Mikroplastikabrieb in Abwasserrohren Plastik im Abwasser – sind Kunststoffrohre ein Problem?
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Trägt die Kanalisation selbst zum Mikroplastik-Problem bei? Hierzu haben Forscher der Fraunhofer Umsicht abgeschätzt, wie hoch der Abrieb in Kunststoffrohren voraussichtlich ist.

Oberhausen – Kunststoffe sind in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Auch der Anteil an Kunststoffrohren im Abwassersystem steigt seit Jahren. Mittlerweile bestehen knapp 18 Prozent des öffentlichen Abwassernetzes aus Kunststoff [1] – das entspricht einer Strecke von 106.920 Kilometern unter der Erde, womit man gut 2,6 Mal die Erde umwickeln könnte.
Kunststoffrohre haben eine glatte Oberfläche und sind hochelastisch. Dennoch geben sie Mikroplastikpartikel an die Umwelt ab. „In den Kanälen herrschen sehr aggressive Bedingungen durch Feuchtigkeit, Strömung und Abrasivstoffe. Durch den Verschleiß setzen die Rohre schließlich Mikroplastikpartikel frei“, schildert Jürgen Bertling, stellvertretender Abteilungsleiter Nachhaltigkeits- und Ressourcenmanagement beim „Fraunhofer Umsicht“.
Die partikulären, schleißenden Bestandteile stammen überwiegend aus dem Niederschlagswasser und finden sich deshalb in Regen- und Mischkanälen. Zwar geht nicht der gesamte Abrieb in die Umwelt, da Abwasserbehandlungsanlagen einen Teil zurückhalten. Allerdings wird ein Teil der zurückgehaltenen Partikel mit dem Klärschlamm wieder auf Felder ausgebracht. Reine Regenwasserkanäle führen dagegen meist ungeklärt oder nur durch einfache Absetzbecken in die Vorfluter.
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Mikroplastik-Transport
Es regnet Mikroplastik in die Atmosphäre
Wie viel Mikroplastik verursachen Abwasserrohre?
Die Forscher von Fraunhofer Umsicht haben in einer ersten Studie im öffentlichen Kanalnetz einen Abrieb von 120 Tonnen Mikroplastik pro Jahr abgeschätzt. Davon hält die Abwasserbehandlung rund 62 Prozent zurück. Die freigesetzte Abriebmenge an Mikroplastik beträgt daher 46 Tonnen pro Jahr.
Im privaten Bereich gestaltet sich die Abschätzung durch die wenigen Daten schwieriger. Das Team hat angenommen, dass der Durchmesser der Rohre kleiner, aber der Kunststoffanteil demgegenüber hoch ist. Der abgeschätzte Abrieb von rund 500 Tonnen pro Jahr im Abwassernetz auf privaten Grundstücken reduziert sich durch die Abwasserbehandlung nochmal deutlich. Übrig bleiben demnach ca. 190 Tonnen Mikroplastik pro Jahr aus Rohren im privaten Bereich.
Kunststoffrohre werden während des Einbaus häufig vor Ort gekürzt. In der Regel wird dies ohne besondere Vorkehrungen durchgeführt, und die Späne verbleiben im Rohr oder zum größten Teil im umgebenden Erdreich. Die Emissionen durch Schnittverluste beim Verlegen schätzen die Forscher aber auf unter 10 Tonnen pro Jahr und damit vergleichsweise gering ein.
Vergleich mit anderen Plastikemissionen
Die Ergebnisse der Abriebmengen liegen somit weit unter den Abriebmengen, die z. B. durch Pellets entstehen (1.4924 t/a), aber in vergleichbarer Größenordnung wie Rasentrimmer (123 t/a) [2]. Die Abschätzungen zeigen, dass zurzeit die Mengen an Kunststoffabrieb im Vergleich zur Gesamtmenge der Mikroplastikemissionen eher gering sind. Die emittierten Polymere PE und PVC gelten allerdings als besonders schwer abbaubar.
So kommen die Schätzwerte zustande
Um die jährlichen Abriebmengen erstmalig abschätzen und ggf. einen Handlungsbedarf erkennen zu können, haben die Forscher in einem ersten Schritt zu Messverfahren und Abschätzung des Abriebs recherchiert. Daraufhin erfolgte die Abschätzung beruhend auf der Verteilung von Längen, Durchmessern und der Abriebtiefen über die Lebensdauer, die veröffentlichten Literaturwerten entnommen wurden. Die wenigen verfügbaren Daten dienten dem Team für eine erste Einschätzung.
„Da wir die Parameter nur sehr unsicher bestimmen können, haben wir für jeden Parameter ein gewisses Intervall geschätzt“, erklärt Jan Blömer, Abteilung Nachhaltigkeit und Partizipation. „Den Abrieb berechnen wir jeweils für 1.000 Parameterkombinationen. Daraus können wir dann einen wahrscheinlichen Abrieb mit einer gewissen Schwankungsbreite bestimmen.“ Der Abrieb pro Jahr ergibt sich so aus der Kanalnetzlänge multipliziert mit dem Anteil der Kunststoffrohre, der Verschleißbreite und der Verschleißtiefe geteilt durch die Lebensdauer.
Mikroplastik in der Umwelt
Große Mengen von Kunststoffen gelangen jedes Jahr in die Umwelt [3]. Fraunhofer Umsicht arbeitet seit 2015 daran, den Erkenntnisstand rund um die Thematik Kunststoffemissionen zu verbessern. Das Forschungsteam der Konsortialstudie Mikroplastik konnte im Juni 2018 insgesamt ca. 70 Quellen für Mikroplastikemissionen identifizieren.[2] Die (primären) Mikroplastikemissionen in Deutschland haben sie auf 330.000 Tonnen pro Jahr geschätzt. Aktuell versuchen die Wissenschaftler einzelne Quellen genauer zu bestimmen und auch die Transferpfade in die Umwelt aufzuschlüsseln.
Literatur:
[1] Berger, C., Falk C., Hetzel F., J. Pinnekamp, S. Roder und J. Ruppelt, 2016. Zustand der Kanalisation in Deutschland; DOI: 10.3242/kae2020.12.001
[2] Kunststoffe in der Umwelt. Mikro- und Makroplastik (Bertling, Hamann und Bertling); DOI:10.24406/UMSICHT-N-497117
[3] Production, use, and fate of all plastics ever made (Geyer, Jammbeck und Law): DOI: 10.1126/sciadv.1700782
* S. Wehr-Zenz, Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, 46047 Oberhausen
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