Partnerwahl bei prähistorischen Menschen Kinder mit dem Cousin? Nicht in der Steinzeit
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Der Sohn meiner Tante ist mein Mann – dies ist ein Beispiel für eine Cousin-Ehe. In manchen Gesellschaften wird dies kritisiert, besonders in Hinblick auf ein höheres Fehlbildungsrisiko für die Kinder aus diesen Partnerschaften. Doch wie war es zu Zeiten unserer Vorfahren? Wie oft es bei prähistorischen Menschen zu solchen relativ eng verwandten Paaren kam, zeigt eine neue Studie mit Beteiligung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie.

Leipzig – Mehr als zehn Prozent aller Ehen weltweit werden zwischen Cousins und Cousinen ersten oder zweiten Grades geschlossen. In einigen Gesellschaften ist dies nicht der Rede wert, in anderen wird davon abgeraten. Schließlich ist das Risiko für eine Fehlbildung bei Neugeborenen aus Cousin-Ehen etwa um den Faktor 2 erhöht. Dies liegt daran, dass Vater und Mutter zu einem Achtel die gleichen Gene haben, im Nachwuchs sind damit 6,25 Prozent aller Gene auf den beiden Chromosomen identisch. Damit kann dort jeder rezessive Gendefekt auch zur Ausprägung des Merkmals führen.
Heute ist dieses Risiko bekannt und Menschen können darüber aufgeklärt werden. Doch wie sah es bei unseren Vorfahren aus? War es damals weiter verbreitet, dass Cousins miteinander Kinder zeugten? Dies haben Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der University of Chicago in einer neuen Studie untersucht.
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Bisher ältestes Genom analysiert
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Um herauszufinden, wie verbreitet eine so nahe Verwandtschaft beider Elternteile bei unseren Vorfahren war, analysierten die Forscher bereits veröffentlichte DNA-Daten von prähistorischen Menschen, die in den zurückliegenden 45.000 Jahren gelebt haben. Die Ergebnisse überraschten: Nur selten wählten unsere Vorfahren ihre Cousins oder Cousinen als Partner. In einem weltweiten Datensatz von 1.785 Individuen finden sich nur bei 54, also etwa drei Prozent, die typischen Anzeichen dafür, dass ihre Eltern Cousins waren. Diese 54 Fälle traten aber weder geografisch noch zeitlich gehäuft auf – in den untersuchten prähistorischen Populationen sind Paarungen zwischen Cousins und Cousinen also nur sporadisch vorgekommen. Selbst bei Jägern und Sammlern, die vor mehr als 10.000 Jahren lebten, waren Partnerschaften zwischen Cousins die Ausnahme.
Um einen so großen Datensatz zu analysieren, haben die Forscher ein neues Berechnungsinstrument entwickelt, mit dem sie alte DNA auf elterliche Verwandtschaft untersuchen können. Es erkennt lange DNA-Abschnitte, die in beiden DNA-Kopien identisch sind – eine von der Mutter und eine vom Vater. Je näher die Eltern miteinander verwandt sind, desto länger sind solche identischen Abschnitte und desto häufiger treten sie auf. Bei moderner DNA können diese Abschnitte mithilfe von Berechnungsmethoden leicht identifiziert werden. Die Qualität der DNA aus Jahrtausende alten Knochen ist jedoch in den meisten Fällen zu gering, um diese Methoden anzuwenden.
Die neu entwickelte Methode füllt die Lücken in den alten Genomen mit modernen, hochwertigen DNA-Daten auf. „Mithilfe dieser neuen Technik konnten wir mehr als zehnmal so viele alte Genome untersuchen wie bisher“, sagt Harald Ringbauer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, der die Studie leitete.
Hintergrundverwandtschaft gibt Aufschluss über Populationsgröße
Mit der neuen Methode stellten die Forscher nicht nur fest, ob sich nahe Verwandte miteinander fortgepflanzt haben. Es ist ihnen auch gelungen, die „Hintergrund-Verwandtschaft“ unserer Vorfahren näher zu untersuchen. Diese ergibt sich aus einem typischerweise dichten Beziehungsgeflecht von unwissentlich, da nur entfernt miteinander verwandten Menschen in relativ kleinen Populationen.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der aktuellen Studie ist den Forschern zufolge, dass die Landwirtschaft als technologische Innovation erhebliche demografische Auswirkungen hatte. Die Menschen waren insgesamt nicht mehr so eng miteinander verwandt wie zuvor. Dieser Rückgang der elterlichen Hintergrund-Verwandtschaft lässt auf eine zunehmende Populationsgröße schließen. Durch die Analyse von Zeittranssekten für mehr als ein Dutzend Regionen weltweit bestätigten die Forscher somit frühere Erkenntnisse, dass die Populationsgröße in Landwirtschaft betreibenden Gesellschaften im Vergleich zu Jäger- und Sammler-Gesellschaften angestiegen ist.
Die neue Methode zum Screening alter DNA auf elterliche Verwandtschaft gibt den Wissenschaftlern ein vielseitiges neues Instrument an die Hand. Das Forschungsfeld „Alte DNA“ entwickelt sich rasant, denn Jahr für Jahr werden weitere alte Genome sequenziert. Mithilfe der neuen Methode kann es nun gelingen, das Leben unserer Vorfahren – ihre Partnerwahl und die Entwicklung ihrer Populationsgrößen – noch besser zu beleuchten.
Originalpublikation: Harald Ringbauer, John Novembre, Matthias Steinrücken: Parental relatedness through time revealed by runs of homozygosity in ancient DNA, Nature Communications volume 12, Article number: 5425 (2021); DOI: 10.1038/s41467-021-25289-w
Ergänzendes zum Thema: Erhöhtes Fehlbildungsrisiko bei Cousinenehe, www.aerzteblatt.de, 4. Juli 2013
* S. Jacob, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, 04103 Leipzig
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