Mikroplastik Schwämme als Bioindikatoren für Mikroplastikverschmutzung
Anbieter zum Thema
Meeresverschmutzung durch Plastik und insbesondere durch Mikroplastik schreitet ungebremst fort. Mit unabsehbaren Folgen. Münchener Wissenschaftler verwenden nun Schwämme als Bioindikatoren, um Art und Menge der Verschmutzung mit Mikroplastik in Gewässern zu bestimmen.

Der technologische Fortschritt seit Mitte des letzten Jahrhunderts ist eng verknüpft mit der Vielseitigkeit von Kunststoffen, umgangssprachlich „Plastik“. Das Material ist sehr haltbar, lässt sich gut verarbeiten und ist daher aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch gerade die lange Haltbarkeit wird inzwischen, in Verbindung mit unzureichenden Recycling-Bemühungen, zu einem ernsten Problem.
Während in Europa fortschrittliche Systeme der Müllverwertung und Trennung bereits weitreichend etabliert sind, befindet sich die organisierte Müllentsorgung z. B. in weiten Teilen Südostasiens erst im Aufbau. Der täglich produzierte Müll wird – sofern er lokal organisiert eingesammelt wird – verbrannt oder vergraben. Meist landet er jedoch aus Unachtsamkeit in Straßengräben und Flüssen, von wo er unweigerlich ins Meer wandert und anschließend z. B. am Strand teilweise wieder angeschwemmt wird (s. Abb. 1). Schätzungen zufolge landen aktuell auf diese Weise bis zu zehn Prozent der weltweiten Kunststoffproduktion in den Weltmeeren [1]. Im Jahr 2015 entsprach dies einer Menge von rund acht Millionen Tonnen Plastikmüll [2].
Mikroplastikverseuchung der Weltmeere
Während grober Plastikmüll, wie Flaschen und Verpackungsmaterial, unter großem technischem Aufwand wieder eingesammelt werden könnte, droht eine zunehmende Gefahr durch so genanntes Mikroplastik, d. h. durch Partikel kleiner als 5 mm. Mikroplastik gelangt zum einen – als primäres Mikroplastik – direkt ins Wasser, beispielsweise in Form von Polyethylenpartikeln aus Kosmetika und Reinigungsmitteln, aus Oberflächenbeschichtungen oder Kunststoffwachsen, die als Trennmittel eingesetzt werden.
Die zweite, weitaus größere Quelle ist allerdings sekundäres Mikroplastik, welches durch die schrittweise Zersetzung von groben Plastikteilen, z. B. durch Reifenabrieb, durch den Einfluss von Sonne (UV-Strahlung) oder mechanisch durch Wellenbewegung und Gezeiten entsteht. Unmengen an Kleinstpartikeln werden hierbei kontinuierlich weiter zermahlen und in unterschiedlichem Feinheitsgrad in die Umwelt freigesetzt.
Da Mikroplastik kaum organisch degradiert, landen die Partikel zunehmend in der Nahrungskette, beginnend bei Plankton, bis hin zu Algen, Krebsen und Fischen [3], in denen sie sich anreichern. Zudem haften diesen Partikeln vermehrt toxische Moleküle wie Alkyl- und Biphenole an, welche beispielsweise zur Herstellung von Flaschenverschlüssen oder Innenbeschichtungen von Konserven genutzt werden. Neben deren hormonsteuernden Eigenschaften, wirken sie bereits in geringen Mengen krebserregend [4] und gelangen wiederum über die Nahrungskette unerkannt auf unserem Speiseteller.
Mikroplastik quantifizieren und entsorgen
Umfassende Studien zur tatsächlichen Häufigkeit von Mikroplastik im Meer fehlen weltweit, auch da sowohl Identifizierung als auch Quantifizierung technisch komplex sind. Herkömmliche Methoden sind aktuell nicht in der Lage, Partikel im sub-Mikrometer-Bereich zu extrahieren und zu analysieren. Da ein negativer Effekt von Mikroplastik auf die Gesundheit nicht auszuschließen ist, ist es essenziell, alsbald Methoden zu dessen Identifizierung und Kartographierung und nachfolgend zur Rückgewinnung zu entwickeln.
Für die Weltmeere würde man zweierlei benötigen: Sedimentfilter zum Sammeln von Mikropartikeln und eine Möglichkeit, zwischen natürlichen und menschengemachten Partikeln zu unterscheiden. Nachdem Bau und Verteilung von Millionen von Sedimentfiltern in den Weltmeeren utopisch ist, gilt es, nach alternativen Optionen zu suchen: Könnte man Schwämme (s. Abb. 2) als biologische Filteranlagen einsetzen? Könnten diese über die Art und das Ausmaß der Mikroplastik-Verschmutzung lokal Auskunft geben?
