Lebenserhaltungssysteme für bemannte Marsmissionen Mit Blaualgen zum roten Planeten
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Schon in den nächsten 20 bis 30 Jahren könnten die ersten Menschen am Mars ankommen. Wie sich diese Raumfahrtpioniere dabei mit Sauerstoff versorgen können, erforschen Wissenschaftler am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation der Universität Bremen. Vielversprechender Kandidat für einen Sauerstofflieferanten: Cyanobakterien, die man hier auf der Erde als Blaualgen aus Seen kennt.

Bremen – Der „rote Planet“ am Abendhimmel scheint immer mehr zum Greifen nah, denn führende Raumfahrtbehörden streben bemannte Missionen zum Mars an. Anders als bei der Mondlandung 1969 sind diese Missionen für einen längeren Aufenthalt konzipiert, was die Wissenschaft vor neue Herausforderungen stellt: Neben einem Lebensraum müssen zum Beispiel die wenigen von der Erde mitgebrachten Materialien effizient und nachhaltig genutzt werden, um die Astronautinnen und Astronauten mit allem lebensnotwendigen auszustatten und ihnen zu ermöglichen, sich selbst zu verpflegen.
Der Wissenschaftler Cyprien Verseux vom Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) an der Universität Bremen hat nun erste Forschungsergebnisse veröffentlicht, die darauf hindeuten, dass sich Cyanobakterien unter Mars-Bedingungen hervorragend vermehren und damit die Basis für biologische Lebenserhaltungssysteme bilden können.
Selbstversorgung im All
Zum Mars fliegt ein Raumfahrzeug je nach Planetenkonstellation mindestens neun Monate. Neben der langen Anreisezeit machen es zudem Sicherheitsrisiken und Transportkosten schwierig, Astronautinnen und Astronauten auf dem Mars kontinuierlich mit lebenserhaltenden Verbrauchsmaterialien zu versorgen. Für eine langfristige Erkundungsmission müssen also die Ressourcen auf dem Mars selbst produziert und recycelt werden. Eine Lösung dafür wären biologische Systeme, genauer bioregenerative Lebenserhaltungssysteme (BLSS). Mit einem BLSS auf Basis von Cyanobakterien könnte die Crew auf lokale Ressourcen zurückgreifen und damit die Abhängigkeit von der Erde stark reduzieren, sagt der Bremer Forscher Verseux.
Bekannt sind Cyanobakterien vor allem als Blaualgen, die im Sommer Seen befallen. Die Bakterien, die zu ältesten Lebewesen unserer Erde gehören, passen sich vielen Extrembedingungen gut an und wachsen, indem sie Stickstoff und Kohlenstoff aus der Luft aufnehmen und dem Wasser Nährstoffe entziehen. Wenn im Sommer die Rahmenbedingungen für die fälschlicherweise als Algen bezeichneten Bakterien ideal sind, vermehren sie sich stark und können bei Kontakt mit der Haut allergische Reaktionen beim Menschen auslösen.
Auf dem Mars kommt allerdings ihr volles Potential zum Tragen, da sie durch Photosynthese Sauerstoff produzieren – ein für den Menschen überlebenswichtiges und außerhalb der Erdatmosphäre rares Gut. Diese Fähigkeit findet man zwar bei fast allen Pflanzen, aber Cyanobakterien können darüber hinaus auf Basis der Nährstoffe wachsen, die auf dem Mars vorhanden sind. Gespeist mit Marsgestein und -atmosphäre eignen sie sich als die Grundlage für ein cyanobakterien-basiertes Lebenserhaltungssystem (CyBLiSS).
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Reaktor simuliert marsähnliche Atmosphäre
Um sich Cyanobakterien auf anderen Planeten zu Nutzen zu machen, wird zunächst im Labor erforscht, wie sie auf unterschiedliche Umgebungsbedingungen reagieren: Es muss ein Kompromiss gefunden werden zwischen marsähnlichen Bedingungen (die den Bau und Betrieb eines Kultivierungssystems auf dem Mars erleichtern würden) und Bedingungen, die das Wachstum von Cyanobakterien am besten unterstützen. Hierzu haben Forscher am ZARM einen atmosphärengesteuerten Unterdruck-Photobioreaktor entwickelt: „Atmos“ (Atmosphere Tester for Mars-bound Organic Systems). Mithilfe von Atmos arbeitete das Team um Verseux in den vergangenen Monaten daran, die optimalen atmosphärischen Bedingungen für das Wachstum der Cyanobakterien zu bestimmen und dabei zugleich die technische Umsetzbarkeit auf dem Mars zu berücksichtigen.
