA (dpa) – Von Senioren gibt es zwei klischeehafte Entwürfe: In der einen Version sind sie grummelig, streng und undankbar wie Ebenezer Scrooge aus der Weihnachtsgeschichte, in der anderen Version hingegen einfühlsam, freundlich und herzenzgut wie die gute Fee aus Disneys Cinderella. Welche dieser Varianten eher zutrifft, hängt von vielen Faktoren ab. Insgesamt allerdings ist die freundliche Version wohl die wahrscheinlichere. Dies legt zumindest eine neue Studie nahe, in der Forscher das Sozialverhalten sowie das häufig „Kuschelhormon“ genannte Oxytocin bei Menschen unterschiedlichen Alters untersucht haben. Oxytocin ist ein im Gehirn gebildeter Botenstoff, der u. a. bei der Paarbindung und der mütterlichen Bindung eine Rolle spielt und allgemein soziale Interaktionen beeinflusst.

Rührendes Video als Oxytocin-Schalter

Das Team um den Neuroökonomen Paul Zak von der amerikanischen Claremont Graduate University hatte 103 Probanden zwischen 18 und 99 Jahren in die Studie einbezogen. Ihnen wurde ein Video über einen krebskranken Jungen gezeigt, für das Forscher der Gruppe bereits früher festgestellt hatten, dass es die Ausschüttung von Oxytocin im Hirn stimuliert. Vor und nach dem Video wurde den Probanden Blut abgenommen, um die Veränderung des Oxytocinspiegels zu messen.

„Die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, einen Teil ihrer Einnahmen aus der Studie an eine Wohltätigkeitsorganisation für krebskranke Kinder zu spenden, was zur Messung ihres unmittelbaren prosozialen Verhaltens herangezogen wurde“, beschreibt Hauptautor Zak das Vorgehen. Zudem seien Daten über den emotionalen Zustand der Probanden gesammelt worden, um deren allgemeine Lebenszufriedenheit einschätzen zu können. Zur Überprüfung des prosozialen Verhaltens fragten die Wissenschaftler ferner ab, ob die Teilnehmer im vergangenen Jahr Geld- oder Sachspenden geleistet und sich ehrenamtlich betätigt hatten.

Älter und netter

Das Ergebnis des Experimentes zeigt einen deutlichen Zusammenhang von Hormonspiegel und verhalten. „Die Personen, die in dem Experiment am meisten Oxytocin freisetzten, waren nicht nur großzügiger bei Spenden, sondern zeigten auch viele andere hilfsbereite Verhaltensweisen“, fasst Zak zusammen. „Wir fanden auch heraus, dass die Freisetzung von Oxytocin mit dem Alter zunahm und positiv mit der Lebenszufriedenheit verbunden war.“

Der Studie zufolge haben ältere Menschen also einen höheren Oxytocin-Spiegel und sind im Mittel hilfsbereiter und zufriedener als jüngere Menschen. Allerdings lässt sich aus der Untersuchung nicht ablesen, ob das Oxytocin Ergebnis oder Auslöser der beobachteten Verhaltensweisen ist. So betonen die Autoren selbst, dass sie keine ursächliche Beziehung zwischen Oxytocin, prosozialem Verhalten und subjektiven Einstellungen herstellen können.

„Wahrscheinlich gibt es neben der Freisetzung von Oxytocin noch weitere Faktoren, die Menschen dazu veranlassen, Geld zu teilen, für wohltätige Zwecke zu spenden, an religiösen Aktivitäten teilzunehmen und eine hohe Lebenszufriedenheit zu haben, die wir nicht messen konnten und die in zukünftigen Forschungen untersucht werden sollten“, schreiben die Forscher. Zudem sei die Probanden-Gruppe sehr klein und geografisch homogen gewesen und nicht alle Teilnehmer hätten auf das Video reagiert. Berücksichtigt wurde von den Studienautoren auch nicht, dass ältere Menschen potenziell mehr Zeit und oft auch mehr Geld aufbringen können.

Umstrittenes Kuschelhormon

Die genaue Wirkweise von Oxytocin ist wissenschaftlich umstritten. Belegt ist, dass das Hormon eine wichtige Rolle in der Beziehung zwischen Mutter und Kind spielt: Oxytocin leitet die Wehen ein, stimuliert die Milchproduktion und stärkt die Beziehung zum Nachwuchs. Daneben kann es Stress und Ängste reduzieren, einfühlsamer machen, ist für die sexuelle Erregung wichtig und kann Paarbindungen sowie das Vertrauen zwischen Menschen fördern.

Letzterer Aspekt wurde durch ein Experiment des Wirtschaftswissenschaftlers Michael Kosfeld und des deutschen Psychologen Markus Heinrichs demonstriert: Probanden, denen Oxytocin durch die Nase verabreicht wurde, hatten demnach deutlich mehr Vertrauen in andere Menschen als jene, denen ein Placebo verabreicht wurde.

Die 2005 in „Nature“ veröffentlichte Studie, an der auch Zak beteiligt war, löste eine Vielzahl an Forschungsarbeiten rund um das Hormon aus. Schnell zeigte sich jedoch, dass die Wirkweise des Neuropeptids differenzierter ist als zunächst angenommen und dass eine Etikettierung als „Liebeshormon“ oder „Kuschelchemikalie“ zu kurz greift. So deuteten Studien an, dass Oxytocin unter bestimmten Umständen und in bestimmten Situationen sogar misstrauischer und schadenfreudiger machen könnte.

Originalpublikation: Paul J. Zak1, Ben Curry, Tyler Owen and Jorge A. Barraza: Oxytocin Release Increases With Age and Is Associated With Life Satisfaction and Prosocial Behaviors, Front. Behav. Neurosci., 21 April 2022; DOI: 10.3389/fnbeh.2022.846234

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