Tautomere Gemische enträtselt Molekül-Zwillinge im Licht unterscheiden
Wie Zwillinge sich vielleicht durch die Position eines Muttermals unterscheiden, so unterscheiden sich Tautomere durch die Position eines Wasserstoffatoms. Doch die Molekül-Zwillinge können ihren Wasserstoff „verschieben“. Um in einem Gemisch aus beiden Varianten die Verteilung genau zu bestimmen, haben Forscher aus Berlin nun eine neue Analysemethode mit Röntgenstreuung erprobt.
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Berlin – Viele organische Moleküle liegen als Gemisch zweier fast identischer Versionen vor, die aus den gleichen Atomen in der gleichen Anzahl bestehen, sich aber in einem wichtigen Punkt unterscheiden: Ein einzelnes Wasserstoffatom sitzt an einer anderen Position. Die beiden isomeren Formen gehen ineinander über und bilden ein empfindliches Gleichgewicht, ein „tautomeres“ Gemisch. Tautomere Gemische spielen in der Biologie eine große Rolle: So sind z. B. viele Aminosäuren tautomere Gemische. Als Bausteine von Proteinen können sie deren Form und Funktion und damit auch ihre biologischen Funktionen in Organismen beeinflussen.
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Bislang war es jedoch nicht möglich, die elektronische Struktur solcher tautomerer Gemische experimentell voneinander zu trennen. Klassische spektroskopische Methoden erfassen nur die Summe der Signale der einzelnen Molekülformen, können aber nicht die Eigenschaften der beiden einzelnen Tautomere im Detail voneinander unterscheiden.
Tautomere unterscheiden
Einem Team um den Physiker Prof. Alexander Föhlisch vom Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) ist es nun gelungen, eine Methode bereitzustellen, die genau das ermöglicht: Mithilfe der inelastischen Röntgenstreuung (RIXS) und einer eigens dafür entwickelten Methode zur Auswertung der Daten lassen sich die einzelnen Anteile der Tautomere aus den Messdaten eindeutig voneinander unterscheiden.
„Wir können das Signal jedes einzelnen Moleküls in der Mischung experimentell trennen. Dies erlaubt uns einen detaillierten Einblick in ihre Funktionalität und chemischen Eigenschaften“, sagt Dr. Vinicíus Vaz Da Cruz, Erstautor der Arbeit und Postdoc in Föhlischs Team. „Wir messen ein reines Spektrum jedes Tautomers und nutzen dabei die Elementspezifität und Ortsselektivität der Methode“, führt Vaz Da Cruz aus. Dadurch lassen sich die Komponenten des tautomeren Gemischs vollständig charakterisieren.
Biologische Funktionen aufdecken
In der vorliegenden Studie wurde die Technik auf das prototypische Keto-Enol-Gleichgewicht von 3-Hydroxypyridin in wässriger Lösung angewendet. Die Daten wurden an der EDAX-Terminalstation bei BESSY II gewonnen.
Diese Ergebnisse liefern experimentelle Beweise für Konzepte, die in der Literatur bisher nur theoretisch diskutiert wurden. Sie sind besonders interessant, um wichtige biologische Prozesse wie die Wechselwirkung zwischen Nukleoidbasen der DNA, die metabolische Umwandlung von Fruktose in Glukose oder die Faltung von Proteinen aufzuklären und zu verstehen.
Originalpublikation: Vinícius Vaz da Cruz, Robby Büchner, Mattis Fondell, Annette Pietzsch, Sebastian Eckert, and Alexander Föhlisch: Targeting Individual Tautomers in Equilibrium by Resonant Inelastic X ray Scattering, J. Phys. Chem. Lett. 2022, 13, 10, 2459–2466, Publication Date:March 10, 2022; 10.1021/acs.jpclett.1c03453
* Dr. A. Röger, Helmholtz-Zentrum Berlin, 14109 Berlin
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