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Liquid Handling Pipettieren – eine abenteuerliche Geschichte mit Fortsetzung

Damals mit dem Mund, heute mit der Hand – die Rede ist natürlich vom Pipettieren. Wie sich Liquid Handling in den vergangenen 200 Jahren entwickelt hat, lesen Sie hier.

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Früher alltäglich: Pipettieren mit dem Mund
Früher alltäglich: Pipettieren mit dem Mund
(Bild: gemeinfrei (NLM, NIH) / CC0 )

Würzburg – „Zur Zählung der roten Blutkörperchen saugt man durch das […] Gummirohr in den Mischer […] das Blut bis zur Marke 0,5 oder 1, sodann nach flüchtigem Abwischen der Pipettenspitze […] bis zur Marke 101 an.“ [1] Dieses Zitat stammt aus einer rund 100 Jahre alten Versuchsvorschrift für Mediziner.

Tatsächlich war es bis Mitte des 20. Jahrhunderts noch selbstverständlich, Flüssigkeiten durch Ansaugen mit dem Mund zu pipettieren. Ein heute unvorstellbarer Bruch mit den Sicherheitsregeln in jedem Labor. Und auch zur damaligen Zeit gab es Belege für die Gefahren dieser Arbeitstechnik. Als erste bekannte Meldung gilt ein Fall aus dem Jahr 1893, bei dem ein Arzt versehentlich eine Typhusbazillenkultur ansaugte und sich so mit dem Erreger infizierte. Diese gefährliche Praxis ging dennoch viele Jahrzehnte so weiter – teilweise mangels besseren Wissens, teils aus Mangel an Alternativen. Doch spätestens als in den 1960er Jahren die erste Mikropipette patentiert wurde, war das Liquid Handling revolutioniert – und Ansaugen mit dem Mund gehörte der Vergangenheit an.

Modernes Liquid Handling

Heute gibt es zahlreiche Variationen von Pipetten, die für nahezu jede Anforderung eine passende Lösung bieten. Ob Einkanal oder Mehrkanal, manuell oder elektronisch, Handgerät oder komplett automatisierte Liquid-Handling-Plattform – die Vielfalt scheint grenzenlos. In Anbetracht der langen Geschichte der Pipetten könnte der Gedanke kommen, dass längst das Optimum erreicht ist. Doch auch heute noch bringen Neuentwicklungen das Pipettieren immer weiter voran.

Viele Features gehen Hand in Hand mit der Digitalisierung und Automatisierung. So können elektronische Pipetten etwa einzelne Messvolumina auf der „Schnellwahl-Taste“ einspeichern, oder sogar ganze Arbeitsabläufe einprogrammieren und damit einen Prozess beschleunigen. Bei Mehrkanal-Pipetten erlauben neuere Modelle, den Spitzenabstand flexibel einzustellen, um Proben zwischen verschiedenen Gefäßformaten zu transferieren. Und das sind nur einige Beispiele aktueller Entwicklungen.

Getrieben werden solche Neuerungen vor allem von den Anwendern und deren Bedürfnissen. Daher ist ein Austausch zwischen den Pipetten-Nutzern im Labor und den Entwicklern bzw. Herstellern wichtig.

Die Geschichte der Pipette – ausgewählte Meilensteine

  • 1806: Das Alkalimeter des Franzosen François-Antoine-Henri Descroizilles gilt als Vorläufer der ersten Pipetten (Bild eines Alkalimeters vom Museo Galileo in Italien). Es ist die neue Version seines 1781 entwickelten Berthollimeters, einem speziellen Glaszylinder, um die Chlorkonzentration in Bleichmitteln zu messen.
  • 1824: Das Wort „Pipette“ wird als Begriff für ein medizinisches Laborgerät des französischen Chemikers und Physikers Louis Gay-Lussac geprägt – einer Weiterentwicklung des Alkalimeters von Descroizilles. „Pipette“ ist angelehnt an das französische „pipette“ für „kleines Rohr“ und fand bereits einige Jahre vorher Einzug in die englische Sprache.
  • 1899: Pasteurpipetten des französischen Chemikers Louis Pasteur werden erstmals schriftlich erwähnt in „Proceedings of the Royal Society of London“. Die kleinen Einwegpipetten aus Glas verringern Kontamination beim Arbeiten im Labor.
  • 1940er: Kunststoffpipetten kommen auf den Markt und bieten eine günstige und in Massen produzierbare Alternative zu Einwegpipetten aus Glas.
  • 1961: Patent für „Vorrichtung zum schnellen und exakten Pipettieren kleiner Flüssigkeitsmengen“, eingereicht von dem deutschen Mediziner Dr. Heinrich Schnitger. Er hat die Kolbenhubpipette im Jahr 1957 erfunden (Geschichte der Kolbenhubpipette von der Uni Marburg.)
  • 1984: Erste autoklavierbare Mehrkanalpipette, entwickelt vom Hersteller Capp Denmark.
  • 1986: Die elektronische Pipette wird salonfähig, nachdem Matrix Technologies in Lowell im US-Bundesstaat Massachusetts und Rainin Instruments in Nordkalifornien eine durch einen Mikroprozessor gesteuerte Pipette erfanden.
  • 2000er: Mehrkanalpipetten mit verstellbarem Spitzenabstand werden von Herstellern wie Eppendorf und Integra Biosciences eingeführt.

Quellen

[1] Mikroskopie und Chemie am Krankenbett von Hermann Lenhartz und Erich Meyer, S. 156, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 9. Auflage, 1919

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