Impfrisiken Thrombosen nach Corona-Impfung – mögliche Ursache und Behandlung
Jede Impfung birgt Risiken. Die sehr selten auftretenden Hirnvenenthrombosen nach Corona-Impfungen sind ein Beispiel dafür. Nachdem ihr Auftreten bekannt wurde, begann die Ursachenforschung. Erste Studien geben Anhaltspunkte für eine Erklärung sowie eine erfolgsversprechende Diagnose und Behandlung der Thrombosen.
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Berlin – Nach einer Covid-19-Impfung wurden, wenn auch sehr selten, zerebrale Sinus- und Venenthrombosen beobachtet. Das sind Blutgerinnsel, die sich in Gefäßen des Gehirns bilden und den Blutfluss blockieren können. Betroffene haben meist starke Kopfschmerzen, bis hin zu Krämpfen oder gar Lähmungserscheinungen. Etwa zehn Prozent dieser Thrombosen führen sogar zum Tod.
Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) [1] analysierte Impfnebenwirkungen auf die Blutgefäße des Gehirns, die nach einer webbasierten Befragung im April 2021 aller neurologischen Kliniken in Deutschland gemeldet wurden. Bei 62 Patienten war ein möglicher Zusammenhang mit der Impfung bestätigt worden. Die meisten Fälle traten nach der Erstimpfung mit dem Vektorimpfstoff Astrazeneca auf – die Rate war hier mehr als neunmal höher als bei mRNA-Impfstoffen wie denen von Biontech oder Moderna. In den USA gibt es auch Fälle nach Impfung mit dem Vektorimpfstoff von Johnson & Johnson [2].
Generelle Thrombosegefahr durch die Impfung?
Wie und warum bzw. unter welchen Umständen SARS-CoV-2-Impfstoffe in seltenen Fällen eine Gerinnungsstörung (Koagulopathie) verursachen können, gilt es noch herauszufinden. Man könnte vermuten, dass die Impfung das Thromboserisiko generell erhöht, wobei die gefährlicheren Hirnvenenthrombosen lediglich stärker aufgefallen sind.
Eine Ende Juni vorab publizierte Studie [3] griff diese Vermutung auf. Die Forscher wollten darin klären, ob Corona-Impfstoffe im Blut die nötigen Voraussetzungen für eine Thrombose schaffen können und ob sie bei Menschen mit erhöhter Anfälligkeit für Gerinnungsstörungen einen zusätzlichen Risikofaktor darstellen. Dazu machten die Wissenschaftler umfassende Gerinnungsanalysen bei insgesamt 190 Gesunden nach der Impfung mit Astrazeneca oder einer mRNA-Impfung mit Biontech sowie bei 28 Ungeimpften als Kontrollgruppe. Die Studie evaluierte die Gerinnungsprofile jeweils in der zweiten Woche nach der ersten Impfdosis und suchte Hinweise auf eine globale erhöhte Gerinnungsneigung im Blut.
Das Ergebnis: Die Forscher fanden keine Veränderungen bzw. Unterschiede im Gerinnungsprofil der Geimpften gegenüber den Ungeimpften. Gemäß dieser Studie gibt es also keinen Hinweis darauf, dass die Impfstoffe das generelle Thromboserisiko erhöhen. Doch wodurch entstehen die mit der Impfung in Verbindung gebrachten Hirnvenenthrombosen?
Der impfbedingten Thrombose auf der Spur
Eine vielversprechende Spur hat ein Forscherteam aus Greifswald entdeckt. Die Wissenschaftler hatten bei frisch geimpften Patienten mit (Hirnvenen-)Thrombosen einen speziellen immunologischen Mechanismus nachgewiesen, der die Thrombosen erklären kann [4]. Er ähnelt dem Mechanismus einer bekannten immunologischen Gerinnungsstörung, die als seltene Komplikation durch den Gerinnungshemmer Heparin auftreten kann. Betroffene haben weniger Blutplättchen als üblich und weisen eine erhöhte Konzentration von bestimmten Immunproteinen auf, den so genannten PF4-Antikörpern. Dies führt zu dem paradoxen Ergebnis, dass Erkrankte nicht nur Blutgerinnungen und Thrombosen erleiden, sondern gleichzeitig auch eine erhöhte Blutungsneigung wegen des Plättchenmangels.
Prof. Andreas Greinacher von der Uni Gereifswald hat mit seinem Team gezeigt, dass Patienten, die nach ihrer Corona-Impfung eine Thrombose erlitten, im Blut eben jene PF4-Autoantikörper aufwiesen – und zwar obwohl sie zuvor nie Heparin erhalten hatten. In seltenen Fällen kommt es also nach Verabreichen der Corona-Vektorimpfstoffe zur Bildung von PF4-Antikörpern, die dann auch zu Thrombosen führen können.
