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Chloroplasten für die Pflanzenzucht nutzen Let’s talk about Blümchen-Sex: Vererbung von Chloroplasten

Von Tobias Lortzing* Lesedauer: 5 min |

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Wenn Pollen und pflanzliche Eizelle aufeinandertreffen, entsteht der Genmix für eine neue Pflanzengeneration. Zwar enthalten auch Chloroplasten ein eigenes Erbgut, dieses wird jedoch nie zwischen Vater- und Mutterpflanze kombiniert, so dachte man. Doch ein Team des Max-Planck-Instituts für molekulare Pflanzenphysiologie hat nun gezeigt, dass auch Chloroplasten genetisches Material miteinander austauschen können – sie müssen nur genug frieren…

Auch Blumen haben Sex – mit einigen Besonderheiten, was die Vererbung von Genen betrifft (Symbolbild).
Auch Blumen haben Sex – mit einigen Besonderheiten, was die Vererbung von Genen betrifft (Symbolbild).
(Bild: naumenkoe - stock.adobe.com)

Bienen und Blümchen sind der klassische Einstieg in ein Thema, über das in unserer Gesellschaft viel zu selten gesprochen wird: Sex bei Pflanzen. Hier also zunächst eine kurze Aufklärung über das botanische Liebesspiel.

Bei der pflanzlichen Vermehrung treffen männliche Geschlechtszellen, also der Pollen, auf die weibliche Eizelle und verschmelzen mit ihr. Dabei wird das väterliche und mütterliche Erbgut aus den Zellkernen im Samen neu kombiniert, ganz ähnlich, wie es mit menschlichem Spermium und menschlicher Eizelle passiert. Diese Kombination der Gene ist wichtig, da auf diese Weise schadhafte Mutationen ausgeglichen werden können, die sich im Laufe der Generationen im Erbgut einer Elternlinie ansammeln.

Mütterliche Erbgutspeicher: die Chloroplasten

Neben dem Erbgut im Zellkern besitzen Mitochondrien und die für Pflanzen typischen Chloroplasten gleichfalls Erbgut. Mitochondrien sind die Verbrennungskraftwerke der Zellen. Mit ihnen verbrennen Tier- und Pflanzenzellen Kohlenhydrate, um die freiwerdende Energie für ihren Stoffwechsel nutzen zu können. Pflanzen besitzen außerdem Chloroplasten, die den grünen Farbstoff Chlorophyll enthalten und die Solarkraftwerke der Pflanzen darstellen. Sie nutzen Sonnenenergie, um in der Photosynthese Kohlenhydrate herzustellen.

Mitochondrien und Chloroplasten haben eigenes Erbgut. Sie waren ursprünglich eigenständige, von Bakterien abstammende Lebewesen, die vor mehr als einer Milliarde Jahren von Vorläufern der heutigen Tier- und Pflanzenzellen aufgenommen wurden, und seitdem eine Lebensgemeinschaft mit ihnen bilden. Inzwischen sind diese früheren Untermieter unverzichtbare und untrennbare Bestandteile unserer Zellen geworden.

Schon lange ist bekannt, dass Mitochondrien und Chloroplasten, im Gegensatz zum Erbgut aus den Zellkernen, nicht gleichmäßig von Vater und Mutter vererbt werden. Beide werden fast ausschließlich von der Mutter weitergegeben. Bei Pflanzen kommen sie entweder gar nicht erst in das Pollenkorn hinein, oder ihr Erbgut wird im Pollen abgebaut. Wenn Mitochondrien und Chloroplasten von Mutter und Vater sich nie treffen, können sie auch keinen Sex haben, also kein Erbgut austauschen. Daher müssten sich eigentlich schadhafte Genveränderungen über die Generationen hinweg anreichern und irgendwann zum Kollaps führen. Eigentlich...

Fast vier Millionen Pflanzen unter Umweltstress gesetzt

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für molekulare Pflanzenphysiologie (MPI-MP) haben nun herausgefunden, dass Chloroplasten in Tabakpflanzen unter bestimmten Umweltbedingungen – entgegen der gängigen Meinung – auch regelmäßig von der Vaterpflanze weitergegeben werden können. Doch wie ist den Forschern diese Entdeckung gelungen?

Chloroplasten haben uns Jahrzehntelang glauben lassen, sie lebten enthaltsam, jetzt können wir da nicht mehr so sicher sein.

Ralph Bock, der Leiter der Abteilung Organellenbiologie, Biotechnologie und Molekulare Ökophysiologie am MPI für molekulare Pflanzenphysiologie

Zunächst stellten die Wissenschaftler Vaterpflanzen her, deren Chloroplasten resistent gegen ein Antibiotikum sind. Anschließend wurden diese Pflanzen während der Pollenreife verschiedenen Umweltbedingungen wie Hitze, Kälte, Trockenheit und Starklicht ausgesetzt.