Lebewesen als Indikatoren für Umweltverschmutzung
Spezialisierte Lebewesen wie Schildkröten, Wasservögel oder Fische werden oftmals als Anzeiger ökologischer Verschmutzung bzw. der Wasserqualität herangezogen [5]. Im Fall von Mikroplastik ist dieser Ansatz allerdings nur bedingt geeignet: Um das aufgenommene Mikroplastik zu untersuchen, müssten die Tiere sterben. Muscheln, beispielsweise Austern, wiederum, sind meist auf Riffe beschränkt [6], und ihre Nahrungsbevorzugung ist sehr spezialisiert.
Schwämme hingegen sind Allrounder und weltweit verbreitet, von der Tiefsee bis hin zu Flüssen und Seen [7]. Diese natürlichen Filtrierer zeichnen sich durch ihr Wasserkanalsystem aus, mit dem sie täglich, angetrieben von so genannten Kragengeißelzellen (Choanozyten), ein Vielfaches ihres Körpervolumens an Umgebungswasser durch ihren Körper pumpen, um Nahrung (Kleinstpartikel wie Bakterien) aufzunehmen. Schwämme strudeln allerdings auch andere feinste Partikel, beispielsweise Sedimente, durch ihr Wasserkanalsystem und können solche bis zu einer Größe von 2 mm auch über ihre Außenseite aufnehmen. Dies geschieht bei einigen Schwämmen wohl auch zur strukturellen Stabilisation durch Einlagerung in Skelettfasern im Gewebe (Mesohyl).
Zusätzlich zeichnen sich Schwämme durch eine hohe Lebensdauer sowie Resistenz gegen äußere Verletzungen aus, wie sie beispielsweise bei der Entnahme von Gewebeproben für die Analyse von Mikroplastik entstehen. Ihre Verbreitung und Artenvielfalt macht sie daher zum perfekten Indikator, um die örtlich aufkommenden Verschmutzungen durch Mikroplastik zu kartieren.
Diese Eigenschaften haben sich nun Wissenschaftler der Universität München zu Nutze gemacht. Im Fachjournal Environmental Pollution berichten sie von einem empfindlichen und zuverlässigen Analyseverfahren, das aufgenommene Partikel in Schwämmen sowohl identifizieren, quantifizieren, als auch räumlich vermessen kann. Darüber hinaus konnten die Forschenden die Morphologie der in Gewebe eingebetteten Partikel erfolgreich determinieren [8]. Die Untersuchung wurde vor Nord-Sulawesi in Indonesien durchgeführt, in einem Gebiet, welches stark mit Plastikmüll im Meer belastet ist (s. Abb. 1).
Spezies-spezifische, lokale Mikroplastikanalyse
Um die aufgenommene Menge, die chemische Zusammensetzung der Partikel, und deren Morphologie sowie die primär aufnehmenden Spezies zu bestimmen, wurde ein fünfstufiges Verfahren entwickelt (s. Abb. 3). Zunächst wurden unterschiedliche Gewebeproben verschiedener Schwämme vor Ort im Korallenriff gesammelt. Diese Gewebeproben wurden anschließend untersucht, um Aufschluss über das Ausmaß der Mikroplastikverschmutzung zu erhalten sowie über die Spezies-spezifische ‚Vorliebe’ für Kleinst-Plastikpartikel in Form und Zusammensetzung und deren Herkunft.
Im nächsten Schritt wurden die gesammelten Proben im Labor für die Analysen zur Artbestimmung (Morphologie, DNA Barcoding) vorbereitet, gefolgt von einer histologischen Präparation. Durchlichtmikroskopie sowie Zwei-Photonen-Mikroskopie wurden als neue Methoden zur Untersuchung von im Gewebe eingebetteten Partikeln, deren Form, Menge, Ausrichtung und Verteilung in verschiedenen Bereichen des Schwammes eingesetzt.
Um die chemische Zusammensetzung und Häufigkeit von Mikroplastik und anderen anthropogenen Stoffen zu quantifizieren, wurde im letzten Schritt Raman-Spektroskopie verwendet [8, 9]. Raman-Spektroskopie kann Partikel ortsaufgelöst im Gewebe dokumentieren und deren chemische Zusammensetzung bestimmen. Um jedoch statistisch belastbare Zahlen über die Belastung der Schwämme mit Mikropartikeln zu erhalten, wurden definierte Mengen des Gewebes organisch aufgelöst, und die freigesetzten Partikel auf einer zweidimensionalen, anorganischen Filter-Matrix gesammelt. Nach schnellem Scan der Partikel-Position, wurde im letzten Schritt die Raman-Signatur, d. h. der chemische Fingerabdruck der einzelnen Partikel aufgenommen, identifiziert, klassifiziert und nach Häufigkeit pro Spezies aufgetragen.
