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Wie der Darm den ganzen Körper beeinflusst Nachricht aus der Magengegend: Kommunikationswege von Darmbakterien

Redakteur: Christian Lüttmann

In unserem Darm tummeln sich die unterschiedlichsten Bakterien. Dass sie in Summe, als so genanntes Darmmikrobiom, eine wesentliche Rolle für die Funktion und Gesundheit des Körpers spielen, ist schon länger bekannt. Nun hat ein internationales Forscherteam im Mausmodell nachgewiesen, wo im Körper die Stoffwechselprodukte der Darmbakterien überall ankommen. Die Spur führt bis hinauf ins Gehirn.

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Im Gehirn einer transgenen Maus leuchten zwei Nervenzellen rot, weil sie ein Protein aus Darmbakterien aufgenommen haben. Blau: Kerne der übrigen Zellen des Hirngewebes.
Im Gehirn einer transgenen Maus leuchten zwei Nervenzellen rot, weil sie ein Protein aus Darmbakterien aufgenommen haben. Blau: Kerne der übrigen Zellen des Hirngewebes.
(Bild: Stefan Momma)

Frankfurt – Im Menschen sind Bakterien in der Überzahl: Schätzungen zufolge kommen auf jede menschliche Zelle 1,3 Bakterienzellen. Entsprechend überlegen sind uns unsere Bakterien in ihrer genetischen Vielfalt. So haben alle Darmbakterien zusammen – das Mikrobiom des Darms – 150-mal so viele Gene wie der Mensch.

Die Stoffwechselprodukte der Darmbakterien wirken vielfältig auf unseren Körper: Sie trainieren etwa unsere Immunzellen und tragen zu deren Reifung bei, sie steuern Stoffwechselprozesse im Körper und wie häufig sich Zellen der Darmschleimhaut erneuern. Änderungen in der Zusammensetzung des Mikrobioms tragen höchstwahrscheinlich zum Entstehen und Krankheitsverlauf etwa von neurologischen- oder Krebserkrankungen bei.

Spurensuche mit Leuchtmarkierung

Auf die Zellen der Darmschleimhaut wirken die bakteriellen Stoffwechselprodukte über den direkten Kontakt. Wie solche Bakterienstoffe jedoch in entfernte Organe wie Leber, Niere oder das Gehirn gelangen, war bislang nicht geklärt. Als Transportmittel wurden kleine Kapseln (Membranbläschen oder Vesikel) vermutet, die Bakterien während ihres normalen Wachstums oder als Reaktion auf Stress in die Umgebung abgeben und die mit bakteriellen Enzymen, Proteinen oder auch RNA-Erbmolekülen gefüllt sind.

Ein internationales Wissenschaftsteam um Dr. Stefan Momma vom Neuroscience Center der Goethe-Universität Frankfurt, Prof. Claudia Günther von der Universität Erlangen-Nürnberg und Prof. Robert Raffai von der University of California hat jetzt an Mäusen untersucht, wie Bakterien ihre Stoffwechselprodukte in solchen Vesikeln verteilen. Dazu besiedelten die Forscher den Darm von Mäusen mit E.-coli-Bakterien, die eine bestimmte Genschere produzierten (Cre) und diese über Vesikel in die Umgebung abgaben. Die Mäuse besaßen in Körperzellen ein Gen für ein rotes Leuchtprotein, das durch die Genschere Cre aktiviert werden konnte (Cre/LoxP-System). Wenn die Genschere also die Zellen erreichte, leuchteten sie rot.

Selbst die Blut-Hirn-Schranke ist kein Hindernis

Das Ergebnis: In der anschließenden Untersuchung des Mausgewebes waren die bakteriellen Stoffe von einzelnen Zellen des Darms, der Leber, der Milz, des Herzens und der Nieren sowie von Immunzellen aufgenommen worden. „Besonders beeindruckend ist, dass die Vesikel der Bakterien auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden und auf diese Weise in das ansonsten sehr gut abgeschottete Gehirn gelangen können“, sagt Neurobiologe Momma. In den Versuchen leuchteten nämlich sogar einzelne Nervenzellen des Gehirns rot. Ebenfalls beeindruckend sei, dass die bioaktiven Bakterienstoffe sogar von Stammzellen der Darmschleimhaut aufgenommen wurden. „Das zeigt uns, dass Darmbakterien womöglich sogar dauerhaft die Eigenschaften der Darmschleimhaut verändern können“, erklärt der Forscher.

Die Fluoreszenzbilder weisen laut Momma darauf hin, dass die Vesikel wahrscheinlich über den Blutstrom im Körper verteilt werden. „Die weitere Erforschung dieser Kommunikationswege vom Reich der Bakterien ins Reich der Säugetiere wird nicht nur unser Verständnis von Leiden wie Autoimmunerkrankungen oder Krebs verbessern, bei dem das Mikrobiom ganz offensichtlich eine wichtige Rolle spielt. Solche Vesikel sind auch äußerst interessant als neue Methode, um Medikamente zu verabreichen, oder zur Entwicklung von Impfstoffen oder als Biomarker die auf eine pathologische Veränderung des Mikrobioms hinweisen“, führt der Experte aus.

Originalpublikation: Miriam Bittel,Patrick Reichert,Ilann Sarfati,Anja Dressel,Stefanie Leikam,Stefan Uderhardt,Iris Stolzer,Tuan Anh Phu,Martin Ng,Ngan K. Vu,Stefan Tenzer,Ute Distler,Stefan Wirtz,Veit Rothhammer,Markus F. Neurath,Robert L. Raffai,Claudia Günther, Stefan Momma: Visualizing transfer of microbial biomolecules by outer membrane vesicles in microbe-host-communication in vivo, J Extracell Vesicles, Volume10, Issue12, October 2021; DOI: 10.1002/jev2.12159

(ID:47791346)