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Tricks im innerartlichen Konkurrenzkampf Tabakpflanzen sabotieren ihre Artgenossen

Autor / Redakteur: Susanne Hufe* / Christian Lüttmann

Warum das Problem aus der Welt schaffen, wenn man es an benachbarte Artgenossen und Konkurrenten weitergeben kann? Nach diesem Motto haben Tabakpflanzen scheinbar ihre Abwehrstrategie gegen Raupen perfektioniert. Wie genau diese Taktik der einzelnen Pflanze im innerartlichen Konkurrenzkampf hilft, haben nun Forscher des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung herausgefunden.

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Nachdem eine Pflanze des Wilden Tabaks (Nicotiana attenuata) von einer Raupe des Tabakschwärmers befallen wurde, wartet sie einige Tage ab – erst dann setzt sie ihre chemische Verteidigung in Gang.
Nachdem eine Pflanze des Wilden Tabaks (Nicotiana attenuata) von einer Raupe des Tabakschwärmers befallen wurde, wartet sie einige Tage ab – erst dann setzt sie ihre chemische Verteidigung in Gang.
(Bild: Pia Backmann)

Leipzig – Der Feind ist grün und gefräßig: Wenn die Raupen des Tabakschwärmers (Manduca sexta) ihre bevorzugte Hauptspeise, den Wilden Tabak (Nicotiana attenuata) befallen, droht der Pflanze ein baldiges Ende. Eine Flucht ist ihr nicht möglich. Doch der Tabak hat andere Methoden gegen seine Fraßfeinde entwickelt: Er produziert chemische Substanzen, die hungrigen Krabbeltieren nicht gut bekommen. Auf diese Weise setzt sich der Wilde Tabak gegen die Raupen des Tabakschwärmers zur Wehr.

Erstaunlicherweise fährt die Pflanze ihre chemische Verteidigung aber erst hoch, nachdem sie die Schädlinge bereits einige Tage lang ertragen hat. Warum der Wilde Tabak nicht sofort bei Befall durch die Raupen mit Gegenmaßnahmen beginnt, hat nun ein Forscherteam des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) herausgefunden. Mithilfe eines Computermodells auf Basis von Beobachtungen, konnten die Forscher diese auf den ersten Blick merkwürdige Strategie erklären.

Großer Konkurrenzkampf zwischen den Tabakpflanzen

Um den Sinn hinter der verzögerten Schädlingsabwehr zu verstehen, muss man sich zunächst die besondere Ökologie des Wilden Tabaks vor Augen führen: Die Art wächst in Wüstengebieten in den Vereinigten Staaten, wo Samen erst jahrelang im Boden auf ein Feuer warten, um dann alle gemeinsam zu keimen. Entsprechend hoch ist deshalb die Konkurrenz zwischen den vielen gleich alten Tabakpflanzen um Wasser und Nährstoffe. Muss sich eine Pflanze dann auch noch mit Fraßfeinden herumschlagen, bringt ihr dies große Nachteile. „Der Wilde Tabak hat allerdings eine trickreiche Möglichkeit gefunden, den ‚Schwarzen Peter‘ weiterzureichen: Die Pflanze schickt die Raupen kurzerhand zu ihren Nachbarn“, sagt Dr. Pia Backmann vom iDiv und dem UFZ.

Verteidigung zum richtigen Zeitpunkt

Dabei ist das Timing entscheidend: Wehrt sich die Pflanze zu früh, gelingt es ihr zwar vielleicht, die Raupe nach einigen Tagen zu töten. Doch da die Produktion der Abwehrstoffe Energie kostet, wird die Pflanze letztlich im Wachstum hinter ihren Artgenossen zurückbleiben. Setzt die Abwehr zu spät ein, bleibt die Raupe womöglich bis zur Verpuppung und richtet große Fraßschäden an, wodurch die Pflanze sogar sterben kann. „Es geht also darum, die Verteidigung zum richtigen Zeitpunkt zu aktivieren“, sagt Prof. Nicole van Dam vom Forschungszentrum iDiv und der Universität Jena. „Denn dann krabbelt die Raupe zur Nachbarin und schwächt diese – und die trickreiche Pflanze wird am Ende ihre Konkurrentin überragen. Für die Tabakpflanzen gilt bei der Produktion von Abwehrstoffen also nicht je schneller, desto besser.“

Den Fraßfeind vertreiben, wenn sein Hunger am größten ist

Um den größtmöglichen Vorteil für sich – also den größtmöglichen Schaden bei den Nachbarpflanzen – zu erzielen, muss der Tabak am besten einige Tage mit dem Vertreiben der Raupen warten, wie das neue Modell von Backmann zeigt. Davor sind die Raupen nämlich noch zu klein und unbeweglich, um den Weg bis zu einer anderen Pflanze zu schaffen. Zudem fressen sie auch noch recht wenig, die entstehenden Schäden sind also gering.

Ab einem Alter von etwa zehn Tagen geht das Fressen aber richtig los: Ab jetzt konsumieren die Raupen weit über 90 Prozent der Blattmasse, die sie bis zu ihrer Verpuppung zum Schmetterling in einem Alter von etwa 21 Tagen zu sich nehmen werden. Und sie sind jetzt groß genug, um auf eine andere Pflanze zu wechseln, wenn es ungemütlich wird, sprich: wenn ihre Wirtspflanze die Verteidigung hochgefahren hat. Aus diesem Grund startet die Pflanze optimalerweise erst etwa vier Tage nach dem Raupenbefall mit der Produktion von Giftstoffen. Bis die Abwehr vollständig aktiv ist, dauert es noch ein paar weitere Tage.

Bewältigung innerartlicher Konkurrenz

Dass sich die Raupen unter der Wirkung der Abwehrstoffe langsamer entwickeln und öfter sterben, hatte van Dam gemeinsam mit Prof. Ian Baldwin, Forscher am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie bereits in vorangegangenen Laborversuchen herausgefunden. Dabei hatte sich auch gezeigt, dass es sich für Raupen auf Pflanzen mit aktivierter Verteidigung bezahlt macht, auf eine andere Pflanze zu wechseln, die noch keine Abwehrstoffe produziert. Dass es sich aber aus Sicht der Pflanze um eine Strategie zur Bewältigung von innerartlicher Konkurrenz handelt, sich ein paar Tage lang anfressen zu lassen und erst dann zu verteidigen, konnte erst mithilfe des neuen Computermodells geklärt werden.

Originalpublikation: Pia Backmann, Volker Grimm, Gottfried Jetschke, Yue Lin, Matthijs Vos, Ian T. Baldwin, and Nicole M. van Dam: Delayed Chemical Defense: Timely Expulsion of Herbivores Can Reduce Competition with Neighboring Plants. The American Naturalist 193:1, 125-139, 2019; DOI: 10.1086/700577

* S. Hufe, UFZ Umweltforschungszentrum, 04318 Leipzig

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