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Gentherapie Neuartige Biopolymere helfen bei der Gentransfektion

Redakteur: Dipl.-Chem. Marc Platthaus

Die Gentherapie dient zur Behandlung von Erbkrankheiten. Hierbei werden Gene durch Gentransfektion an exakt definierten Stellen in Zellen eingebracht. Hierzu kann eine Klasse von neuen Bioploymeren verwendet werden. Sie dürfen allerdings keine Zytotoxizität aufweisen.

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Abb. 1: Design von abbaubaren PDMAEMA als nichtvirale Gentransfektionssysteme: Copolymerisation zyklischer Ketenacetale und DMAEMA. (Bild: Uni Marburg)
Abb. 1: Design von abbaubaren PDMAEMA als nichtvirale Gentransfektionssysteme: Copolymerisation zyklischer Ketenacetale und DMAEMA. (Bild: Uni Marburg)

Für Anwendungen in der Verpackung, Landwirtschaft, Medizin und Pharmazie sind bioabbaubare Polymere eine wichtige Materialklasse. Doch kann diese Klasse der Polymere auch in der Gentransfektion (Gentherapie) eingesetzt werden: An der Universität Marburg wurde dazu eine neuartige Synthese bioabbaubarer Polymere entwickelt. Neben der Synthese sind auch die Analysenmethoden wichtig, die zur Bewertung dieser Polymere für Eignung in der Gentransfektion notwendig sind. Eine große Zahl klassischer bioabbaubarer Polymere für medizinische und nichtmedizinische Anwendungen basiert auf Homo- und Copolyestern von Glykolid, Laktid, ε-Caprolakton oder Dioxanon. In der Regel werden diese Polyester entweder durch ringöffnende Polymerisation (ROP) zyklischer Ester oder durch Polykondensation (Kondensation von Disäuren und deren Derivaten mit Diolen) synthetisiert. Eine neue Synthese von Polyestern, die bislang nicht umfangreich untersucht wurde, ist die Synthese durch radikalische ringöffnende Polymerisation (RROP) zyklischer Ketenacetale.

Zyklische Ketenacetale (CKAs) sind Isomere der analogen Laktone. Sie können Radikale an der vinylischen Doppelbindung addieren, um anschließend entweder unter Ringöffnung, Ringerhaltung oder einer Kombination aus diesen beiden Möglichkeiten weiter zu reagieren. In der Marburger Gruppe wurde die radikalische Copolymerisation von klassischen Vinylmonomeren, z.B. Styrol, Methylmethacrylat usw., mit Ketenacetalen untersucht [1]. Die erhaltenen Copolymere sind aufgrund der eingebauten Estergruppen bioabbaubar.

Einsatz von Biopolymeren in der Gentransfektion

Eines der Anwendungsgebiete dieser neuen bioabbaubaren Copolymere ist die nicht-virale Gentransfektion. Die Gentransfektion ist eine vielversprechende Technik für die Therapie von Gendefekten oder Erbkrankheiten. Nicht-virale Gentransfektionssysteme sind z.B. nackte Plasmid-DNS, Lipoplexe (DNS komplexiert an kationische Lipide), Polyplexe (Nukleinsäurekomplexe mit Polykationen) und DNS verkapselt in einer Matrix aus bioabbaubaren Polymeren. Kationische Polymere können aufgrund des Polyanionencharakters der DNS über elektrostatische Wechselwirkungen Polyplexe bilden. Poly(ethylenimin) (PEI) ist ein Beispiel eines intensiv untersuchten Polykations für die Polyplexbildung mit DNS und stellt einen Goldstandard mit Puffereigenschaften für die Gentransfektion dar (bei physiologischem pH-Wert sind nur 25% der Amingruppen protoniert). PEI ist jedoch zytotoxisch (IC50 bei rund 30 µg/ml) [2]. Aufmerksamkeit erzielte kürzlich Poly(dimethylaminoethylmethacrylat) (PDMAEMA) als nichtvirales Gentransfektionssystem mit Puffereigenschaften und einer geringeren Zytotoxizität (IC50 etwa 40 µg/ml) (pKa = 7,5). Dieses Polymer wird durch radikalische Polymerisation aus dem entsprechenden Monomer hergestellt und wurde als Vektor in Gentransfektionssystemen beschrieben. Es enthält tertiäre Amine für die Komplexierung von z.B. DNS und erreicht 90% der Transfektionsrate von PEI (verzweigtes PEI, 25 kDa) oder einer Lipidformulierung wie Lipofectamine. Seitdem wurden verschiedene Aspekte dieses Transfektionsagens diskutiert: der Einfluss des Molekulargewichtes, die Polyplexgröße ebenso wie die Transfektionsparameter wie pH-Wert, Ionenstärke, Temperatur, Viskosität, Polymer/Plasmid-Verhältnis und die Gegenwart von Stabilisatoren auf dessen Transfektionsrate [3-5]. Trotz all dieser Forschungen bleibt das Kernproblem von Polykationen wie PEI und PDMAEMA, dass sie nicht abbaubar sind, eine deutliche Toxizität zeigen und einer deutlichen Verbesserung der Transfektionsraten bedürfen. Um das Problem der Nichtabbaubarkeit von PDAEMA zu lösen, haben die Marburger Wissenschaftler ein weniger toxisches und abbaubares PDMAEMA hergestellt, indem sie Esterverknüpfungen in das PDMAEMA-Rückgrat integrierten. Dies wurde durch freie radikalische Copolymerisation von zyklischen Ketenacetalen 5,6-Benzo-2-methylen-1,3-dioxepan (BMDO) mit N,N-Dimethylaminoethylmethacrylat (DMAEMA) erreicht (s. Abb. 1) [6].

