Neuromorphe Computer Magnetische Neuronen für bessere Gesichtserkennung
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Schon Kinder können einen Hund von einer Katze unterscheiden. Für Computer ist das eine extrem anspruchsvolle Aufgabe. Künstliche Intelligenz kann solche Herausforderungen meistern, indem sie die Vernetzung der Neurone im menschlichen Gehirn virtuell nachahmt. Forscher des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) haben nun den nächsten Schritt unternommen, und eine Art künstliche Neurone für neuromorphe Computer entwickelt, die Gesichtserkennung und Routenplanung verbessern könnten.

Dresden – Computer sind zu großen Leistungen fähig. Sie simulieren das zukünftige Klima, entschlüsseln komplexe Molekülstrukturen und werten gewaltige Datenmengen aus, etwa bei der Suche nach neuen Planeten. Und ihre Entwicklung geht weiter.
Zu den wichtigsten Werkzeugen der Künstlichen Intelligenz (KI) zählen neuronale Netzwerke. Sie sind der Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachempfunden und können u.a. Text, Sprache und Bilder zuverlässig erkennen. Bislang laufen sie als lernfähige Software auf herkömmlichen Prozessoren. Doch die Fachwelt arbeitet an einem alternativen Konzept, dem „neuromorphen Computer“. Hier werden die Schaltstellen des Gehirns – die Neuronen – nicht per Software simuliert, sondern tatsächlich real von Hardware-Bauteilen nachgebildet.
Neuronen aus Eisen, Nickel und Gold
Ein Team des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) zeigt nun einen neuen Ansatz für eine solche Hardware auf: magnetische Wellen, die gezielt in mikrometerkleinen Scheiben erzeugt und aufgeteilt werden. Als Basis verwendet das Team eine winzige, wenige Mikrometer messende Scheibe aus Eisen-Nickel, einem magnetischen Material. Um diese Scheibe herum ist ein Goldring angebracht: Von einem Wechselstrom im Gigahertz-Bereich durchflossen, strahlt er Mikrowellen ab, die in der Scheibe so genannte Spinwellen anregen.
„Die Elektronen im Eisen-Nickel besitzen einen Spin, eine Art Eigendrall, ähnlich wie bei einem Kreisel“, erläutert Helmut Schultheiß, Leiter der Emmy Noether-Gruppe „Magnonik“ am HZDR. „Mit den Mikrowellen-Impulsen bringen wir die Elektronen-Kreisel ein wenig aus dem Takt.“ Anschließend geben die Elektronen diese Störung an ihre jeweiligen Nachbarn weiter, was zur Folge hat, dass eine Spinwelle durchs Material jagt. Damit lassen sich Informationen transportieren, ohne dass sich Elektronen bewegen müssen, wie es heute in einem Computerchip geschieht.
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Parallelen zur Funktionsweise des Gehirns
Bereits 2019 stellte die Gruppe um Schultheiß etwas Bemerkenswertes fest: Unter bestimmten Umständen lässt sich die in der Magnetscheibe erzeugte Spinwelle aufspalten, und zwar in zwei Wellen von jeweils geringerer Frequenz. „Grund dafür sind so genannte nichtlineare Effekte“, erläutert Schultheiß´ Kollege Lukas Körber. „Sie werden erst dann wirksam, wenn die eingestrahlte Mikrowellenleistung über einer bestimmten Schwelle liegt.“
Dieses Verhalten macht die Spinwellen zu aussichtreichen Kandidaten für künstliche Neuronen. Denn wie die Neurone im Gehirn erst ab einer gewissen Reisschwelle feuern, so findet an den Magnetscheiben ebenfalls erst ab einer gewissen Schwelle die Spaltung der Spinwellen statt.
Kontrollierte Reizweiterleitung
Mit einer kleinen Modifikation (s. Ergänzendes zum Thema, unten) der Magnetscheiben gelang es den Forschern, die Spaltung der Spinwellen besser zu kontrollieren. Im Experiment erbrachten sie schließlich den Nachweis, dass die Spinwellen-Scheiben im Prinzip als künstliche Hardware-Neuronen taugen: Sie schalten ähnlich wie die Nervenzellen im Gehirn und lassen sich gezielt ansteuern. „Als nächstes wollen wir ein kleines Netzwerk aus unseren Spinwellen-Neuronen bauen“, kündigt Gruppenleiter Schultheiß an. „Dieses neuromorphe Netzwerk soll dann einfache Aufgaben lösen können, etwa simple Muster erkennen.“
Potenzial für Gesichtserkennung und Verkehrsoptimierung
Die Mustererkennung zählt zu den wichtigsten Anwendungen in der KI. Beispielsweise macht die Gesichtserkennung auf dem Smartphone die Eingabe eines Passworts überflüssig. Damit das funktioniert, muss im Vorfeld ein neuronales Netzwerk trainiert werden, was eine enorme Rechenleistung und gewaltige Datenmengen erfordert. Die Smartphone-Hersteller übertragen dieses Netzwerk auf einen Spezialchip, der dann im Handy verbaut wird. Doch dieser Chip besitzt ein Manko: Er ist nicht lernfähig, weshalb er beispielsweise keine Gesichter mit Corona-Maske erkennen kann.
Ein neuromorpher Computer dagegen könnte auch mit solchen Situationen umgehen: Seine Bauelemente sind im Gegensatz zu einem konventionellen Chip nicht fest verdrahtet, sondern funktionieren ähnlich wie die Nervenzellen im Gehirn. „Dadurch könnte ein neuromorpher Rechner ähnlich wie der Mensch große Datenmengen gleichzeitig verarbeiten, und zwar sehr energieeffizient“, gibt Schultheiß einen Ausblick. Außer für die Mustererkennung würde sich der neue Rechnertyp für ein weiteres wirtschaftlich relevantes Feld anbieten: für Optimierungsaufgaben wie die hochpräzise Routenplanung auf dem Smartphone.
Originalpublikationen:
L. Körber, K. Schultheiss, T. Hula, R. Verba, J. Fassbender, A. Kákay, H. Schultheiss: Nonlocal stimulation of three-magnon splitting in a magnetic vortex, Phys. Rev. Lett. 125, 207203 – Published 12 November 2020 (DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.207203)
K. Schultheiss, R. Verba, F. Wehrmann, K. Wagner, L. Körber, T. Hula, T. Hache, A. Kákay, A. A. Awad, V. Tiberkevich, A. N. Slavin, J. Fassbender, H. Schultheiss: Excitation of whispering gallery magnons in a magnetic vortex, Phys. Rev. Lett. 122, 097202 – Published 5 March 2019 (DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.097202)
* S. Schmitt, Helmholtz-Zentrum Dresden- Rossendorf, 01328 Dresden
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