Interview Perfekte Navigation und mehr: Vom Potenzial „magnetotaktischer Bakterien“
Bayreuther Mikrobiologen sind dabei, das Rätsel der Kompassnadel so genannter Magnetbakterien zu entschlüsseln – und haben eine Art Baukasten entwickelt, der zahlreiche Anwendungen in Biomedizin und Biotechnologie ermöglichen könnte.
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LP: Bei Magneten kommen Stabmagnete oder Hufeisenmagnete in den Sinn – Bakterien eher nicht. Herr Prof. Schüler, was sind Magnetbakterien, und welche besonderen Eigenschaften zeichnen sie aus?
Prof. Dr. Dirk Schüler: Magnetbakterien haben die für Mikroben ungewöhnliche und faszinierende Eigenschaft, dass sie sich am Magnetfeld der Erde orientieren können. Dies ist für sie nützlich, um in ihrem natürlichen Lebensraum, dem Sediment, also der Schlammschicht am Grund von Flüssen, Tümpeln und Seen, aber auch dem Meer, die für sie optimalen Wachstumsbedingungen zu finden. Hierfür synthetisieren diese auch „magnetotaktische Bakterien“ genannten Organismen spezielle würfelförmige Nanokristalle, welche als Magnetosomen bezeichnet werden und aus einem magnetischen Eisenmineral (Magnetit) bestehen. In den Zellen sind die Magnetosomen als regelmäßige Kette angeordnet und bilden dabei eine Art Kompassnadel, mithilfe derer die Zellen entlang der magnetischen Feldlinien ausgerichtet werden.
Die Biosynthese der Magnetosomen ist ein sehr komplizierter Prozess. Am Lehrstuhl für Mikrobiologie der Universität Bayreuth beschäftigen wir uns schon lange mit dessen Erforschung. In dem von uns besonders intensiv untersuchten Magnetbakterium Magnetospirillum gryphiswaldense – übrigens in Deutschland zur „Mikrobe des Jahres 2019“ gewählt – haben wir z.B. über 30 verschiedene Gene entdeckt, die die Bildung der Magnetosomen und ihre regelmäßige Aufreihung zu geordneten Ketten steuern.
LP: An der Uni Bayreuth wurde eine Art Baukasten entwickelt, der eine genetische Umprogrammierung der Magnetbakterien ermöglicht. Wie kann man sich das vorstellen?
Dr. Frank Mickoleit: Neben ihrer natürlichen Eigenschaft als Magnetfeldsensor für die Bakterien hat sich in den letzten Jahren herausgestellt, dass aus den Bakterien gewonnene Magnetosomen auch ein neuartiges Biomaterial darstellen, mit einzigartigen nützlichen Eigenschaften für eine Reihe von biotechnologischen und biomedizinischen Anwendungen. Aufgrund ihrer starken Magnetisierung, perfekten Kristallstruktur sowie einer einheitlichen Form und Größe könnten sie überall dort zur Anwendung kommen, wo magnetische Nanopartikel mit besonders perfekten oder zusätzlichen Funktionen benötigt werden.
Für viele dieser Anwendungen wäre es nämlich wünschenswert, die Magnetpartikel mit zusätzlichen Eigenschaften zu versehen, z.B. durch die Kopplung mit weiteren funktionellen Molekülen oder Strukturen. Unserem Team ist es nun gelungen, ein neues Verfahren dafür zu entwickeln. Wir machten uns dabei zunutze, dass Magnetosomen von einer Membran umhüllt sind, welche eine Reihe spezifischer Proteine enthält. Durch genetische Kopplung dieser Proteine mit zusätzlichen funktionellen Gruppen war es möglich, selektiv vier weitere nützliche Funktionen einzuführen. Dafür wurden zunächst Gene für die Biosynthese verschiedener Magnetosomen-Proteine mit Genen für biochemisch aktive Komponenten fusioniert und wieder zurück ins Genom des Bakteriums transferiert. Dabei handelt es sich um das Enzym Glukose-Oxidase, welches bereits heutzutage biotechnologische Anwendung z.B. als „Zuckersensor“ bei Diabetes-Erkrankungen findet. Des Weiteren wurde ein farbstoffbildendes Enzym gekoppelt, dessen Aktivität sich leicht messen lässt. Auf ähnliche Weise konnten zusätzlich ein grün-fluoreszierendes Protein (GFP) und ein Antikörper-Fragment (Nanobody) an die verschiedene Proteine der Partikel-Oberfläche fusioniert werden. Letzteres ermöglichte die flexible Kopplung der Magnetosomen an Protein-beschichtete Oberflächen. Im Endergebnis konnten wir damit – gewissermaßen als Modell – ein neues multifunktionelles Material erzeugen, welches nicht nur hervorragende magnetische Eigenschaften besitzt, sondern auch fluoresziert, d.h. bei Anregung mit kurzwelligem Licht leuchtet, und als Biokatalysator fungiert. Bemerkenswerterweise sind alle diese Eigenschaften komplett im Genom, also der Erbsubstanz der Bakterien, kodiert.
