Von Mikroplastik und Mikroben Umfassende Bestandsaufnahme von Mikroplastik in der Ostsee
Plastik gelangt in großen Mengen über Abwässer ins Meer und in die maritimen Nahrungsketten. Eine Expedition hat nun die erste umfassende Bestandsaufnahme von Mikroplastik in der Ostsee zum Ziel.
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Rostock-Warnemünde – Am 17. August 2015 startete eine Gruppe von WissenschaftlerInnen des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) zur ersten umfassenden Bestandsaufnahme von Mikroplastik in der Ostsee. Dazu wird mit dem Forschungsschiff FS Poseidon während der rund einmonatigen Expedition eine Probennahmekampagne an bis zu 50 Stationen durchgeführt. Weiterhin soll mittels genetischer Analysen untersucht werden, ob mikrobielle Lebensgemeinschaften bei Umweltstress ihre Zusammensetzung verändern oder weitere Reaktionen zeigen, die sich in ihrem genetischen ‚Fingerabdruck‘ niederschlagen.
Die Poseidon, eines der Forschungsschiffe des Kieler Ozeanforschungsinstitutes Geomar, beginnt ihre Fahrt in Rostock, um dann in den Küstengewässern einmal die gesamte Ostsee zu umrunden. „Ob wir die gesamte Strecke schaffen und alle 50 geplanten Stationen anfahren können, ist vom Wetter abhängig“, sagt Dr. Sonja Oberbeckmann, die als Fahrtleiterin die Expedition koordiniert. Die Meeresmikrobiologin aus der Arbeitsgruppe Umweltmikrobiologie des IOW ist während der Fahrt außerdem verantwortlich für den Forschungsfokus Mikroplastik. „Um uns einen umfassenden Eindruck zu verschaffen, wo und wie viel Mikroplastik es gibt und aus welcher Plastikart es besteht, wollen wir an allen Stationen sowohl das Oberflächenwasser als auch das Sediment beproben. Damit ist unsere Expedition die erste derartig umfassende Mikroplastik-Bestandsaufnahme für die Ostsee“, so Sonja Oberbeckmann.
Mikroplastik – Auswirkungen auf marine Nahrungskette und mikrobielle Lebensgemeinschaften
Bereits seit den 1970er Jahren ist bekannt, dass sich kleine bis kleinste Plastikrückstände als sogenanntes Mikroplastik – Partikel, deren Durchmesser kleiner als 5 Millimeter ist – im Meer anreichern. Ausführlicher erforscht wird das Phänomen jedoch erst seit rund 10 Jahren. Mikroplastik ist in vielen Produkten des alltäglichen Gebrauchs, wie z. B. Kosmetika und Kleidung, enthalten und kann über Haushaltsabwässer in die Umwelt gelangen. Auch großer Plastikmüll zerfällt durch Einwirkung von UV-Strahlung, mechanischen Abrieb und weitere Einflüsse zu Mikroplastik. Auf Grund der geringen Größe werden die Partikel von vielen Organismen aufgenommen, so dass die mitunter in den Kunststoffen enthaltenen Giftstoffe auf diese Weise in die marinen Nahrungsketten gelangen. Außerdem bieten die im Wasser treibenden Partikel trotz ihrer geringen Größe Mikroorganismen eine feste Oberfläche, die sie besiedeln und wo sie dichte Biofilme bilden können. Im Meer kommen immer wieder – auch durch anthropogenen Eintrag – pathogene oder toxische Keime vor, die verdünnt im freien Wasser meist unproblematisch sind. Mikroplastik kann daher potenziell zusätzliche schädliche Auswirkungen haben, wenn sich solche Organismen als Biofilm auf den Partikeln anreichern.
„Ob Mikroplastik tatsächlich Krankheitserreger oder anderweitig schädliche Mikroben anreichert oder sogar zu deren Verbreitung beiträgt, ist bislang noch unklar. In jedem Fall steht fest, dass der durch den Menschen in die Umwelt eingebrachte Faktor ‚Mikroplastik‘ ein zusätzlicher Lebensraum für mikrobielle Lebensgemeinschaften im Meer ist und diese daher auch beeinflussen kann“, so Sonja Oberbeckmann. Um diesen Einfluss besser zu verstehen, will das Forscherteam auch Experimente an Bord der Poseidon durchführen, bei denen fabrikneue Mikroplastik-Pellets mit Wasser- und Sedimentproben aus der Ostsee zusammengebracht werden, um zu sehen, welche Biofilme sich dort unter kontrollierten Bedingungen entwickeln. „Diese Biofilme können wir dann mit denen von ‚wildem‘ Mikroplastik vergleichen, das wir am selben Probenort aus der Ostsee isoliert haben. Das liefert uns zusätzliche Hinweise, beispielsweise zu Entwicklungsbedingungen und -geschwindigkeit der Biofilme sowie zu ihrer Interaktion mit der Umwelt“, erläutert Oberbeckmann. Die Arbeiten zu Mikroplastik auf der Poseidon werden im Rahmen des von der Leibniz-Gemeinschaft geförderten Verbundprojektes MikrOMIK durchgeführt, an dem sich unter Leitung von Dr. Matthias Labrenz vom IOW neun weitere Forschungsinstitute in Deutschland beteiligen.
Beeinflusst Umweltstress die Zusammensetzung der Mikrobengemeinschaften?
Auch der zweite Arbeitsschwerpunkt der Poseidon-Expedition befasst sich mit den mikrobiellen Lebensgemeinschaften in der Ostsee. Hier geht es darum, eine umfangreiche genetische Charakterisierung dieser Lebensgemeinschaften vorzunehmen, sich dabei jedoch vor allem auf Bereiche zu konzentrieren, die immer wieder Verschmutzungen durch verschiedene Umweltgifte ausgesetzt sind. „In der Ostsee sind das vor allem die Zuflussbereiche großer Flüsse, wie Oder, Weichsel oder Memel“, so Dr. Christin Bennke, Expeditionsteilnehmerin und ebenfalls im Team der Arbeitsgruppe Umweltmikrobiologie. „Diese Bereiche – sogenannte Flussfahnen – werden daher auf der Expedition systematisch beprobt. Wir wollen sehen, ob der Umweltstress die Zusammensetzung der Mikrobengemeinschaften beeinflusst und eventuell sogar zu genetischen Anpassungen oder anderen Reaktionen der Organismen führt, die sich erkennbar im genetischen Gesamtbild – ihrem sogenannten genetischen Fingerabdruck – niederschlagen“, beschreibt die für diesen Teil der Arbeiten verantwortliche IOW-Wissenschaftlerin ihren Forschungsansatz. Durchgeführt werden diese Untersuchungen im Rahmen des europäischen Verbundprojektes Blueprint, das Mikroorganismen als besonders wichtige Triebkräfte für biogeochemische Stoffkreisläufe im Meer in den Fokus nimmt, um auf Basis von umfangreichen genetischen Analysen neue Konzepte zur ökologischen Zustandsbewertung der Ostsee zu entwickeln.
* Dr. K. Beck: Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, 18119 Rostock
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