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Long-Covid
Corona-Infektion verändert Blutzellen langfristig
Thrombosegefahr ist im Blut nachweisbar
Die Greifswalder Forscher nennen dieses Phänomen einen Impfstoff-verursachten, vom Immunsystem ausgehenden, thrombotischen Blutplättchenmangel, kurz VITT (für Vakzine-induzierte immunogene thrombotische Thrombozytopenie). Die gute Nachricht: ein solcher Blutplättchenmangel lässt sich analytisch im Labor nachweisen. Doch einfach ist das nicht. „Zur Diagnostik bei VITT-Verdacht sind die meisten Such-Tests ungeeignet, und ein negatives Ergebnis schließt nach Covid-19-Impfung PF4-Antikörper nicht aus“, sagt DGN-Generalsekretär Prof. Peter Berlit. „Es muss nach Rücksprache mit dem Labor ein hochsensitiver ELISA-Test durchgeführt werden.“
Wenn die PF4-Antikörper im Blut nachgewiesen sind, gibt es Möglichkeiten zur Behandlung bzw. Prävention einer Thrombose: Die Forscher aus Greifswald raten dazu, Patienten mit dem impfbedingten Blutplättchenmangel durch hochdosierte, intravenöse Gabe von Immunglobulinen (IVIG) zu behandeln, kombiniert mit Gerinnungshemmern. Dabei sollen die Immunglobuline die Antikörper neutralisieren und die Gerinnungshemmer eine weitere Thrombenbildung verhindern.
Erste Behandlungserfolge dokumentiert
Eine aktuelle Publikation [5] beschreibt den Therapieeffekt bei den ersten VITT-Patienten in Kanada nach Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin: einer Frau (72 Jahre) und zwei Männern (63 und 69 Jahre). Zwei Betroffene hatten arterielle Thrombosen der Extremitäten, der dritte zusätzlich eine Hirnvenenthrombose. Nach Beginn der IVIG-Therapie ging die Antikörper-induzierte Plättchenaktivierung bei allen drei Betroffenen zurück.
„Es bleibt festzuhalten, dass bei der Seltenheit der VITT der Nutzen der Covid-19-Impfung weitaus überwiegt“ sagt DGN-Generalsekretär Berlit. „Wenn in den zwei Wochen nach der Impfung mit einem Vektorimpfstoff anhaltende Kopfschmerzen oder Durchblutungsstörungen auftreten, sollte die Thrombozytenzahl gemessen werden. Wenn eine Thrombozytopenie vorliegt, müssen die PF4-Antikörper bestimmt werden. Zum Glück wissen wir, wie die seltene Komplikation erfolgreich behandelt werden kann.“
Weitere Infos zur Corona-Impfung und dem Risiko von Hirnvenenthrombosen gibt es auf Quarks.de. Dort ist z. B. gezeigt, warum sich für die meisten Menschen trotz der bekannten Gefahr von Nebenwirkungen eine Impfung mit Astrazeneca lohnt – und in welchen Fällen doch eher davon abzuraten ist.
Literatur
[1] Schulz J, Berlit P, Diener H, Gerloff C, Greinacher A, Klein C, Petzold G, Poli S, Piccininni M, Kurth T Röhrig R, Steinmetz H, Thiele T: COVID-19 vaccine associazed cerebrovascular events in Germany: a descriptive study, medrxiv, Preprint, May 04, 2021; DOI: 10.1101/2021.04.30.21256383
[2] See I, Su JR, Lale A, Woo EJ et al.: US Case Reports of Cerebral Venous Sinus Thrombosis With Thrombocytopenia After Ad26.COV2.S Vaccination, March 2 to April 21, 2021. JAMA 2021; 325 (24): 2448-56; DOI: 10.1001/jama.2021.7517
[3] Campello E, Simion C, Bulato C et al.Absence of hypercoagulability after nCoV-19 vaccination: An observational pilot study. Thrombosis Research, Volume 205, P24-28, September 01, 2021; DOI: 10.1016/j.thromres.2021.06.016
[4] Greinacher A, Thiele T, Warkentin TE et al. Thrombotic Thrombocytopenia after ChAdOx1 nCov-19 Vaccination. N Engl J Med 2021 Jun 3; 384 (22): 2092-2101; DOI: 10.1056/NEJMoa2104840
[5] Bourguignon A, Arnold DM, Warkentin TE et al. Adjunct Immune Globulin for Vaccine-Induced Thrombotic Thrombocytopenia. N Engl J Med 2021 Jun 9; DOI: 10.1056/NEJMoa2107051
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