LP: Welche weiteren Möglichkeiten eröffnet dieses Verfahren?
Prof. Dr. Dirk Schüler: Die dargestellten Funktionen auf unseren Modell-Magnetosomen können durch den modularen Aufbau leicht durch andere Funktionen ersetzt werden – gewissermaßen ein genetischer „Baukasten“ für die Herstellung von maßgeschneiderten Nanomagneten mit verschiedenen nützlichen Eigenschaften. Letztere können durch gentechnische Methoden gezielt verändert oder ausgetauscht werden, sodass Kombinationen von ganz neuen Materialeigenschaften ermöglicht werden, die natürlicherweise so nicht vorkommen. Die Magnetosomen lassen sich darüber hinaus leicht aus den Bakterienzellen isolieren, wobei ihre Funktionen auf der Oberfläche intakt bleiben. Für Anwendungen in der Biomedizin und Biotechnologie sind die Partikel insbesondere auch deshalb attraktiv, weil diese hohe Selektivität und Steuerbarkeit mit chemischen Kopplungsmethoden bisher nicht erreicht werden können. Zudem lassen unsere bisherigen Studien und auch die anderer Arbeitsgruppen hoffen, dass die bakteriell gewonnenen magnetischen Partikel sehr gut biokompatibel sind, also nur vernachlässigbare unerwünschte oder negative Effekte gegenüber höheren Organismen und deren Zellen haben könnten. Die gleichzeitige genetische Kopplung von verschiedenen funktionellen Gruppen auf der Oberfläche der Nanopartikel kann in biotechnologischen und auch biomedizinischen Anwendungsbereichen von enormem Potenzial sein.
LP: Wo genau sehen Sie dann das Anwendungspotenzial in Biomedizin und Biotechnologie?
Dr. Frank Mickoleit: Aufgrund ihrer herausragenden Materialeigenschaften konnten unmodifizierte Magnetosomen bereits erfolgreich als magnetische Sensoren in der Diagnostik, in der magnetischen Hyperthermie oder als Kontrastmittel in magnetischen Bildgebungsverfahren getestet werden.
Da sich die in der Studie betrachteten Funktionen genetisch durch spezifische funktionelle Einheiten austauschen lassen, könnten in der Zukunft Nanopartikel mit einem breiten Anwendungsspektrum hergestellt werden. Letzteres würde von der Aufspürung und Therapie von Tumorzellen („Theranostica“) bis hin zur Etablierung von enzymatischen Reaktionskaskaden reichen, um biotechnologisch relevante Verbindungen und Metabolite herzustellen. Hierfür eignen sich insbesondere magnetische Nanopartikel, die mit winzigen Katalysatoren bestückt sind und komplexe biochemische Prozesse ermöglichen. Darüber hinaus konnte in einer weiteren Studie in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Bioprozesstechnik der Universität Bayreuth (Professor Dr. Ruth Freitag, Dr. Valérie Jérôme) gezeigt werden, dass Magnetosomen gezielt für die Interaktion mit Säugetierzellen modifiziert werden können, woraus sich ein großes Potenzial für die Stimulation von Antikörper-produzierenden Zellen ergibt. Die Magnetbakterien stellen somit die Basis für einen faszinierenden Nano-Baukasten dar, der vielversprechende Ansätze für zukünftige praktische Anwendungen mit sich bringt.
Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch.
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