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Mikrofluidik Verhaltensbiologie: Fisch und Chips

Von Dominika Schrödter*

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Die Mikrofluidik und der Zebrafisch als Modellsystem in der Verhaltensneurobiologie – Das Gehirn von Zebrafischlarven besteht aus circa 100.000 Nervenzellen, und es weist eine hohe Vergleichbarkeit zum menschlichen Gehirn auf. Um diesen Nervenzellen bei der Arbeit zuschauen zu können, haben Forschende der TU Braunschweig ein Mikrofluidiksystem für die Aufnahme von Zebrafischlarven entwickelt und mit hochauflösender Mikroskopie kombiniert.

Die Mikrofluidik kann dabei helfen, den Zebrafisch als Modellsystem in der Verhaltensneurobiologie besser untersuchen zu können. (Symbolbild)
Die Mikrofluidik kann dabei helfen, den Zebrafisch als Modellsystem in der Verhaltensneurobiologie besser untersuchen zu können. (Symbolbild)
(Bild: ©korkeng - stock.adobe.com)

Verglichen mit dem Gehirn eines erwachsenen Menschen ist das Gehirn von Zebrafischlarven einfacher, enthält aber immer noch ca. 100.000 Nervenzellen. Zebrafischlarven sind ein bekanntes Modellsystem in der Verhaltensneurobiologie. Ihr Gehirn besteht aus neuronalen Strukturen mit einer Konnektivität, welche die gleiche Vernetzung unter Nutzung der gleichen Neurotransmitter wie beim Menschen aufweist und damit gleichen Funktionen dient.

Der Zebrafisch ist ein genetisch manipulierbares, sehr kleines und während seiner Larvenstadien optisch transparentes Wirbeltier mit ausgeprägtem Sozialverhalten. Die neurowissenschaftliche Forschung am Zebrafisch hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur zum Verständnis grundlegender Mechanismen der Funktion des zentralen Nervensystems bei Wirbeltieren beigetragen, sondern war auch bei der genetischen Modellierung menschlicher neurologischer Erkrankungen erfolgreich. Die fünf Millimeter kleinen Larven sind so durchsichtig, dass ihr komplettes Gehirn mithilfe hochauflösender Mikroskopie beo­bachtet werden kann.

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Fangen statt einbetten
  • Frühe Entwicklungsstadien von Zebrafischlarven eignen sich aufgrund ihrer geringen Größe, ihrer optischen Transparenz und der schnellen Entwicklung neuronaler Schaltkreise, die komplexe sen­sorische Funktionen und motorisches Verhalten ermöglichen, sehr gut für biologische Studien.
  • Durch die schonende fluidische Manipulation und vorübergehende Fixierung von Zebrafischlarven, die keine Einbettung in Agarose erfordert, können einzelne Larven für ein konsekutives Langzeit­monitoring auch wiederholt untersucht werden.
  • Multi-Photonen-Absorption von ultra-kurzen Laserpulsen in Glas ermöglicht Ablation zur Erzeugung dreidimensionaler mikrofluidischer Strukturen wie im vorliegenden Fall zur Entwicklung des Mikrofluidiksystems für die Aufnahme von Zebrafischlarven.

Zebrafische und Mikrofluidiksysteme

Mikroskopische Aufnahmen verwackeln jedoch, sobald sich der lebende Zebrafisch bewegt. Verwendet man kommerziell erhältliche Systeme für die digitale Lichtblatt-Mikroskopie (DLS = Digital Light Sheet), benutzt man deswegen Agarose, in welche die Zebrafischlarven eingebettet werden, und taucht dann die von der Agarose festgehaltene Larve in eine mit Flüssigkeit gefüllte Petri­schale.

Ein solcher Ansatz führt jedoch zu einer kaum vorhersagbaren Orientierung der Larve in Bezug auf alle sechs räumlichen Freiheitsgrade, was zu einer zeitaufwändigen und mühsamen Justierung des Lichtblattmikroskops führt und auch die Bildauswertung, v.a. aber vergleichende Analysen erschwert. Außerdem ist die Agarose ein optischer Diffusor, der die Bildqualität stören kann. Hinzu kommt, dass die Petrischale ein großes Flüssigkeitsvolumen (~ 5 ml) fasst, sodass die gewünschten, sehr schnellen Änderungen chemischer Stimuli nicht ausreichend präzise durchgeführt werden können und zudem teure Chemikalien in großen Mengen verbraucht werden.