Neues Polymer mit geringerer Zytotoxizität

Die RROP-Copolymerisation von 2-Methylen-1,3-dioxepan (MDO) mit DMAEMA führt zur erfolgreichen Synthese abbaubarer Polykationen mit PCL-Einheiten im Rückgrat [7]. Die Mikrostruktur konnte eindeutig durch 1D- und 2D-NMR-Analyse [Heteronucelar Multibond Correlation (HMBC) und Heteronuclear Multiple Quantum Correlation (HMQC)] nachgewiesen werden. Es wurde eine statistische Verteilung der Monomereinheiten im Copolymer gefunden. Die Zytotoxizität der neuen Polykationen ist ein wichtiger Parameter für die Anwendung in der Gentransfektion. Unabhängig von der Copolymerzusammensetzung wurden alle Polymere als nicht toxisch eingestuft und zeigten hohe Zellvitalität, womit sie als biokompatibel eingestuft werden können (s. Abb. 2).

Eine sehr gut etablierte Methode zur Evaluierung der Zytotoxizität und der Biokompatibilität ist die MTT-Analyse. MTT steht für ein Tetrazoliumsalz [3-(4,5,-Dimethylthiazol-2-yl)-2,5-diphenyltetrazoliumbromid] und kann zur Ermittlung der Lebendigkeit, des Wachstums und der Zytotoxizität bei Zellen eingesetzt werden. Die MTT-Analyse beruht auf der Reduktion von MTT durch die Mitochondrien lebender L929-Zellen (Standardzelllinie ISO 10993-5 und der US Pharmacopeia) zu einem wasserunlöslichen purpurnen Formazan, das spektroskopisch bestimmt wird.

Die Bindungseffizienz der Polymere mit Genen (z.B. DNS oder RNS) im Sinne einer Polyplexbildung ist für deren Stabilität wichtig. Die neuen Polyplexe wurden mit Hering-DNS als Modell-DNS und einer Copolymer-Lösung (BMDO-co-DMAEMA 12:88) hergestellt. Die Elektrophorese wurde mit 1% Agarosegel [(Ethidiumbromid in TAE (40 mM Tris/HCl, 1% Essigsäure, 1 m EDTA, pH 7,4)] durchgeführt. Es konnte so gezeigt werden, dass die Polyplexe auch bei niedrigen N/P-Verhältnissen von 1 sehr stabil waren (s. Abb. 3). Die hydrodynamischen Durchmesser der unverdünnten Polyplexe wurden mittels eines Zetasizers (Malvern Instruments) bei 25 °C bei einer Größenverteilung von 0,01-0,03 mit 102-117 nm bestimmt [6].

Abgesehen von den hier erwähnten neuen bioabbaubaren Copolymeren von DMAEMA wurden in der Vergangenheit von der Arbeitsgruppe Kissel eine Reihe nicht-viraler bioabbaubarer Vektoren systematisch untersucht. Dabei wurde u.a. der Einfluss des Molekulargewichts von PEI auf die Transfektionseffizienz und die Zytotoxizität zum ersten Mal beschrieben. Diesbezüglich wurden verschiedene Polymere als nichtvirale Gentransfektionsvektoren untersucht. Dazu zählen z.B. Polyethylenglykol(PEG)-(g)-PEI, Triblockcopolymer hochverzweigt(hy)-PEI-g-PCL-block(b)-PEG, aminmodifizierter PVA, Dendrimere und pDMAEMA-b-pHEMA-Blockcopolymere. Alle diese Polymere wurden als Polyplexe oder Nanopartikel hergestellt und nicht nur als DNS-Vektoren untersucht, sondern auch in vivo als siRNS- oder mRNS-Vektoren [8, 10]. Viele dieser Polymere basierten auf Block- oder Pfropfcopolymeren abbaubarer Polyester (PCL), die durch metallkatalysierte ROP hergestellt wurden. Hy-PEI-g-PCL-b-PEG ist ein Beispiel einer neuen Klasse amphiphiler bioabbaubarer Copolymere mit guter Biokompatibilität (geringer Zytotoxizität) und hoher Gentranskfektionsrate [11]. Die hydrolytische und enzymatische Abbaubarkeit der Polymere wurde ebenfalls untersucht. Die Hydrolyse der Polymere wurde in destilliertem Wasser und verschiedenen Pufferlösungen bei 37 °C ausgeführt. Der enzymatische Abbau wurde mit Lipase von Candida Antarctica bei 37 °C in 0,01 M Phosphatpuffer untersucht. In jedem Fall wurde der Abbau mit Gelpermeationschromatographie verfolgt, indem Änderungen der Molekulargewichte über die Zeit betrachtet wurden.

