Ersatz toxischer Chemikalien Mit Holz zu nachhaltigeren Gummireifen
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So wie Beton mit einem Stahlgitter verstärkt wird, so liefern Fasern aus Cord zusätzliche Stabilität in Reifen und Förderbändern. Das Problem: Cordfasern werden aus krebserregendem Formaldehyd hergestellt. Wissenschaftler der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung haben nun eine alternative Synthese entwickelt, die mit einem Rohstoff aus Holz auskommt.

Denkendorf – In Autoreifen, Förderbändern und Keilriemen sowie in vielen Anwendungen bei der Herstellung technischer Erzeugnisse werden Kautschukmaterialien durch Cord verstärkt. Zum Einsatz kommen hochfeste Fasern aus Polyester, Polyamid oder Aramid. Sie sorgen für die notwendige Festigkeit und Steifigkeit des Gesamtverbunds und wirken äußeren Kräften entgegen. So bleiben Verformungen, Dehnung und Torsion des Materials gering.
Diese Ansprüche an das Faserverbundmaterial können aber nur erfüllt werden, wenn zwischen den Fasern und der Matrix aus Kautschuk bzw. Gummi eine ausreichend hohe Haftfestigkeit besteht. Andernfalls ist damit zu rechnen, dass sich die einzelnen Lagen von Gewebe und Kautschuk, die sich im Material abwechseln, voneinander trennen (Delamination). Materialversagen wäre die Folge.
Zusammenhalt mit Nebenwirkung
Die Haftfestigkeit im Werkstoffverbund wird durch den Einsatz von Haftvermittlern erhöht. Bewährt haben sich hierbei Chemikalien auf der Basis von Formaldehyd-Resorcin-Latex (RFL). Sie werden als so genannte Dips auf die Fasern aufgebracht und sorgen dafür, dass sich deren Haftung an der Matrix aus Kautschuk deutlich verbessert. RFL ist als Haftvermittler etabliert, hat aber einen bedeutenden Nachteil: Formaldehyd ist seit 2014 von der EU als nachweislich cancerogen und mutagen eingestuft. Die chemische Industrie ist daher auf der Suche nach gesundheitlich unbedenklichen Alternativen.
Die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung (DITF) haben sich des Problems angenommen und ein neues, formaldehydfreies Beschichtungssystem entwickelt. Es basiert auf dem aus Holz gewinnbaren Stoff Hydroxymethylfurfural (HMF). HMF bildet sich bei der thermischen Zersetzung von Kohlenhydraten. Es kommt in vielen mit Hitze behandelten Lebensmitteln wie Milch, Kaffee oder Fruchtsäften vor und gilt nach derzeitigem wissenschaftlichem Kenntnisstand als gesundheitlich unproblematisch.
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Kreislaufwirtschaft von Gummi
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Neue Zutaten – gleiche Technik
Die an den DITF entwickelten HMF-Dips sind auch aus technischer Sicht vielversprechend: Bei Garnen aus Polyamid 6.6 reicht eine einfache Imprägnierung aus, um die gewünschte Haftverbesserung zu erzielen. Garne aus Polyester oder Aramid bedürfen einer zusätzlichen vorhergehenden Plasmabehandlung oder einer Sol-Gel-Ausrüstung, um die notwendige Haftverbesserung zu erreichen.
Das Aufbringen des HMF-Dips ist unter den gleichen Bedingungen und mit derselben Technologie möglich, die auch für die RFL-Dips verwendet wird. An dieser Stelle sind also keine zusätzlichen Investitionen nötig, um den Haftvermittler in der Produktion auszutauschen.
Beitrag zur Nachhaltigkeit
Das nächste Forschungsziel ist der Ersatz des Resorcins in der Dip-Formulierung. Denn auch Resorcin hat eine humantoxische Wirkung. In Zusammenarbeit mit Industriepartnern untersuchen die Forscher derzeit, inwieweit Resorcin durch Lignin ersetzbar ist. Das Besondere an dem verwendeten Lignin ist, dass es aus einjährigen Pflanzen gewonnen wird. Damit ist es, im Gegensatz zum häufig verwendeten Holzlignin, chemisch wesentlich aktiver und bietet mehr Potenzial für die weitere Verarbeitung zu einem technisch vorteilhaften Haftvermittler.
Beide Ansätze, Chemikalien in Haftvermittlern durch gesundheitlich unbedenkliche Stoffe auszutauschen, tragen den Gedanken des nachhaltigen Wirtschaftens: Die neuen Haftvermittler aus HMF und Lignin basieren auf natürlichen Rohstoffen. Damit tragen die Wissenschaftler zu einer nachhaltigeren Produktion von Reifen und Förderbändern bei.
* S. Keller, Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung (DITF), 73770 Denkendorf
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