Um einige der Nachteile etablierter Techniken zur Zebrafisch-Fixierung zu überwinden, haben andere Forschergruppen mikrofluidische Vorrichtungen aus Polydimethylsiloxan (PDMS) hergestellt, in denen die Larven in einem speziell geformten Mikrokanal mit einer definierten Ausrichtung gefangen und wieder freigesetzt werden können. Diese Systeme sind jedoch nicht kompatibel mit lichtblattmikroskopischen Aufnahmen und präziser chemischer Stimulation, da PDMS den Nachteil einer relativ hohen Autofluoreszenz hat, die zu Rauschen in der Bildgebung führt, und darüber hinaus die Tendenz, chemische Komponenten zu absorbieren, was zu undefinierten Stimuluskonzen­trationen führt.

Herausforderungen beim Einfangen

Um die genannten Probleme zu beseitigen, musste ein Gerät aus einem hochtransparenten Material hergestellt werden, das gleichzeitig eine hohe Inertheit gegenüber verschiedenen chemischen Substanzen aufweist. Eine Materialgruppe, die diese Anforderungen erfüllt, ist optisches Glas, wie es in der Mikroskopie ohnehin vielfach verwendet wird. Durch die Auswahl verschiedener Glastypen ist es darüber hinaus möglich, den Brechungsindex und den Transmissionsbereich an eine bestimmte Aufgabenstellung anzupassen. Die Mikrofabrikation von Glas ist jedoch wesentlich anspruchsvoller als von PDMS, für das die bekannte Technik der „Softlithographie“ in vielen Laboren etabliert ist.

Darüber hinaus erforderte die Kombination von Strukturen zum Einfangen von Zebrafischlarven in verschiedenen Entwicklungsstadien mit einem optischen Lichtblatt-Zugang eine fortschrittlichere Fabrikationstechnologie mit der Möglichkeit einer nahezu freien dreidimensionalen Formgebung.

Wird so eine mikrofluidische Kammer mit Mikropumpen, Flüssigkeitskreisläufen und Mikroskopievorrichtungen verbunden und mit einer benutzerfreundlichen Regelungssoftware ausgestattet, erhält man ein eigenständiges Gerät für die Analyse der Gehirnaktivität von Zebrafischlarven bei zellulärer Auflösung – ein Gerät, das die Forschenden der TU Braunschweig Neuro­examiner genannt haben.

Mit Ganzhirn-in-vivo-Bildgebung kompatibel

Das Mikrofluidiksystem besteht vollständig aus optisch hochwertigem Glas und ist mit einem DLS-Mikroskop kombinierbar. Das Glas wurde lokal Schicht für Schicht mit einem Ultrakurzpulslaser abgetragen, wodurch nicht nur Kammern, sondern auch winzige gravierte Strömungskanäle im Inneren entstehen. Die Zebrafischlarven können in der Kammer, welche genau auf den Schwanz und den Rumpf eines Tiers im Alter von sechs Tagen angepasst ist, festgehalten werden. Die durchströmten Kanäle können neben Wasser auch chemische Stimuli mit hochpräziser Lokalisierung zuführen.

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Bis zur fertigen Kammer waren viele Arbeitsschritte nötig. Nicht nur viele Strömungsprofile mussten simuliert, sondern auch so manche Kammer graviert werden, bis alles passte. Außerdem wurden fluidische und optische Simulationen durchgeführt, um das Mikrofluidiksystem mit einem Lichtblatt-Mikroskopie-Verfahren kombinieren zu können, sodass ein zu einer Ebene ausgeweiteter Laserstrahl nacheinander übereinanderliegende Gewebsschichten des Gehirns ausleuchtet. So wird es möglich, dass innerhalb von drei Sekunden ein dreidimensionales Bild des Aktivitätszustands des gesamten Gehirns entsteht, in dem jede einzelne Nervenzelle rekonstruiert werden kann. Die In-vivo-Bildgebung des gesamten Gehirns mit zellulärer Auflösung erlaubt eine Vogelperspektive auf das aktive Gehirn, die voraussichtlich zu neuen Erkenntnissen beitragen wird, und zwar von der Grundlagenforschung über die klinischen Neurowissenschaften bis hin zur Neuropharmakologie.

Analog zur Lichtblattmikroskopie, die für die Ganzhirnbildgebung mit hoher räumlich-zeitlicher Auflösung prädestiniert ist, haben sich mikrofluidische Geräte in jüngster Zeit als leistungsfähige Technologie für die Abgabe räumlich präziser chemischer Stimuli im Millisekundenbereich erwiesen. Bislang wurde die Mikrofluidik aber noch nicht mit der Lichtblattmikroskopie für die In-vivo-Ganzhirnbildgebung kombiniert. Noch erhalten die Fische im Neuroexaminer keine gezielten Stimuli. Wissenschaftler schauen momentan den Fischen bei ihrer spontanen Gehirnaktivität zu, aber schon hier ist beeindruckend zu sehen, welche neuronalen Gewitterstürme bereits in einer Ruhesituation durch das Gehirn toben.