Mit dem Pollen dieser Pflanzen wurden unveränderte Mutterpflanzen bestäubt. Die aus dieser Kreuzung hervorgegangenen Samen wurden auf einem Nährmedium mit dem entsprechenden Antibiotikum angezogen. Da nur die väterlichen Chloroplasten auf diesem Medium überleben, erscheinen Zellen, die Chloroplasten von der Vaterpflanze enthalten grün, während die Pflanzen mit nur mütterlich vererbten Chloroplasten farblos sind, da diese Chloroplasten aufgrund der fehlenden Antibiotikaresistenz ausbleichen.

Da die väterliche Vererbung von Chloroplasten extrem selten ist, mussten die Wissenschaftler fast vier Millionen Pflänzchen anschauen, um zu zeigen, dass der Anteil der väterlich vererbten Chloroplasten bei Kältebehandlung 150-mal höher ist als bei normaler Temperatur. „Es ist nicht leicht motiviert zu bleiben, wenn man tausende Pflänzchen anschaut, immer auf der Suche nach dem einen grünen Fleck“, sagt Stephanie Ruf, eine Autorin der Studie. „Entsprechend begeistert waren wir, als sich bei den Kälteexperimenten tatsächlich ein Effekt abzeichnete.“

Enzymdefekt steigert Vererbungsrate zusätzlich

Nach diesem ersten Erfolg wollten die Forscher es genauer wissen: „Wir wissen, dass Kälte die Arbeit von Enzymen im Stoffwechsel der Pflanzen verlangsamt. Daher hatten wir den Verdacht, dass ein Enzym daran beteiligt sein könnte, die väterliche Vererbung von Chloroplasten zu blockieren“, erläutert Enrique Gonzalez-Duran, der auch maßgeblich an der Studie beteiligt war.

Die Wissenschaftler stellten daraufhin gezielt Pflanzen her, die ein defektes Enzym in sich tragen, welches normalerweise das Erbgut der Chloroplasten während der Pollenreife zerstört. Pflanzen mit defektem Enzym zeigten ebenfalls eine massiv erhöhte väterliche Vererbung von Chloroplasten. In Kombination führen Enzymdefekt und 10-°C-Kälte bei der Pollenentwicklung zu einer väterlichen Vererbungsrate von zwei bis drei Prozent. „Das mag erst einmal wenig klingen, ist aber gigantisch im Vergleich zu einer 1:100.000-Chance, dass so etwas unter Normalbedingungen stattfindet“, verdeutlicht Kin Pan Chung, ein weiterer Autor der Studie. „Es wird nun spannend zu untersuchen, ob mütterlich und väterlich vererbte Chloroplasten tatsächlich Erbgut untereinander austauschen.“

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Pflanzenzucht und Evolutionsbiologie profitieren

Die Erkenntnis, dass die väterliche Vererbung von Chloroplasten durch äußere Einflüsse und Veränderung einzelner Enzyme in der Pflanze steuerbar ist, eröffnet neue Perspektiven für die Pflanzenzüchtung. „Da man bisher dachte, Mitochondrien und Chloroplasten würden immer nur zusammen und nur von der Mutter vererbt, gab es keine Möglichkeit, die in ihrem Erbgut verschlüsselten Eigenschaften getrennt voneinander weiterzugeben. Die Möglichkeit, durch eine simple Kältebehandlung auch die Chloroplasten der väterlichen Seite zu vererben, könnte die Tür zu ganz neuen Züchtungsprogrammen öffnen“, erklärt Ralph Bock, der Leiter der Forschungsgruppe am MPI für molekulare Pflanzenphysiologie.

Warum Mitochondrien und Chloroplasten größtenteils durch die Mutter vererbt werden, ist allerdings immer noch unklar. Dass diese Art der Vererbung flexibel auf Umweltbedingungen reagieren kann, dürfte auch Evolutionsbiologen veranlassen, einige gängige Theorien und Modelle neu zu überdenken. „Es zeigt auch, wie wichtig es ist, Umweltbedingungen in der genetischen Forschung mit zu berücksichtigen“, sagt Bock. (clu)

Originalpublikation: Kin Pan Chung, Enrique Gonzalez-Duran, Stephanie Ruf, Pierre Endries & Ralph Bock: Control of plastid inheritance by environmental and genetic factors, Nature Plants, 16.01.2023; DOI: 10.1038/s41477-022-01323-7

* Dr. T. Lortzing, Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie, 14476 Potsdam

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