Schwämme als marine Bioindikatoren
Um die Eignung von Schwämmen als marine Mikroplastik-Bioindikatoren zu testen, wurden Proben von 15 Schwämmen aus Korallenriffen vor Nord-Sulawesi (Indonesien) gesammelt, da dort das Problem der Verschmutzung durch Plastik besonders prominent ist [10]. Für die histologischen Untersuchungen wurden 15 Proben aus fünf verschiedenen Schwamm-Arten analysiert. Von jeder dieser Spezies wurden von drei Exemplaren unter Wasser im Korallenriff nicht-letale Proben entnommen und im Feld-Labor an Land für die weitere Analyse präpariert. Die beprobten Bereiche der Schwämme waren maximal bis zu 8 cm3 groß und werden schnell vom Organismus regeneriert. Um die Partikelzusammensetzung in der Umgebung der Probestellen mit den späteren Ergebnissen der Partikelanalyse vergleichen zu können, wurde zusätzlich Sand des angrenzenden Strandes mit demselben Verfahren analysiert.
Ein Teil jeder entnommenen Gewebeprobe wurde direkt nach der Entnahme für das DNA Barcoding in 96 % Ethanol, ein weiterer Teil in 4 % Formaldehyd fixiert. Nach 24 Stunden Fixierung wurden die Formaldehyd-fixierten Proben gewebeschonend mit reinem Ethanol dehydriert. Ein Teil jeder Probe wurde dann im Labor in München für die bildgebende Analyse abgezweigt, während das restliche Gewebe mehrere Tage mit Bleiche behandelt wurde. Diese löste das Zellgewebe auf, sodass die eingelagerten Partikel freigelegt wurden. Ein Partikelfilter isolierte alle Teilchen größer 1 µm für die Identifizierung mittels Raman-Spektroskopie. Das Gewebe für die 3D-Analyse wurde u. a. in 170 µm dünne Scheiben unterteilt und mit einem Fixierungsagenten auf Plastikbasis auf einen Objektträger aufgebracht.
Die 3D-Analyse der präparierten Gewebeschnitte wurde auf einem modifizierten Konfokalmikroskop durchgeführt. Die Anregung der Autofluoreszenz über Zwei-Photonen-Absorption erfolgte mit einem gepulsten Infrarotlaser. Organisches Gewebe gibt nach Anregung mit einem starken Infrarot-Laser Autofluoreszenz ab, während anorganische Mikropartikel als Negativ erscheinen. Die hohe axiale Auflösung zeigt klar, dass in allen Bereichen der beprobten Schwämme kleinere Partikel eingelagert sind. Es wurden ausgewählte Bereiche von 190 µm Breite und Länge und 18 µm Dicke untersucht. Die partikel- basierte Aufnahme der Raman-Spektren erfolgte zudem an einem kommerziellen Raman-Spektrometer. Die Aufnahmen deckten den spektralen Fingerprintbereich der potenziell organischen Proben zwischen 50 und 2.000 cm-1 ab. Die aufgenommenen Raman-Signaturen erlauben hierbei die chemische Identifizierung kleiner Partikel mit hoher räumlicher Auflösung ohne zusätzliche Markierungstechniken. Da anorganische Partikel im Allgemeinen und Mikroplastik im Besonderen als starke Raman-Streuer bekannt sind, eignet sich diese Spektroskopie-Methode zur Identifizierung der eingelagerten Materialien besonders gut.
Zunächst wurde die Aufnahme der Teilchen in Choanozytenkammern und Fasern sowie das Mesohyl mittels Zwei-Photonen-Mikroskopie untersucht (s. Abb. 5). In allen Bereichen wurde eine hohe Anzahl an anorganischen Partikeln nachgewiesen, umschlossen von organischem Gewebe. Die Schwämme nutzen diese v. a. zur Erhöhung ihrer strukturellen Stabilität, weshalb im Spongin-Skelett der beprobten Arten und dem Ektosom (äußerster Gewebebereich des Schwamms) eine hohe Teilchendichte beobachtet wurde. Interessanterweise wurden Partikel zwar rund um, aber nicht im Inneren von Choanozytenkammern lokalisiert. Dies ist insofern verwunderlich, als dass Schwämme in diesen Kammern vorwiegend Mikroplankton aus dem Meerwasser ausfiltern, gleiches wurde auch für anorganische Partikel erwartet.
