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Digitale Wende

The Digital Turn - Transformation von der Informations- zur Wissensgesellschaft

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Beziehung zwischen Technik, Moderne und Emanzipation

Ein Beispiel für eine durch Digitalisierung entstandene Ideologie ist die Forderung nach Transparenz, eigentlich eine Institution der Aufklärung. Die Existenz einer Technologie, die Transparenz ermöglicht, macht aus der Möglichkeit allmählich die Pflicht zur Transparenz, für politische Institutionen oder Unternehmen, in der Annahme, dass dies moralisch die bessere Position sei. Der Berliner Historiker Herfried Münkler hatte schon vor drei Jahren auf das Problem hingewiesen, dass auch politische Entscheidungsträger im Geheimen verhandeln dürfen sollen, um bessere Ergebnisse erzielen zu können.

Eine Transparenzdiskussion, die jetzt mit CETA und TTIP aktueller denn je ist. Gleichzeitig formiert sich die Bewegung, die die Privatsphäre schützen will, wie der breite Protest gegen Googles Streetview-Aufnahmen. Darin zeigt sich die Ambivalenz der Moderne. Eine Technologie, die private Telefonate vor dem Zugriff der Geheimdienste schützt, bietet auch einen Schirm für kriminelle Aktivitäten vor Strafverfolgung. Die digitale Wende dreht sich wieder um das alte Thema der Beziehung zwischen Technik, Moderne und Emanzipation. Diese Beziehung lässt sich nur in einer gesellschaftlichen also politischen Debatte ausloten.

Was ist neu?

Bereits der Gebrauch von Federkiel und Papier habe den menschlichen Geist domestiziert, so der Soziologe Bruno Latour. Analog ist die Digitalisierung zu sehen, als Technologie, die wir zum Denken benutzen, die wie das Papier dazu dient, Bedeutungen zu stabilisieren und Wissen leichter übermitteln zu können. Dabei erlaubt die Digitalisierung eine leichtere Visualisierung von Wissen, womit der aktuelle Trend zu neuer Visualität in und mit Infografiken, Bildern oder Videos einhergeht. Data Journalism als neues Genre ist ohne diese Entwicklung nicht denkbar.

Andere Phänomene sind weniger neu. Soziale Netzwerke zum Beispiel hatten immer Bestand. Nur die Form passt sich den technischen Möglichkeiten an, zwischenmenschliche Kommunikation ist ein Wesenszug und eine kulturelle Konstante und dass dabei die Instrumente stets verfeinert werden hat sich über die Geschichte hinweg nicht verändert. Auch die Umgangsformen bzw. die gewählten Genres sind dieselben. Die heutigen sozialen Netzwerke bieten wie die früheren die Gelegenheit oder bieten den Raum, um sich über das Stilmittel des Dramas zu unterhalten.

Der Soziologe Irving Goffman beschreibt die Teilnahme am modernen Leben als eine ständige Praxis der Dramatisierung, eine Interpretation unterschiedlicher Rollen, die sowohl Identität als auch Selbstbild der Teilnehmer bestimmen. Die heutigen sozialen Netzwerke vervielfältigen die Möglichkeiten der Darstellung, verlängern die Darstellungszeit und erweitern die Zielgruppen.

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