Die Erdatmosphäre setzt sich aus Stickstoff (78%) und Sauerstoff (21%) sowie jeweils einem kleinen Anteil an Argon und Kohlenstoff zusammen. Die Marsatmosphäre hingegen besteht zwar aus den gleichen Stoffen, setzt sich aber nahezu gegensätzlich zusammen, da sie hauptsächlich aus Kohlenstoff (95%) und nur kleinen Anteilen von Stickstoff und Argon besteht, sowie nur Spuren von Sauerstoff enthält. In Atmos haben die Forscher nun in verschiedenen Durchläufen die Anteile der Gase sowie den Umgebungsdruck verändert und dabei die Entwicklung der Bakterien beobachtet. Ziel der Untersuchungen war es, sich so weit wie möglich der Marsatmosphäre anzunähern, während gleichzeitig noch ein starkes Wachstum der Cyanobakterien erhalten bleibt.
Die Versuche belegten, dass sich die Cyanobakterien auch dann noch gut vermehrten, wenn sie einer Atmosphäre ausgesetzt sind, die der Marsatmosphäre schon sehr nahe kommt – vor allem im Hinblick auf die Gase (4% Kohlenstoff; 96% Stickstoff). Auch die Druckverhältnisse wurden den Marsbedingungen angepasst. Während auf der Erde der atmosphärische Druck 1013 hPa beträgt, misst man auf der Marsoberfläche nur 6,3 hPa. In Atmos haben die Forscher einen Druck von 100 hPa als Kompromiss ausgelotet.
Anpassungsfähigkeit der Cyanobakterien erleichtert Bau von Bioreaktoren
Das erreichte Wachstum unter den marsähnlichen Bedingungen hat die Erwartungen der Wissenschaftler übertroffen. In Anbetracht der Daten gehen die Forscher davon aus, dass die technisch-logistische Umsetzung eines auf der Marsoberfläche befindlichen cyanobakterien-basierten Lebenserhaltungssystems erheblich erleichtert wäre. Zum einen, da dann der Druckunterschied zwischen Innen- und Außenseite des Photobioreaktors nur gering ist und somit weniger hohe Ansprüche an die Statik der Konstruktion gestellt werden. Zum anderen, weil es möglich wäre, die benötigte Gasphase mit minimaler Verarbeitung aus der lokalen Atmosphäre zu erzeugen.
Sonstige fehlende Nährstoffe für das Wachstum der Bakterien können ebenfalls vor Ort aus Marsgeröll (Regolith) gewonnen werden. Das Team zeigte bereits, dass die Cyanobakterien in der modifizierten Atmosphäre in Wasser auf einem simulierten Marsboden ohne zusätzliche Nährstoffe wachsen. Als weiteres Forschungsergebnis haben die Untersuchungen der entstandenen Biomasse gezeigt, dass diese als Substrat für nachfolgende Module von Lebenserhaltungssystemen geeignet ist, um auf dem Mars weitere Ressourcen zu generieren.
Erfolgsversprechende Ergebnisse
Mit den Ergebnissen aus dem Photobioreaktor Atmos haben die Wissenschaftler gezeigt: die atmosphärischen Bedingungen, die die technische und logistische Machbarkeit von Cyanobakterien-Kultursystemen auf dem Mars verbessern, erfüllen die von der Biologie diktierten Anforderungen. Damit rückt die Umsetzung eines CyBLiSS weiter ins Zentrum der potenziellen Mars-Lebenserhaltungssysteme bei zukünftigen Marsmissionen.
Mit diesen ersten Ergebnissen beginnt die Arbeit für die Forscher aber erst. In den nächsten Monaten wollen Verseux und sein Team das CyBLiSS-Design verfeinern, um sowohl die Fähigkeiten, Cyanobakterien auf dem Mars zu züchten, als auch ihre Verwendung zur Produktion von Nährstoffen für biologische Organismen in nachfolgenden Modulen zu verbessern.
Originalpublikation: Cyprien Verseux, Christiane Heinicke, Tiago P. Ramalho, Jonathan Determann, Malte Duckhorn, Michael Smagin and Marc Avila: A Low-Pressure, N2/CO2 Atmosphere Is Suitable for Cyanobacterium-Based Life-Support Systems on Mars, Front. Microbiol., 16 February 2021; DOI: 10.3389/fmicb.2021.611798
* V. Roolfing, ZARM Universität Bremen, 28359 Bremen
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