Future Insight Prize Plastikmüll in Essen verwandeln – mit Mikroben
Die Welternährung ist eine der größten Herausforderungen der Menschheit. Zwei Forscher aus den USA wollen sie lösen – mit Plastikmüll: Die Wissenschaftler arbeiten an einer Technologie, um mithilfe von Mikroben Kunststoffabfälle in essbare Biomasse umzuwandeln. Für ihre Forschung erhielten sie nun den Future Insight Prize von Merck, dotiert mit einer Million Euro.
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Darmstadt – Mehr Menschen brauchen mehr Nahrung. Es ist eine simple Wahrheit, die jedoch komplexe Herausforderungen mit sich bringt. Schon heute leiden rund 700 Millionen Menschen weltweit unter Hunger. Doch mehr Nahrung produzieren ist nicht einfach. Es fehlt oft schon an den nötigen Anbauflächen. Um die Ernährung in Zukunft zu sichern, sind also neuartige Wege der Nahrungsmittelproduktion gefragt. Gesucht ist eine Zukunftstechnologie, die unverdauliche Ausgangsstoffe in essbare Nahrungsmittel verwandelt. Die wissenschaftliche Grundlage für ein solches „Traum-Produkt“ hat Merck mit dem Future Insight Prize 2021 ausgezeichnet, der mit einem Preisgeld von einer Million Euro dotiert ist.
Den Preis für einen potenziellen „Food Generator“ der Zukunft bekamen die beiden in den USA forschenden Mikrobiologen Prof. Ting Lu von der University of Illinois Urbana-Champaign sowie Prof. Stephen Techtmann von der Michigan Technological University. Mit ihrer wegweisenden Arbeit wollen sie eines Tages Plastikmüll in Nahrung umwandeln. „Die Gewinner des diesjährigen Future Insight Prize haben eine bahnbrechende Technologie entwickelt, mit der zukünftig sichere Nahrungsmittel auf nachhaltige Weise erzeugt und gleichzeitig die durch Plastikabfall und konventionelle Landwirtschaft verursachten Umweltbelastungen reduziert werden könnten“, sagte Belén Garijo, Vorsitzende der Geschäftsleitung von Merck. Anders als der aus aus Star Trek bekannte Replikator, der Moleküle zu jeder beliebigen Speise anordnet, ist die Technologie von Lu und Techtmann nämlich keine reine Science-Fiction. Was aber kann der „Food Generator“ bereits, und was sind die nächsten Ziele in der Entwicklung?
Die heimlichen Helden: Bakteriengemeinschaften
Ein schmackhaftes Fertiggericht aus Plastikabfall können die Preisträger zwar nicht erzeugen. Was sie aber bereits geschafft haben, ist die Produktion von Proteinen aus molekularen Bruchstücken von Kunststoffen. Proteine sind als wichtiger Bestandteil unserer Nahrung etwa in Hülsenfrüchten, Milchprodukten oder Fleisch enthalten.
Die Wissenschaftler haben nun eine absurd erscheinende, neue Proteinquelle ins Auge gefasst: Kunststoffe, oder vielmehr Kunststoffabfälle. Allein in Deutschland gibt es jährlich sechs Millionen Tonnen neuen Plastikmüll. Wenn es gelänge, diesen als Ressource zu nutzen, wären gleich zwei Probleme angegangen: Es gäbe weniger Plastikmüll und mehr Protein zur Ernährung.
Die Geheimwaffe der Forscher sind Gemeinschaften aus natürlichen und gezielt gentechnisch veränderten Mikroorganismen, die Bruchstücke der Plastikmoleküle als Nahrungsquelle nutzen und so Biomasse aufbauen. Diese Biomasse könnte irgendwann als nährstoffreicher Zusatz in Lebensmittel zugefügt werden. Doch bis dahin gibt es noch einiges an Arbeit.
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Noch muss das Plastik den Mikroben „vorgekaut“ werden
Als eine der wichtigsten Aufgaben müssen die Wissenschaftler sicherstellen, dass die erzeugte Biomasse tatsächlich verträglich für den Verzehr durch Menschen ist. Hierfür analysieren sie die Proben mit hochauflösender Flüssigchromatographie und Massenspektrometrie (LC/MS), um potenzielle Toxine ausfindig zu machen. Wenn Giftstoffe gefunden werden, müssen die Mikrobiologen die Bakterienkultur anpassen – durch Einsatz anderer Mikroben oder Genetic Engineering der vorhandenen Bakterien.
Auch den Verdauungsapparat der Mikroben gilt es weiter zu optimieren. Noch müssen Lu und Techtmann den Bakterien sozusagen vorgekaute Nahrung anbieten: durch chemische Prozesse spalten sie z. B. PET oder Polypropylen in kleinere molekulare Bausteine wie Ethandiol oder kürzere Kohlenstoffketten (Alkene). Erst diese „verdaulichen Häppchen“ setzen die Mikroben in ihrem Stoffwechsel zu Biomasse um. Das Ziel der Forscher ist es, eines Tages eine Mischung aus Plastik-fressenden Bakterien zu haben, die verschiedenste Kunststoffe verdauen kann und so einen Teil des Plastikmülls in nahrhaftes Protein für den Menschen verwandelt. Das Preisgeld des Future Insight Prize soll helfen, dieses Ziel zu erreichen.
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