Foodprocessing Lebensmittel industriell verarbeiten
Was es mit dem Foodprocessing als technische Disziplin und dem neuen Studiengang an der Fachhochschule Lübeck auf sich hat, erläutert Prof. Dr. Arne Pietsch im LP-Exklusivinterview.
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LABORPRAXIS: Herr Prof. Dr. Pietsch, in Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft und der Fachhochschule Lübeck bieten Sie den Bachelor-Studiengang Foodprocessing an. Was versteht man unter diesem Begriff?
Prof. Dr. Arne Pietsch: Für viele Menschen muss es rund um das Essen heute schnell gehen, kaum jemand befasst sich neben seinem Beruf regelmäßig stundenlang mit der Lebensmittelverarbeitung. Die Rohstoffverarbeitung übernimmt dabei weitgehend die Industrie. Unter Foodprocessing verstehen wir also die industrielle Lebensmittelverarbeitung gemäß aktuellem Standard. Dabei produzieren die Unternehmen der Branche ihre Produkte in großen Mengen mit hochtechnisierten, verfahrenstechnisch sehr komplexen und damit auch teuren Anlagen. Die Produktion erfolgt auf hohem hygienischem Niveau entsprechend den Qualitätsanforderungen in Bezug auf die Lebensmittelsicherheit. Es handelt sich bei den Produkten also vielfach um Konsumgüter einer Massenproduktion, die auf kapitalintensiven Anlagen hergestellt werden müssen. Lassen Sie mich am Beispiel einer Herstellungsvariante von gefriergetrocknetem löslichem Kaffee, auch Extraktkaffee genannt, allein die vielfältigen verfahrenstechnischen Facetten andeuten. Der Kaffee durchläuft bei der Verarbeitung erstaunlich extreme Bedingungen: die grüne Kaffeebohne wird, wenn gewünscht, bei 300 bar entkoffeiniert, bei beispielsweise 250 °C geröstet und dann mit heißem Wasser unter Druck extrahiert. Der erzeugte flüssige Extrakt wird aufkonzentriert und dann auf -50 °C abgekühlt, tiefkalt gemahlen und gesiebt. Die eigentliche Gefriertrocknung läuft dann wieder unter Beheizung, dieses aber in einem extremen Vakuum. Ich denke, es wird deutlich, wie viele unterschiedliche Prozessschritte bei diesem Verfahren des Foodprocessings bemüht werden müssen, um ein marktgerechtes Produkt herstellen zu können. Nach unserer Sicht müssen neben der reinen Lebensmitteltechnik viele weitere Disziplinen beherrscht und angewendet werden. Um einige wichtige zu nennen: Lebensmittelanalytik und Mikrobologie, Lagerung und Verpackung, Produktionsplanung und -steuerung, Finanzen und Controlling, Hygiene und Qualitätsmanagement, Marketing und Logistik bis hin zum grundlegenden Rechtswesen. Ein Unternehmen und insbesondere die leitenden Mitarbeiter müssen alle diese Aspekte im Blick haben, um die richtigen Prioritäten in einem sich schnell wandelnden Marktgeschehen zu setzen. Ziel ist die marktgerechte, sichere und wirtschaftliche Herstellung guter Lebensmittelprodukte.
LABORPRAXIS: Bitte nennen Sie uns einige Beispiele für Foodprocessing.
Prof. Dr. Pietsch: Nahezu alle Lebensmittelprodukte des Einzelhandels. Wie gesagt handelt es sich um alle Lebensmittelprodukte, die mit technologischen Verfahren und Anlagen hergestellt, be- und verarbeitet oder verpackt und uns dann zum Kauf angeboten werden. Foodprocessing umfasst dabei den gesamten Produktionszyklus eines Lebensmittels, angefangen von der Rohstoffbeschaffung bis hin zum fertigen Produkt, in welcher Form auch immer. Es geht um alle verkaufsfähigen und oftmals weiterverarbeiteten Lebensmittel, seien es Backwaren, Fisch, Fleisch- oder Milchprodukte, Getränke, Speiseöl, Cerealien, Tiefkühlgemüse oder Konserven. Fertig- und Instantprodukte wie z.B. Cappucinopulver, Süßigkeiten oder tiefgefrorener Apfelkuchen sind weitere Beispiele aus dem weitgefächerten Bereich des Foodprocessings.