Es ist zu erwarten, dass die Kombination von Lichtblattmikroskopie und mikrofluidischer Wirkstoffapplikation in einem neuartigen Diagnoseinstrument fundamentale Einblicke in die neuronalen Schaltkreise geben wird, die komplexen Gehirnfunktionen zugrunde liegen, z.B Emotionen und motiviertem Verhalten. Darüber hinaus könnte das Gerät zu einer neuartigen Charakterisierung und Validierung in der Entwicklung von Medikamenten beitragen, um letztlich die Behandlung von neuropsychiatrischen Erkrankungen zu verbessern.

Die Methoden im Detail

Der Neuroexaminer wurde ausschließlich aus Glas mittels Femtosekunden-Laserbearbeitung und anschließender thermischer und chemischer Oberflächenveredelung hergestellt. Die Multi-Photonen-Absorption in Glas ermöglicht einen iterativen Abtrag zur Erzeugung dreidimensionaler mikrofluidischer Strukturen. Der 3D-Entwurf wurde für die Laserbearbeitung in mehrere Schichten von 50 μm Höhe umgewandelt. Nach der Strukturierung wurden zwei Systemhälften zunächst gereinigt und dann so aus­gerichtet, dass geschlossene mikrofluidische Chips entstehen. Das abschließende thermische Bonden gelang bei 630 °C für 6 h gefolgt von einer Wärmebehandlung bei 740 °C für 1 h im Muffelofen. Diese Wär­mebehandlung wurde zweimal durchgeführt, um glatte Glasoberflächen in den Mikrokanälen herzustellen.

Optisch klare Proben sind eine Voraussetzung für schnelle physiologische Ganzhirnanalysen. Während dies eine intrinsische Eigenschaft von Zebrafischlarven ist, bildet das Zebrafisch-Vorderhirn (Telencephalon) eine Ausnahme, da es auf beiden Seiten des Kopfes von pigmentierten Augen flankiert wird, was verhindert, dass ein Laserlichtblatt das dazwischen liegende neuronale Gewebe beleuchten kann. Da Wissenschaftlicher physiologische Veränderungen im gesamten Gehirn bestimmen wollen, haben sie einen genetischen Zebrafischstamm verwendet, der aufgrund seines fast vollständig unpigmentierten Phänotyps als crystal bezeichnet wird. Um die neuronale Aktivität im gesamten Gehirn zu erfassen, verwendeten die Autoren eine transgene Linie im unpigmentierten crystal Hintergrund, in der ein kernlokalisierter Calcium-Indikator, GCaMP6s, durch den panneuronalen elavl3-Promotor exprimiert wird, was mit Veränderungen der intrazellulären Ca2+-Konzentrationen verbunden ist (Calcium Imaging).

Zur Lichtblattabbildung im mikrofluidischen Chip wurden Neuroexaminer-Chips in eine speziell angefertigte Imaging-Kammer platziert, die mit isotonischer Lösung gefüllt war. Zuerst wurden sechs Tage alte Kristall-Larven anästhesiert, danach wurde eine einzelne betäubte Larve durch Pipettieren in den Neuroexaminer transferiert, sorgfältig in der Justierkammer ausgerichtet und mit dem Schwanz in Richtung Auslass in den Fischfixator gesetzt. Um die Aktivität des Gehirns zu beobachten, wurde ein kommerzielles Lichtblattmikroskop (Leica TCS SP8 DLS) mit 10x- und 25x-Wasserimmersionsobjektiven verwendet. Für Ganzhirn-Lebendaufnahmen von Zebrafischlarven ist das DLS-Mikroskop in der Lage, 21 optische Ebenen zu erfassen. Durch Anlegen eines Flüssigkeitsstromes am hinteren Ende des Fischfixators kann die Larve sehr leicht wieder freigesetzt werden.

Zurzeit wird einerseits daran gearbeitet, die Einkopplung des Lichtblattes und den Strahlengang für die Bildgebung für verschiedene Tiefen im Neuroexaminer noch besser zu harmonisieren und das derzeit manuelle Ein- und Ausschleusen der Fischlarven reproduzierbarer zu gestalten, sodass am Ende ein automatisiertes Verfahren zur Verfügung steht. n

Literaturtitel

[1] K. Mattern*, J. W. von Trotha*, P. Erfle, R. W. Köster, A. Dietzel, NeuroExaminer: an all-glass microfluidic device for whole-brain in vivo imaging in zebrafish, Communications Biology volume 3, 311 (2020) https://www.nature.com/articles/s42003-020-1029-7; * Geteilte Erstautorenschaft.

* D. Schrödter: Institute of Microtechnology (IMT), Technische Universität Braunschweig, 38124 Braunschweig

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