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Radioaktive Wolke von 2017 zurückverfolgt Militärversuch oder AKW-Unfall? – Radioaktive Spurensuche

Redakteur: Christian Lüttmann

Als 2017 eine Wolke mit radioaktivem Ruthenium-106 über Europa zog, sorgte dies für Verunsicherung. Zwar gab das Bundesamt für Strahlenschutz in Deutschland Entwarnung: Keine Gesundheitsgefahr. Allerdings ist bis heute die Quelle dieser Wolke unbekannt. Ein Zusammenschluss von Forschern aus NRW hat nun zumindest die Frage geklärt, ob sie militärischen Ursprungs ist.

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Stammt die radioaktive Wolke von 2017 aus einem nicht gemeldeten AKW-Unfall? (Symbolbild)
Stammt die radioaktive Wolke von 2017 aus einem nicht gemeldeten AKW-Unfall? (Symbolbild)
(Bild: gemeinfrei, Frédéric Paulussen / Unsplash)

Münster, Hannover – Eine unsichtbare Wolke beunruhigte im Jahr 2017 die Menschen in Deutschland. Denn sie enthielt das radioaktive Isotop Ruthenium-106. Verschiedene Messstellen in Deutschland und Europa hatten leicht erhöhte Strahlungswerte aufgezeichnet. Eine Gefahr für die Gesundheit war zwar laut Bundesamt für Strahlenschutz nicht gegeben, die Herkunft und mögliche Ursache der radioaktiven Wolke beschäftigt aber noch immer die Strahlenschutzeinrichtungen. Kein Land hat sich bisher als Verursacher bekannt.

Eine aktuelle Studie der Leibniz Universität Hannover und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) räumt nun zumindest mit der Spekulation auf, die Strahlung könnte einen militärischen Hintergrund haben.

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Wie gefährlich war die Ruthenium-Wolke von 2017?

Die Wolke von radioaktivem Ruthenium-106, die 2017 über Europa nachgewiesen wurde, war laut offiziellen Angaben nicht gesundheitsschädigend. Sie hatte aber immerhin eine rund 100-mal höhere Konzentration an Ruthenium als jene Wolke, die nach Fukushima über Europa zog. Das Bundesamt für Strahlenschutz meldete damals: „Die durch den Deutschen Wetterdienst (DWD) in Görlitz gemessene Konzentration von Ruthenium-106 beträgt etwa 5 Millibecquerel pro Kubikmeter Luft. Durch Inhalation dieser Aktivität über eine Woche (so lange wurde die Luft durch den DWD gesammelt) ergibt sich eine Dosis von weniger als 100 Nanosievert. Diese Dosis ist niedriger als die Dosis durch die natürliche Umgebungsstrahlung in einer Stunde.“

Dem Ursprung der Strahlung auf der Spur

Wie kann man aber unterscheiden, ob eine radioaktive Wolke von zivilen Quellen stammt – wie Atomkraftwerken zur Energieerzeugung – oder von militärischen Quellen? Allein mit Radioaktivitätsmessungen ist das nicht möglich. Die Forscher haben daher stabile Ruthenium-Isotope in die Gesamtbetrachtung einbezogen. Diese Isotope werden zusammen mit dem radioaktiven Ruthenium freigesetzt und können in Luftfiltern quantifiziert werden.

„Normalerweise messen wir Ruthenium-Isotope, um die Entstehungsgeschichte der Erde zu erforschen“, sagt Prof. Dr. Thorsten Kleine von der WWU. Nun aber nutzen die Wissenschaftler ihre Expertise und die für die Planetologie entwickelten Methoden, um dieses ungelöste Rätsel aufzuklären. Die besondere Herausforderung lag darin, dass die Mengen an Ruthenium aus „nuklearem Hintergrund“ sehr gering sind und zudem verdünnt mit natürlich vorkommendem stabilem Ruthenium vorlagen.

Art der Quelle identifiziert – genaue Herkunft bleibt unklar

Filterübersicht
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(Bild: Dorian Zok/LUH)

Durch exakte chemische Abtrennung der Rutheniumfraktion aus den Luftfiltern und anschließenden massenspektrometrischen Hochpräzisionsmessungen gelang es, den Anteil an stabilem Ruthenium aus der nuklearen Quelle zu bestimmen. Die Verhältnisse der einzelnen Ruthenium-Isotope entsprechen dem Fingerabdruck einer zivilen Quelle, konkret: der Signatur von abgebranntem Kernbrennstoff aus einem Atomkraftwerk (AKW). Ein schlüssiges Szenario für die Geschehnisse des Herbstes 2017 wäre demnach die Freisetzung von Ruthenium aus einer Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstoff. Ein militärischer Hintergrund, wie die Produktion von waffenfähigem Plutonium, kann den Forschern zufolge damit ausgeschlossen werden.

Die hohe Präzision der Messungen ermöglicht sogar noch weitere Schlussfolgerungen. „Der im Luftfilter gefundene Isotopen-Fingerabdruck zeigt keine Ähnlichkeit mit dem Kernbrennstoff von gängigen westlichen Druck- oder Siedewasserreaktoren“, sagt Prof. Georg Steinhauser von der Leibniz Universität Hannover. „Er ist jedoch konsistent mit der Isotopensignatur bestimmter russischer Druckwasserreaktoren des Typs WWER, von denen weltweit rund 20 in Betrieb sind.“ Die Suche nach der Herkunft der radioaktiven Wolke von 2017 ist damit zwar weiter vorangeschritten, aber abschließend geklärt ist der Vorfall noch nicht.

Originalpublikation: AT. Hopp, D. Zok, T. Kleine, G. Steinhauser: Non-natural ruthenium isotope ratios of the undeclared 2017 atmospheric release consistent with civilian nuclear activities, Nature Communications volume 11, Article number: 2744 (2020); DOI: 10.1038/s41467-020-16316-3

(ID:46648051)