Wie und ob Schwämme zwischen organischer Nahrung und anderen Partikeln unterscheiden können, ist noch nicht abschließend geklärt. Die von den Autoren dieses Beitrags beobachtete hohe Häufung anorganischer Partikel außerhalb und ihre Abwesenheit innerhalb der Choanozytenkammern würde allerdings für eine Selektierung sprechen.
Markierungsfreie Identifizierung der Partikel
Um die eingelagerten Partikel zu identifizieren, wurden 1.686 Teilchen aus allen 15 Proben mittels Raman-Spektroskopie untersucht (s. Abb. 4). Dabei konnten 34 verschiedene Partikelarten identifiziert werden, größtenteils Kalziumkarbonate und Quarz, welche den Hauptbestandteil des Sediments in den Riffen um Bangka Island ausmachen. Zudem fanden sich Polystyrol und Farbpigmente – eindeutige Zeugen für die menschengemachte Verschmutzung des Meeres. Ausgehend von einer linearen Extrapolation der gefundenen Belastung durch Polystyrol-basierte Mikropartikel ist dabei eine Belastung von mindestens 10.000 Plastikteilchen pro 100 g trockenem Schwammgewebe zu erwarten.
Zudem konnten keine signifikanten Unterschiede in der Zusammensetzung der eingelagerten Partikel gefunden werden, weder zwischen den untersuchten Spezies noch zur Sandzusammensetzung. Dies legt nahe, dass Schwämme (größtenteils unabhängig von ihrer Spezies) Mikropartikel unspezifisch in ihr Gewebe einlagern, was ihre Eigenschaft als ideale Partikelfilter verdeutlicht.
Kartographierung der Mikroplastikverschmutzung
Was Verbreitung und Auswirkung von Mikroplastik betrifft, gibt es noch viele unbeantwortete Fragen, aber die neuesten Ergebnisse legen nahe, dass die Untersuchung von Schwämmen als Bioindikatoren für die Belastung verschiedener Meeresregionen, aber auch von Flüssen und Seen, mit Mikroplastik geeignet sein könnte. Schwämme erlauben somit, mit geringem Aufwand eine zukünftige Kartierung der Mikroplastik-Belastung von Gewässern weltweit vorzunehmen. Diese Daten wären dann die essenzielle Grundlage, um nachhaltige, regionale und lokale Strategien für die Vermeidung von Plastikeintrag in aquatische Systeme zu entwickeln.
Literatur:
[1] Essel, R., et al., Quellen für Mikroplastik mit Relevanz für den Meeresschutz in Deutschland, Umweltbundesamt, Editor. 2015, Umweltbundesamt: Dessau-Roßlau. p. 43.
[2] Jambeck, J.R., et al., Plastic waste inputs from land into the ocean. Science, 2015. 347(6223): p. 768.
[3] Pennino, M.G., et al., Ingestion of microplastics and occurrence of parasite association in Mediterranean anchovy and sardine. Marine Pollution Bulletin, 2020. 158: p. 111399.
[4] Shafei, A., et al., Stop eating plastic, molecular signaling of bisphenol A in breast cancer. Environ Sci Pollut Res Int, 2018. 25(24): p. 23624-23630.
[5] GESAMP (2019). Guidelines or the monitoring and assessment of plastic litter and microplastics in the ocean, P. Kershaw, et al., Editors., Rep. Stud. GESAMP No. 99. 130p.
[6] Bayne, B.L., Chapter 10 - Oysters and the Ecosystem, in Developments in Aquaculture and Fisheries Science, B. Bayne, Editor. 2017, Elsevier. p. 703-834.
[7] Van Soest, R.W.M., et al., Global Diversity of Sponges (Porifera). PLOS ONE, 2012. 7(4): p. e35105.
[8] Girard, E.B., et al., Sponges as bioindicators for microparticulate pollutants? Environmental Pollution, 2020: p. 115851.
[9] Girard, E.B., et al., Biodegradation of textile waste by marine bacterial communities enhanced by light. Environmental Microbiology Reports, 2020. 12(4): p. 406-418.
[10] Ling, S.D., et al., Ubiquity of microplastics in coastal seafloor sediments. Marine Pollution Bulletin, 2017. 121(1): p. 104-110.
* Ludwig-Maximilians-Universität München, Department für Chemie und CeNS, Physikalische Chemie I, 81377 München, Tel: +49 89 2180 77571
* *Ludwig-Maximilians-Universität München, Department für Geo- und Umweltwissenschaften, Paläontologie & Geobiologie, 80333 München
* **Derzeitige Adresse: Naturalis Biodiversity Center, 2333CR Leiden, Niederlande
* ***Ludwig-Maximilians-Universität München, GeoBio-Center, 80333 München
* ****SNSB-Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie, 80333 München
(ID:47151450)