LABORPRAXIS: Wie soll das neue Lehrmodell an Ihrer Hochschule aussehen? Welche interdisziplinäre Schnittstellen gibt es?
Prof. Dr. Pietsch: Wir haben hier den Glücksfall, dass die lokalen Lebensmittelverarbeiter den Aufbau des neuen Bachelorstudiengangs Foodprocessing wünschen und aktiv fördern. So wurde der Studiengang im Rahmen des regionalen Branchennetzwerks „foodRegio“ gemeinsam mit den Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft und der Fachhochschule Lübeck entwickelt. Vier neue Professuren werden zu diesem Zweck an der FH Lübeck neu eingerichtet, eine davon als Stiftungsprofessur. Im Studiengang des Bachelor of Engineering in Food Processing haben wir bewusst eine große Fächervielfalt angelegt. Neben den Kernfächern wie Lebensmittelchemie, Mikrobiologie, Verpackungs- und Verfahrenstechnik erwerben die Studierenden ebenso Kenntnisse in der Betriebswirtschaftslehre und im Management wie Kostenrechnung, Lebensmittelrecht, Personalführung oder Projektmanagement. Die Ingenieursausbildung tendiert damit in Richtung des Wirtschaftsingenieurwesens mit den Anteilen 50% Technik und Informationstechnologie, 30% Wirtschaft/Management und 20% Lebensmittelkunde und -chemie. Anders gesagt ist das Studienkonzept in seiner fachlichen Profilierung zwischen dem Wirtschaftsingenieur (Produktion) und dem Maschinenbauingenieur (Anlagen- und Verfahrenstechnik) angesiedelt und wird durch den Bereich des Lebensmittelwissens ergänzt. Lebensmittelanalytik ist übrigens auch ein Lehrfach.
LABORPRAXIS: In welcher Form findet die aktive Förderung des Studiengangs durch die lokalen Lebensmittelverarbeiter statt?
Prof. Dr. Pietsch: Eine Besonderheit ist die Integration einer fachspezifischen Berufsausbildung aus der Ernährungsbranche. Das Studium ist als kooperativer Studiengang angelegt, d.h., es ist etwa vergleichbar einem dualen Ausbildungs- und Studienmodell, in dem vor oder größtenteils parallel zum Studium eine berufliche Ausbildung – hier die zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik (FALET) – mit erworben werden muss. Ein Blick auf aktuelle Stellenausschreibungen der Branche zeigt, dass gerade die Kombination berufliche Ausbilung und Bachelorstudium sehr nachgefragt ist. Mit der „Falet“ wird ein solider und praxisnaher Grundstein für den Berufseinstieg gelegt und theoretisches mit praktischem Wissen ideal vernetzt. Unternehmen aus dem Branchennetzwerk Foodregio unterstützen den Studiengang mit Praxisphasen in ihren Produktionsstätten und bieten ihren Auszubildenden Verträge, in denen Ausbildung und Studium gekoppelt sind. In dieser Kombination kann der angestrebte Abschluss in nur 4,5 Jahren erworben werden. Die – wie ich finde – spannende Fächervielfalt wird gebündelt duch das klare Anwendungziel, eben die reale Lebensmittelproduktion. Zusammenfassend ist der Hintergrund für das Bachelorstudium Foodprocessing das veränderte Anforderungsprofil, das sich für die qualifizierte Belegschaft im Bereich der Produktion in den Unternehmen ergibt. Es reicht heute nicht mehr, Anlagen-Experten zu haben, die nur eine bestimmte Maschine begreifen. Vielmehr müssen heute die Zusammenhänge des gesamten Fabrikbetriebs erkannt und erfasst werden. Also muss das Fabrikmanagement neuen Zuschnitts in der Lage sein, sowohl die maschinen- und verfahrenstechnischen, lebensmittelchemischen als auch betriebswirtschaftlichen Erfordernisse souverän zu beherrschen.
Herr Prof. Dr. Pietsch, vielen Dank für das Gespräch.
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