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Placeboeffekt lindert Rückenschmerzen Selbst wenn man Bescheid weiß, Placebos helfen

Autor / Redakteur: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener / Christian Lüttmann

Manchmal spielt es keine Rolle, ob ein Medikament einen medizinischen Wirkstoff besitzt. So können Placebos das Befinden von Patienten verbessern und zum Beispiel Schmerzen lindern. Dass man dafür nicht einmal verheimlichen muss, dass es sich um ein wirkstofffreies Medikament handelt, legt eine neue Studie der Universitätsmedizin Essen nahe.

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Ob mit Wirkstoff oder ohne: Tabletten können positiv auf den Gesundheitszustand wirken – sogar wenn man weiß, dass man nur ein Placebo-Medikament einnimmt (Symbolbild).
Ob mit Wirkstoff oder ohne: Tabletten können positiv auf den Gesundheitszustand wirken – sogar wenn man weiß, dass man nur ein Placebo-Medikament einnimmt (Symbolbild).
(Bild: gemeinfrei, guvo59 / Pixabay )

Essen – Ein Placebo ist ein Medikament ohne pharmazeutische Wirkstoffe. Dennoch können Placebos positive Effekte auf den Gesundheitszustand haben. Oft wird argumentiert, dass allein die Erwartung, ein wirksames Medikament zu bekommen, den Patienten eine Linderung ihrer Beschwerden bringt – und wenn es nur eine subjektive ist.

Dass der Placeboeffekt sogar helfen kann, wenn die behandelten Personen wissen, dass sie ein Placebo einnehmen, legt nun eine Studie an 127 Schmerzpatienten nahe.

Offene Placebogabe

Die Patienten, die mindestens zwölf Wochen lang unter Rückenschmerzen gelitten hatten, wurden in zwei Gruppen unterteilt. Die eine Gruppe (n=60) erhielt die gleiche Behandlung wie zuvor, die zweite (n=67) erhielt zusätzlich 21 Tage lang zweimal täglich ein Placebo. Vor Studienbeginn war allen Studienteilnehmern ein Video vorgeführt worden, das über den so genannten Placeboeffekt und die neueste Studienlage zu möglichen positiven Effekten einer offenen Placebogabe informierte. Die Patienten wussten also, dass sie eine wirkstofffreie Substanz einnehmen.

Die Gruppen unterschieden sich nicht signifikant in Alter, Geschlecht und Schmerzintensität, allerdings war der BMI in der Gruppe, die zusätzlich mit Placebo behandelt wurde, höher (28,18 vs. 25,72).

Subjektive Verbesserung bei wissentlicher Placebo-Einnahme

Die Studie untersuchte die subjektiven Behandlungserfahrungen, vor allem die Selbsteinschätzung der Schmerzintensität. Aber auch andere subjektive Parameter wie die schmerzbedingte Einschränkung, Depression, Angst und Stress, erfassten die Forscher mittels standardisierter Fragebögen. Zudem testeten sie objektive Kriterien wie die Beweglichkeit der Wirbelsäule, die mit Sensoren auf der Wirbelsäule gemessen wurden.

Im Ergebnis zeigte sich, dass die Placebo-Gruppe eine signifikant stärkere Abnahme der Schmerzintensität aufwies, sich funktionell weniger eingeschränkt fühlte und angab, weniger depressiv zu sein. Der schmerzlindernde Effekt der Placebos war in etwa so hoch wie der eines NSAID (nichtsteroidalen Antirheumatikums). Auch fragten die mit Placebo behandelten Patienten im Trend weniger häufig nach einer Notfallmedikation, also zusätzlichen Schmerzmitteln.

Die objektiv erhobenen Parameter waren hingegen zwischen den Gruppen nicht unterschiedlich. Wie aber ist es zu erklären, dass Placebos das subjektive Befinden signifikant verbessert haben, obwohl den Studienteilnehmern klar war, dass sie wirkstofffreie Kapseln erhalten hatten?

Selbsterfüllende Prophezeiung als Erklärungsansatz

Dr. Julian Kleine-Borgmann, Erstautor der Studie, und die Projektleiterin Prof. Ulrike Bingel führen an, dass die Mechanismen einer offenen Placebo-Anwendung noch nicht hinreichend erforscht sind. Patienten könnten durch das Informationsvideo unbewusste positive Erwartungen im Hinblick auf das Placebo entwickelt haben, obwohl die gemessene Erwartung in der Placebo-Gruppe in keinem signifikanten Zusammenhang mit der Schmerzlinderung stand.

Eine weitere Hypothese ist die Umdeutung so genannter natürlicher Fluktuationen: Es ist bekannt, dass chronische Rückenschmerzen in ihrer Intensität über den Verlauf schwanken. Möglicherweise führen schmerzärmere Phasen dazu, dass positive Erwartungen im Sinne einer „self-fulfilling prophecy“ erfüllt werden, wodurch der Glaube an einen positiven Effekt der Placebos weiter bestärkt wird.

Placebo als Therapie-Ergänzung

Kleine-Borgmann und Kollegen sind der Überzeugung, dass das therapeutische Potenzial von Placebos weiter untersucht werden sollte. Dies findet auch Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN. Er hebt hervor, dass bei chronischen Schmerzerkrankungen die Psyche eine wichtige Rolle spielt und auf das subjektive Schmerzempfinden Einfluss nehmen kann: „Wenn wir die subjektive Schmerzlast der Patienten – und sei es auch nur bei einem Teil der Patienten – durch ein Aufklärungsvideo und die Ergänzung des Placeboeffektes nennenswert senken können, sollten wir diese Option nutzen. Chronische Schmerzpatienten haben einen enormen Leidensdruck, der sie körperlich und seelisch zermürbt, eine Therapie, die zu einer subjektiven Verbesserung führt, hat Berechtigung – auch wenn wir die dahinterliegenden Mechanismen noch nicht vollständig verstehen.“

Originalpublikation: Kleine-Borgmann J, Schmidt K, Hellmann A, Bingel U.: Effects of open-label placebo on pain, functional disability, and spine mobility in patients with chronic back pain: a randomized controlled trial, Pain 2019; 160 (12): 2891-2897. DOI: 10.1097/j.pain.0000000000001683

* Prof. Dr. med. H.-C. Diener, Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 99423 Weimar

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