Kontrolle der DNS-Freisetzung entscheidend

Die Kontrolle der DNS-Freisetzung aus den Polyplexen ist entscheidend für die erfolgreiche Gentransfektion. Hier könnten so genannte pH-responsive oder thermoresponsive Polymere vollkommen neue Möglichkeiten zur Steuerung der nicht-viralen Gentransfektion bieten. Ein viel versprechender Ansatz könnte die Verwendung pH-responsiver Polymere durch Einbau säurelabiler Bindungen in die Seitengruppen sein (z.B. Methacrylamid-Polymeren mit hydrolysesensitiven, kationischen Seitengruppen) [12]. Diese Klasse von Polykationen hat aber den Nachteil, dass sie nicht abbaubar sind. Bei thermoresponsiven Polymeren verschlechtert sich deren Löslichkeit in Wasser bei Temperaturerhöhung oberhalb der so genannten Lower Critical Solution Temperatur (LCST) dramatisch. Mit Einsatz thermoresponsiver Polykationen zur Polyplexbildung mit DNS könnte deren Bildung und die Freisetzung der DNS durch Temperaturveränderung kontrolliert werden. Mit thermoresponsivem Poly(N-isopropylacrylamid-co-2-(DMAEMA)-co-butylmethacrylat) (PNIPAAm) konnte in der Tat die temperaturkontrollierte Bildung und Dissoziation von Polyplexen demonstriert werden [13]. Die kontrollierte Freisetzung der DNS erfolgte bei 21 °C. Die höchste Gentransfektionseffizienz wurde für ein Copolymer mit ca. 8 mol% DMAEMA beobachtet. Diese Studie ist allerdings nur ein Proof-of-Principle und kann nicht für reale Applikationen eingesetzt werden, da thermoresponsive Vektoren eine LCST nahe Körpertemperatur zeigen müssten. PNIPAAm hat zwar eine LCST nahe der Körpertemperatur, doch diese wird durch die Copolymerisation mit Comonomeren für die Gentransfektion oft so verändert, dass diese Systeme für den realen Einsatz ungeeignet sind.

Trotz der Aussichten und einigen laufenden klinischen Studien ist bislang keines der bekannten Polymere allgemein für die humane Gentherapie akzeptiert worden, hauptsächlich wegen Mangel an einer der folgenden Eigenschaften: niedrige Transfektionseffizienz, hohe Zytotoxizität und geringe Bioabbaubarkeit. Bislang erfüllte keines der bekannten Gentransfektionssysteme alle Anforderungen. Der Grund könnte unter anderem die Chemie sein, die für die Synthese all dieser nicht-viralen Gentransfektionssysteme eingesetzt wird, die Schutz- und Freisetzungstechniken, metallkatalysierte oder Kondensationsreaktionen oder Pfropfungsreaktionen erfordern. Dies behindert die Flexibilität im Design von Polymersystemen. Hier sind Verbesserungen dringend notwendig. Das komplexe Anforderungsprofil an Gentransfektionssysteme sowohl, was die Materialien als auch die eingesetzten Synthese-, Analyse- und Verarbeitungstechniken betrifft, stellt dabei eine hochinterdisziplinäre Aufgabe dar, die Expertise in Polymersynthese und Polymeranalyse, Toxikologie, Pharmazie und Medizin erfordert.

Literatur

[1] S. Agarwal, Polym. Chem. 2010, 1, 953

[2] Int. J. Pharma., 2005, 304, 185

[3] Pharma. Res., 1996, 13(7), 1038

[4] Eur. J. Pharma. Biopharma, 1999, 47, 215

[5] J. Control. Release, 2004, 96, 379

[6] Macromol. Chem. Phy., 2010, 211, 905

[7] Macromolecules, 2009, 42, 1574

[8] Molecular Pharmaceutics, 2009, 6, 1246

[9] J Control. Release, 2009, 138 (2), 148

[10] Polymers 2011, 3, 693

[11] Polymer, 2009, 50(16), 3895

[12] Bioconjugate Chem., 2006, 17, 1077

[13] J. Control. Release, 2000, 69, 127

* M. Zheng, T. Kissel: Philipps-Universität Marburg, Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie, 35032 Marburg

* *S. Agarwal: Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Chemie, 35032 Marburg

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